Rot-Rot-Grün in Berlin: Andrej Holm tritt zurück
Der wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittene Berliner Staatssekretär Andrej Holm räumt seinen Posten. Und er kritisiert Rot-Rot-Grün scharf.
Dass Andrej Holm, ein bundesweit anerkannter Stadtsoziologe und Gentrifizierungskritiker, die Berliner Landespolitik mitbestimmen sollte, hatte Anfang Dezember für Euphorie bei Aktivisten und vielen links denkenden Menschen nicht nur in der Hauptstadt gesorgt.
In Berlin sind, wie in vielen anderen großen Städten Europas, rapid steigende Mieten und Wohnungsknappheit eine der großen politischen Herausforderungen. Mit Holm, so die Hoffnung, wäre ein radikaler Kurswechsel in der Wohnungs- und Mietenpolitik möglich.
Doch schon vor seiner offiziellen Ernennung am 13. Dezember musste Holm mit scharfer Kritik wegen seiner Stasi-Tätigkeit kämpfen. Seit einem taz-Interview aus dem Jahr 2007 war bekannt gewesen, dass er als damals 18-Jähriger zu Wendezeiten bei der DDR-Staatssicherheit angefangen hatte.
Müller platzte der Kragen
Allerdings musste der Soziologe Mitte Dezember zugeben, bei der Einstellung an der Humboldt-Universität 2005 in einem Fragebogen falsche Angaben über seinen Status als Stasi-Hauptamtlicher gemacht zu haben. Unwissentlich, wie Holm stets betonte.
Doch das nahmen ihm viele nicht ab. Selbst aus der Berliner SPD und den Grünen gab es Rücktrittsforderungen. Dass Holm über die Weihnachtsfeiertage im Amt bleiben konnte, hatte er dem Rückhalt aus der Linkspartei zu verdanken, die eine Untersuchung der Humboldt-Universtität zu dem Fall abwarten wollte.
Als Holm in einer Stellungnahme dazu erklärte, er wünsche sich eine politische Entscheidung und keine verwaltungstechnische, platzte dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Samstag der Kragen.
Er forderte Holms Chefin, die Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke), auf, bis Dienstag ihren Staatssekretär zu entlassen. Die Grünen unterstützten dieses Vorgehen, die Linke reagierte konsterniert bis erzürnt.
„Bitter, aber nachvollziehbar“
Mit seinem Rückzug nimmt Holm auch Druck vom noch jungen Berliner Regierungsbündnis, das derzeit von einer Panne in die nächste taumelt – allen Ankündigungen von einem 100-Tage-Programm zum Trotz. Am Samstag hatte der Linkspartei-Kultursenator und Vizeregierungschef Klaus Lederer noch erklärt, seine Partei müsse sich zwischen „R2G und Holm“ entscheiden.
Holm äußerte in seiner Rücktrittserklärung scharfe Kritik an Rot-Rot-Grün: „Den versprochenen Aufbruch in eine andere Stadtpolitik hat diese Koalition bisher nicht ernsthaft begonnen – das allein mit meiner Personalie zu begründen, wäre absurd.“ Der starke Widerstand gegen seine Person sei „vor allem“ auf die „Angst vor einer Wende im Bereich der Stadt- und Wohnungspolitik“ zurückzuführen.
Senatorin Lompscher bedauerte den Rückzug „sehr“. Die Entscheidung sei „bitter und dennoch nachvollziehbar“, da der Rückhalt in der Koalition nicht stark genug gewesen sei. Aus dem Umgang mit seiner Stasi-Vergangenheit hätten sich jedoch laut Lompscher „keine hinreichenden Gründe für eine Entlassung“ ergeben.
Die Berliner Linkspartei zieht aus den Debatten der vergangenen Wochen auch den Schluss, „in einer besonderen Verantwortung für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit und den Umgang mit der Tätigkeit des MfS“ zu stehen. Man werde sich auch weiterhin dieser Diskussion stellen.
Erste Krise
Ähnlich hatten sich – eine Woche vor dem Rücktritt – bereits die Berliner Grünen geäußert. „Offensichtlich gibt es noch einen großen gesellschaftlichen Bedarf, über unsere deutsch-deutsche Vergangenheit zu sprechen – was sich auch in dieser Koalition zeigt“, hatte Fraktionschefin Antje Kapek gesagt.
Ihre Ko-Vorsitzende Silke Gebel ergänzte: „27 Jahre nach dem Mauerfall muss man sich aber fragen: Sind unsere Herangehensweisen noch die richtigen? Das kann man aber nicht anhand eines Menschen diskutieren, sondern muss das abstrakt machen und es dann wieder auf den konkreten Fall runterbrechen. Dafür muss die Politik Regelungen schaffen.“
Die Berliner Fraktionschefs aller drei Regierungsparteien haben sich am Montag verständigt, „zeitnah“ einen Koalitionsausschuss – eine Art Krisengremium – einzuberufen, um zu klären, wie man zu einer gleichberechtigten Arbeitsweise kommen könne.
Holms Karriere als Staatssekretär ist zwar beendet, die als außerparlamentarischer Aktivist hingegen keineswegs. Am Ende seiner Erklärung lud er für Montagabend zu einem Treffen, auf dem überlegt werden sollte, „wie wir auch ohne mich als Staatssekretär eine soziale Wohnungspolitik in Berlin am besten durch- und umsetzen können“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu