Roman „Die Außerirdischen“: Der kosmische Frieden und sein Preis

Doron Rabinovici zeigt, dass der Mensch gar keine Aliens braucht, um sich selbst ein Wolf zu sein: eine böse und unterhaltsame Gesellschaftssatire.

Verkleidete weiße Glitzerwesen mit verformten langen Köpfen schauen sich freundlich an

Nur manchmal so gut drauf: die Aliens Foto: dpa

Drinnen frühstückt ein Ehepaar in der Küche, draußen landen die Außerirdischen. Was durchs Radio in den Alltag der beiden Ehepartner dringt, folgt der üblichen Nachrichtenlogik. Vermeldung im Nachrichtenblock. Aufgekratzte Reporterberichte. Korrespondentenschalten. Dann eine Pressekonferenz der Regierung: Kein Grund zur Panik!

Klingt schwer nach „Krieg der Welten“? Das finden der Protagonist Sol, ein Gourmet-Journalist, und seine Frau Astrid, eine Museumskuratorin, zunächst auch. Doch während sie noch halb belustigt Orson Welles zitieren, fallen überall Strom und Internet aus. Und im Handumdrehen hat sich ihr zivilisierter Alltag in angsterfülltes Gewaltchaos verwandelt. Die Bankautomaten sind tot, die Supermärkte leer geplündert, die Menschen: außer sich.

„Noch verstanden die meisten nicht ganz, was geschehen war. In diesen wenigen Stunden waren wir bereit gewesen, Verbrechen zu begehen. In diesen wenigen Stunden hatte die Menschheit beinahe einen Krieg gegen sich selbst begonnen. Wir waren von den Außerirdischen daran gehindert worden. Sie hatten uns vor unseren eigenen Waffen bewahrt. Sie hatten die totale Kontrolle über uns.“

Unheimliche extraterrestrische Kräfte, Bedrohung aus dem All, Verrohung und Untergang der Menschheit: Diese Topoi gehören zum Totgenudeltsten, was die Literatur- und Filmproduktion in den vergangenen (mindestens) 60 Jahren hervorgebracht hat – und zum Grundbaukasten greller Science-Fiction-Werke. Wer hieraus im Jahr 2017 eine Romanhandlung strickt, die literarische Geltung beansprucht, muss schon eine originelle Idee haben.

Globale Außerirdischen-Euphorie greift um sich

Die hat der israelisch-österreichische Autor Doron Rabinovici. Nachdem die Besucher aus dem All schon eine Weile auf der Erde sind, geheimnisvoll und stumm, setzt sich allmählich die Lesart durch: Die Besucher wollen nur Gutes über die Erde bringen, Krankheiten, Kriege und Hunger beenden. Eine globale Außerirdischen-Euphorie erfasst die Menschheit.

Doron Rabinovici: „Die Außer­irdischen“. Suhrkamp, Berlin 2017, 255 Seiten, 22 Euro.

„Sternmärsche“ wälzen sich durch die Metropolen, Jugendkulturen in Fantasiekleidung intonieren kosmische Gesänge – und der Internetsender des bisherigen Gourmetkritikers Sol setzt sich mit einer neuen Sendung an die Spitze des Hypes. Bei „Brandheiß“ werden Tag für Tag Fragen verhandelt, die die Mediengesellschaft bewegen: Wer sind die Wesen? Was wollen sie wirklich? Und warum reden sie nicht?

Es dauert freilich nicht lange, dann tauchen die ersten unappetitlichen Gerüchte auf. Es heißt, sie fänden Menschenfleisch lecker. Es heißt, sie planten ein globales Spiel – mit menschlichem Einsatz …

Doron Rabinovici, Meister grotesker Panoramen, hat mit „Die Außerirdischen“ eine böse und unterhaltsame Gesellschaftssatire geschrieben. Wie er Casting-Wahn, Talkshow-Irrsinn und Reality-Quatsch aufs Korn nimmt, macht Spaß. Und obwohl die Handlung gelegentlich ein bisschen zu grob geschnitzt ist und durchaus zwischendrin Züge von pulp fiction annimmt, geht es einem beim Lesen wie den Einwohnern des nicht näher benannten Landes im Buch: Man mag den ganzen Alien-Quatsch noch so sehr ablehnen – entziehen kann man sich ihm nicht.

Menschgemachter Albtraum

Und so wird man Zeuge, wie aus einem absurden Verdacht schließlich Gewissheit wird: Die Aliens spielen gern – mit Menschenkörpern. Ein paar von denen jährlich für den immerwährenden kosmischen Frieden und Wohlstand zu opfern, kann ja wohl nicht zu viel verlangt sein. Oder?

Während die Menschheit sich der Zivilisation langsam, aber sicher entledigt, verlässt Rabinovici den Horizont der Science-Fiction-Anleihen zwischen „Invasion der Körperfresser“ und „Alien“ und biegt mit der Unerbittlichkeit eines Wissenschaftlers, der eine These belegen will, in die Zielgerade der KZ-Allegorien ein.

Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Am Ende ist aus dem kosmischen Traum vom ewigen Frieden ein menschengemachter Albtraum geworden, für den die Existenz von Außerirdischen nebensächlich wird. Sind sie noch da? Gab es sie jemals? Wie auch immer: Aus den netten Großstädtern Sol und Astrid sind gebrochene Kreaturen geworden. Und Rabinovicis These steht überdeutlich im Raum: „Es bedarf nicht der Außerirdischen, um ein Mensch zu sein.“

Homo homini lupus – wer braucht schon Außerirdische, wir selbst sind (uns) unheimlich genug. Rabinovicis neuer, nachtschwarzer Roman leidet, anders als der übermütige Vorgänger „Andernorts“, an einem gewissen pädagogischen Überschuss. Doch das merkt man erst hinterher: Man war beim Lesen schlicht zu gut unterhalten.

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