Roman „Ein anderer Takt“: Auf Nimmerwiedersehen

Afroamerikaner fliehen aus einem fiktiven US-Staat: William Melvin Kelleys Roman „Ein anderer Takt“ liegt nun auf Deutsch vor.

Farbiger Mann mit Sonnenbrille und Mütze

Autor William Melvin Kelley Foto: Gail J. Anderson

Das Ganze beginnt wenig spektakulär. Eine Handvoll weißer Männer lungert auf der Veranda eines Lebensmittelgeschäfts herum. Sie haben offenbar nicht viel Sinnvolles zu tun, sehen den wenigen Geschehnissen in der Kleinstadt zu, erzählen sich dabei wilde Geschichten.

Nur einer von ihnen hat offenbar etwas mehr von der Welt verstanden, ein Mister Harper. Nachdem er seinen Sohn im Ersten Weltkrieg verloren hat, setzt er sich in einen Rollstuhl und beschließt, nie wieder daraus aufzustehen.

Nach ein paar Seiten gibt Mister Harper dem Drängen der anderen nach und erzählt ihnen ihre Lieblingsgeschichte, eine Art Legende – und auch als Leser ist man damit vollständig im Buch. Dieser Mythos handelt von einem Sklaven, der sich vor vielen Jahren – kaum, dass er das Schiff aus Afrika verließ – selbst befreite. Am Ende aber wird er doch vom Plantagenbesitzer erschossen, der ihn zu besitzen meint.

Die Geschichte, so stellt sich später heraus, erzählt von den Vorfahren der beiden Hauptfiguren des Romans „Der andere Takt“ von William Melvin Kelley. Kelley ist ein weiterer vergessener Großer der afroamerikanischen Literatur, 1937 geboren und 2017 gestorben; sein Debüt erschien 1962 unter dem Titel „A Different Drummer“ in Amerika. Als erster Roman dieses Autors überhaupt ist es kürzlich auf Deutsch erschienen.

Verknappt und kraftvoll

Tucker Caliban und David Willson sind die beiden Haupthelden dieses streng komponierten, sehr verknappten und darum kraftvollen Romans, der eigentlich ein utopischer ist, denn er handelt von einem fiktiven Bundesstaat im Süden Amerikas, den im Sommer des Jahres 1957 wie in geheimer Verabredung sämtliche afroamerikanischen Einwohner verlassen.

Auslöser für diesen großartigen Akt der Selbstermächtigung ist kein geringerer als Tucker Caliban selbst, der Enkel des sagenhaften ermordeten Sklaven – und der Mann, der vielleicht fast genauso von diesen Ereignissen profitiert, ist David Willson, der Enkel des ebenso sagenhaften Mörders.

William Melvin Kelley: „Ein anderer Takt“. Aus dem amerik. Englisch von Dirk van Gusteren. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019, 300 S., 22 Euro

David Willson, so stellt sich erst spät im Buch heraus, war nämlich vor vielen Jahren auf dem besten Weg, sich von den Zwängen seiner Herkunft zu befreien, um dann doch einzuknicken. Es wird erzählt, wie er in Cambridge studiert und sich mit einem afroamerikanischen Kommilitonen anfreundet, der nach dem Tod der Mutter zurück nach New York muss.

David bleibt seinen fortschrittlichen Idealen treu, wird Nachwuchsreporter bei einer Zeitung und schickt seinem Freund Artikel über die „zersetzende Wirkung der Rassentrennung“ nach New York, damit dieser sie unter Pseudonym in linken Zeitschriften unterbringt. Dann aber fliegt David auf – und damit platzen seine Träume, er geht zurück, um, wie er glaubt, für den Rest seines Lebens „Pachten zu kassieren“.

Aus Sicht der Weißen

Noch spannender aber als David ist die Figur Tucker Calibans – vor allem, weil er nicht aus eigener Perspektive beschrieben wird, sondern über Bande, über David Willsons Tochter Dymphna zum Beispiel. Erst hier begreift man als Leser, wie folgenreich der Kunstgriff Kelleys ist, konsequent nicht aus der Perspektive der eigenen Leute zu schreiben, sondern aus der Sicht jener, auf deren Mist das sogenannte Rassenproblem eigentlich gewachsen ist.

Kelley, so erfährt man im Vorwort der Journalistin ­Kathryn Schulz, wuchs in einem Viertel auf, wo vor allem italienische Einwanderer lebten, und schaffte es als einer von wenigen afroamerikanischen Kindern an eine angesehene Schule, wo er vor allem reiche, jüdische Freunde fand.

Äußerst skeptisch war William Melvin Kelley gegenüber den Möglichkeiten, das Leben der Afroamerikaner in einer Sprache nachzubilden, die nicht die ihre ist. In Kelleys folgenden, immer schwierigeren Romanen trat dies noch klarer zutage: Er versuchte zunehmend, die Sprache neu zu erfinden, sie aus Slang und Wortspielen zusammenzusetzen – und all das war auch immer schwerer zu entziffern, so dass Kelley weniger und weniger Leser fand. Als sein letztes Buch herauskam, war er 32 Jahre alt. In den nächsten 47 Jahren schrieb er zwar diszipliniert weiter, geriet aber in Vergessenheit.

Die Sprachskepsis dieses großartigen, nun wiederzuentdeckenden Autors kommt übrigens in „Ein anderer Takt“ nicht nur darin zum Ausdruck, wie er von seinem Helden Tucker Caliban erzählt, sondern auch, was er über ihn berichtet. Denn Tucker redet so wenig, dass daran fast seine Ehe mit der schönen, gebildeten Bethrah Scott zerbricht. Wie Tucker arbeitet auch sie im Haus der Nachkommen der Plantagenbesitzer, der Willsons.

„Für meine Rechte kämpfe ich selber“

Eines Abends erzählt sie Dymphna Willson von einem Abend kurz nach der Hochzeit, an dem Bethrah ihre ehemaligen Collegefreunde trifft. Als einer von ihnen von der National Society for Colored Affairs erzählt und Bethrah ihre ruhende Mitgliedschaft wiederbeleben will, weigert sich der mitgeschleppte Tucker, ihr einen Dollar für die Mitgliedskarte zu leihen.

Er sagt nur: „Die setzen sich aber nicht für meine Rechte ein. Für meine Rechte kämpfe ich selber.“ Bethrah ist so verletzt, dass sie Tucker verlässt, nach einer Woche aber kehrt sie zu ihm zurück. „Tucker weiß einfach, was er zu tun hat“, sagt sie zu ihrer weißen Freundin. Wenig später folgt sie ihm auf eine Farm, die er David Willson abgekauft hat.

Am Ende hilft Bethrah ihrem Mann Tucker auch noch dabei, die Tiere zu erschießen, das Haus zu verbrennen und das Land auf Nimmerwiedersehen zu verlassen. Da erscheint es auf einmal gar nicht mehr so utopisch, dass ihm sämtliche Afroamerikaner in diesen Bundesstaat folgen.

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