Vorstand Wohnraumversorgung Berlin: Vorwärts in die Vergangenheit
Finanzsenator Kollatz will mit Volker Härtig eine pikante Personalentscheidung durchdrücken. Koalitionspartner und Mieterinis sind entsetzt.

Matthias Kollatz guckt ins Geschichtsbuch Foto: dpa
BERLIN taz | Die Berliner SPD arbeitet an der Rückabwicklung der in den vergangenen vier Jahren von ihr innerhalb der rot-rot-grünen Koalition mitgetragenen Mietenpolitik. Nach Informationen der taz versetzt eine Personalentscheidung von Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) die Koalitionspartner und die Mieter*inneninitiativen in helle Aufregung. Demnach soll der SPDler Volker Härtig zum Vorstand der Wohnraumversorgung Berlin – Anstalt öffentlichen Rechts berufen werden, jener Institution, die die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften kontrolliert.
Die Entscheidung hat es in sich: Die Wohnraumversorgung Berlin ist eine Konsequenz des Mietenvolksentscheids 2015, der vom Senat mit dem Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin in Teilen übernommen wurde. Seit seiner Ernennung durch Kollatz 2016 stand Jan Kuhnert, ehemals Sprecher der Initiative Berliner Mietenvolksentscheid der Wohnraumversorgung als Vorstand vor, seit Mai im Duo mit der Sozialwissenschaftlerin und Mitbegründerin von Kotti & Co Ulrike Hamann. Kuhnerts Vertragsverlängerung wurde zuletzt von Kollatz abgelehnt, die Stelle neu ausgeschrieben.
Mit Volker Härtig, dem Vorsitzenden des Fachausschusses Soziale Stadt der Berliner SPD, soll nun jemand folgen, der nicht nur keinen aktivistischen Hintergrund hat, sondern sich in der Vergangenheit als expliziter Gegner von mietenregulierenden Maßnahmen und einer partizipativen Mitgestaltung von Mietenpolitk gezeigt hat. Schon dem Mietenvolksentscheid und seiner zentralen Forderung, Mieten im sozialen Wohnungsbau auf 30 Prozent des Einkommens zu kappen, stand Härtig ablehnend gegenüber. Dies sei „eine unverschämt teure Verfolgung von Partikularinteressen auf Kosten der Allgemeinheit“.
In den vergangenen Jahren tat sich Härtig besonders als Kritiker der ehemaligen Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) hervor – und stand damit wie kaum ein anderer für den Schmerz der SPD über den Verlust des Ressorts. 2018 schickte er über einen Verteiler der SPD-Arbeitsgruppe eine Umfrage, ob Lompscher entlassen werden soll – und löste damit einen nicht nur koalitionsinternen Skandal aus.
Kritik an Mietendeckel
Den Mietendeckel kritisierte Härtig vor allem vor dem Hintergrund, dass er Einnahmeverluste für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften bedeute; das Enteignungs-Volksbegehren lehnt er ab. Allem hält er sein Mantra „bauen, bauen, bauen“ entgegen. Die von Lompscher intensivierte Bürger*innenmitbestimmung bei Neubauprojekten fand bei Härtig, der selbst als Projektentwickler tätig ist, ebenso wenig Anklang.
Lompschers Nachfolger auf dem Senatsposten, Sebastian Scheel, hat nach taz-Informationen versucht, sein Veto gegen die Installierung von Härtig einzulegen – offenbar erfolglos. Die Entscheidungshoheit über die Besetzung der Stelle liegt beim Finanzsenator. Aufgekündigt wird dabei die bisherige Linie, dass sich beide Ressorts bei den Besetzungen abstimmen und einigen. Am Montag informierte Scheels Staatssekretärin für Wohnen, Wenke Christoph, die Linksfraktion über Kollatz Auswahl. Das Missfallen ist groß.
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In Aktivistenkreisen befürchtet man eine Zerstörung der von ihnen erkämpften Institution Wohnraumversorgung und bewertet die Personalentscheidung als Teil eines Rechtsrucks der Berliner SPD. Die neue SPD-Chefin Franziska Giffey hatte zuletzt dafür geworben Investor*innen nicht zu verschrecken und eine Verlängerung des Mietendeckels abgelehnt. Gleichzeitig betonte sie zusammen mit ihrem Co-Chef Raed Saleh nach der Abgeordnetenhauswahl im Herbst erneut Anspruch auf den Bereich Stadtentwicklung zu erheben.
Leser*innenkommentare
Soungoula
Ist doch offensichtlich:
Die SPD hat keine Lust mehr auf die Koalition und bereitet die Zusammenarbeit mit der CDU vor, notfalls mit der FPD zur Mehrheitsbeschaffung.
Sie hat auch keine Lust mehr auf soziale Mietenpolitik und läuft im Eiltempo ins neoliberale Lager über.
Warum sie das tut, bleibt rätselhaft.
LesMankov
@Soungoula Nur hätten Union, SPD und FDP nach derzeitigem Stand der Umfragen gar keine Mehrheit zusammen. Ich gehe eher davon aus, dass die SPD verstanden hat, dass sie mit nem Linksruck nichts gewinnt, weil da die Linke steht, bei ökologischen Themen stehen die Grünen bereit. Um also doch noch stärkste Kraft oder zumindest stärker als Grüne und Linke werden zu können, sucht man den Weg durch die Mitte. Danach kann man dann Grünen und Linken hoffentlich die Pistole auf die Brust setzen mit Ende des Mietendeckels und allem drum und dran. Das könnte sogar tatsächlich gelingen, weil Grüne und Linke ja nun auch keine Mehrheit hätten.
XBurger
Volker Härtig hat sehr wohl einen aktivistischen Hintergrund, ist halt ein paar Jahrzehnte zurück.
02881 (Profil gelöscht)
Gast
Mit so einer Personalentscheidung sollte sich die SPD (für Berliner Mieter) weiter ins Aus kicken. Nur weiter so!
Andererseits ist es fast gespenstisch zu beobachten, wie Freunde und Bekannte innerhalb kürzester Zeit einen Gesinnungswechsel durchlaufen sobald sie Eigentumswohnungsbesitzer geworden sind. Dann sind von einem Tag auf den anderen eine soziale Wohnungspolitik, Mietendeckel, Enteignungsvolksbegehren etc. absolut des Teufels.
xriss
@02881 (Profil gelöscht) > Dann sind von einem Tag auf den anderen eine soziale Wohnungspolitik, Mietendeckel, Enteignungsvolksbegehren etc. absolut des Teufels.
Dem würde ich mal entgegnen: Der Mietendeckel ist unsoziale Mietenpolitik: Wenn der bestehen bleibt, werden über kurz oder lang all ihre Freunde und Bekannten ihre (vermieteten) Wohnungen an Kapitalgesellschaften verkaufen, weil es sich dann nur für diese lohnt, Wohnungen zu besitzen.... ach, ich vergaß: die sollen ja enteignet werden.
Leute, wo seid ihr in den 70er und 80er Jahren gewesen: In Westberlin gab es einen regulierten Wohnungsmarkt - die Häuser sind verkommen. In Ostberlin gab es einen staatlichen Wohnunsverteilungsmechanismus - die Häuser sind verkommen.
02881 (Profil gelöscht)
Gast
@xriss In den 70ern und 80ern haben Mieter, Initiativen und Hausbesetzer zumindest dafür gesorgt das die Altbauviertel bewohnt und erhalten und nicht dem Verfall, der Spekulation und dem Abriss übereignet wurden. Das hat man auch mitgekriegt wenn man nicht in Berlin West oder Ost gewohnt hat.
LesMankov
@02881 (Profil gelöscht) was immerhin zeigt, dass politische Einstellung und objektive Interessen auch weiterhhin im Zusammenhang stehen.