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Roman „Wie man einen Bären kocht“Spiel mit Fiktion und Tatsachen

Der neue Roman von Mikael Niemi hat eine spielerische, oft auch burleske Seite. Aber es gibt auch einen ernsthaften und tragischen Kontrapunkt.

Eine ihrer Vorfahrinnen wird im Roman grundlos gemeuchelt – und der Mörder läuft weiter frei herum Foto: dpa

Das Leben ist hart in Nordschweden um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Die samische Bevölkerungsmehrheit, kolonisiert und christianisiert durch die Schweden, leidet unter Diskriminierung, großer Armut und massenhaft auftretender Alkoholsucht.

In dieser hoffnungslosen Lage gewinnt ein evangelischer Geistlicher maßgeblich an Einfluss: Lars Levi Læstadius, Sohn eines Schweden und einer Samin, schafft es mit seinen Predigten, die Gläubigen in Ekstase zu versetzen und viele Menschen zur Nüchternheit zu bekehren. Bald wird seine Erweckungsbewegung zur größten pietistischen Strömung in ganz Norrland.

Der Autor Mikael Niemi, berühmt geworden mit seinem Debütroman „Populärmusik aus Vittula“, stammt selbst aus Nordschweden, lebt immer noch dort und lässt auch all seine Romane im hohen Norden spielen. Mit „Wie man einen Bären kocht“ greift er zum ersten Mal einen historischen Stoff auf und schneidet ihn raffiniert zu einem Roman zu, den man Genre­lieb­ha­be­rIn­nen auch problemlos als Krimi empfehlen kann.

Der Priester Læstadius tritt im Roman als eine von zwei Hauptfiguren auf – und als Detektiv. Die andere Hauptfigur sowie der Watson des Predigers ist der junge Same Jussi, der seinem jämmerlichen Zuhause entflohen ist und in Læstadius’ Haushalt Zuflucht gefunden hat. Oft begleitet er den Propst, wie Læstadius in Jussis Ich-Er­zäh­lung nur genannt wird, bei Ausflügen in die Natur.

Das Buch

Mikael Niemi: „Wie man einen Bären kocht“. Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrandt. btb, München 2020, 512 S., 20 Euro

Vom Botaniker zum Priester

Der historische Læstadius hatte, bevor er seine Berufung als Priester fand, eine erfolgreiche Karriere als Botaniker verfolgt. Mit seinem wissenschaftlich geschulten Blick ist er in Niemis Roman der Einzige, der in der Lage und willens ist, die Zeichen richtig zu lesen, als eine junge Frau tot im Wald gefunden wird. Oberflächlich gesehen, deutet alles darauf hin, dass sie einem Bären zum Opfer gefallen sein muss. Der Propst aber findet zahlreiche Spuren, die belegen, dass ein menschlicher Mörder frei herumläuft.

Leider ist der örtliche Landjäger – Repräsentant der schwedischen Ordnungsmacht – ein grobschlächtiger Trunkenbold, der sich vom Prediger nicht ins Handwerk pfuschen lassen will und dessen Beweisführung kaltschnäuzig beiseitewischt. So kann das Verhängnis seinen Lauf nehmen. Eine Bärin, die in der Gegend umherstreift, wird mit vereinten Kräften gemeuchelt, was aber nichts nützt; denn bald darauf gibt es ein neues Opfer …

Die historischen Recherchen, die der Autor zu diesem Roman unternommen hat, müssen zweifellos auch solche zu den Anfängen der kriminalistischen bzw. forensischen Beweisführung umfasst haben. Læstadius tritt in mehrfacher Hinsicht als Aufklärer auf, wobei seine Tätigkeit als Prediger im Roman eher nachgeordnet erscheint.

Tatortskizzen und Fingerabdrücke

Detektivisch ist er mit allen Wassern gewaschen, liest nicht nur die Spuren der Natur, sondern untersucht auch Körper und Kleider der Opfer, lässt seinen Assistenten Jussi alle Beobachtungen aufschreiben, fertigt Tatortskizzen an und kann sogar Fingerabdrücke auf Oberflächen sichtbar machen. Es ist ein lustiges Spiel mit Fiktion und Tatsachen, das Niemi hier spielt, denn mag dieser Detektiv-Læstadius auch komplett fiktiv sein, so stimmt das, was wir über dessen sonstiges Leben im Roman erfahren, durchaus mit den historischen Tatsachen über den Priester-Læstadius überein.

Diese spielerische, oft auch burleske Seite des Romans hat allerdings einen ernsthaften, ja tragischen Kontrapunkt. Denn so brillant der Detektiv-Læstadius auch auftritt und so überzeugend seine Argumente sein mögen, dringt er doch mit seinen wissenschaftlichen Methoden nicht durch bei den Zeitgenossen. Der Prediger, dessen gesprochenes Wort sich in der Kirche als so wirkmächtig erwiesen hat, ist machtlos in der Konfrontation mit der bornierten Obrigkeit. Finstere Zeiten leben hier auf, in denen der schwedische Staat für viele Menschen im Norden Ungerechtigkeit und Willkür verkörperte.

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