Rodung befürchtet: Die letzten Tage der Leinemasch
Die Klimaschützer*innen eines Landschaftsschutzgebiets in Hannover rechnen mit einer Räumung ab Montag. Zum Wochenende mobilisieren sie bundesweit.
HAMBURG taz | Wann die Bagger anrollen werden, wissen die Aktivist*innen nicht genau. Aber sie bereiten sich darauf vor, dass die letzten Tage in der Leinemasch angebrochen sind. Für das kommende Wochenende mobilisiert das Bündnis „Leinemasch bleibt“ bundesweit Klimagruppen nach Hannover, um das Landschaftsschutzgebiet zu verteidigen. Fridays for Future, „Ende Gelände“ und „Wald statt Asphalt“ haben ihre Unterstützung zugesagt und mobilisieren ebenfalls in das Flussgebiet im südlichen Hannover.
Entlang der Bahnstrecke zwischen Hannover und Hildesheim soll die als Südschnellweg bezeichnete Bundesstraße erneuert und um 10 Meter auf 25 Meter verbreitert werden. Die Fahrstreifen, die in den 50er- und 60er-Jahren gebaut wurden, entsprächen nicht mehr den heutigen Sicherheitsstandards, gibt die niedersächsische Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr an – die Autos seien in den vergangenen Jahrzehnten zu breit geworden. „Eine S-Klasse der 50er-Jahre ist so breit wie ein heutiger Mini-Cooper“, schreibt das Ministerium auf seiner Homepage.
Die vierspurige Straße bekäme durch die Erneuerung keine weitere Spur, aber zwei Standstreifen und einen breiteren Mittelstreifen. Ein Fahrradweg ist nicht vorgesehen. Knapp vier Kilometer der Strecke führen durch das Landschaftsschutzgebiet Leinemasch – zahlreiche Bäume und Büsche müssten plattgemacht werden. Umweltgruppen und lokale Bürgerinitiativen halten das für völlig unsinnig und weisen darauf hin, dass die Verkehrsprognosen aus dem Jahr 2015, die den Plänen zugrunde liegen, veraltet seien. „Wir brauchen eine Verkehrswende und keine Verbreiterung der Straße“, sagt die Sprecherin von Leinemasch bleibt, Tabea Dammann.
Seit über zwei Jahren organisieren Dammann und andere den Widerstand gegen das Projekt. Ein runder Tisch mit Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) endete ergebnislos. Im Oktober 2022 besetzten Aktivist*innen Bäume und errichteten Baumhäuser. Das „Barrio Tümpeltown“, so nennen die Besetzer*innen ihre Baumhaussiedlung, steht noch immer. „Wir wollen die Räumung für die Politik und die Polizei so unangenehm wie möglich machen“, sagt Dammann.
Besetzer*innen von Tümpeltown
Ursprünglich hatten die Aktivist*innen schon im Herbst 2022 mit den Rodungen in der Leinemasch gerechnet. Ein Teilabschnitt wurde auch schon gerodet und für einen Tunnelbau vorbereitet. Gegen den Tunnelbau wehrten sich die Aktivist*innen nicht, sagt Dammann – ihnen gehe es um die Verbreiterung im Landschaftsschutzgebiet. Seit einigen Tagen verdichten sich die Hinweise, dass es diesem Teilabschnitt ab nächster Woche an den Kragen geht. Die Hannoversche Allgemeine Zeitung schrieb Mitte Dezember unter Berufung auf Behördenkreise, dass eine Räumung ab dem 8. Januar wahrscheinlich sei.
Die Besetzer*innen von Tümpeltown registrierten zudem ein Hinweisschild, das eine Sperrung einer angrenzenden Straße ab dem 8. Januar bis in den März hinein ankündigt – ein Hinweis, dass Polizei und Räumungsfirmen dort Mannschaftswagen und schweres Gerät parken wollen. Die Rodungssaison endet am 29. Februar, danach dürfen bis Oktober keine Bäume gefällt werden. Offiziell halten die Behörden den Termin geheim.
Doch nun könnte den Besetzer*innen ausgerechnet eine Folge von Umweltzerstörung und Klimawandel in die Hände spielen: das Hochwasser. Wie andere Küsten- und Flussregionen in Niedersachsen ist auch die Leinemasch abgesoffen. „Im Moment ist das hier ein kompletter Sumpf“, sagt ein Baumhausbewohner, der sich „Belgrad“ nennt, im Gespräch mit der taz.
Unter dem besetzten Baumhausdorf laufe mittlerweile ein Bach und der Tümpel, der dem Barrio seinen Namen gab, werde immer größer. „Wenn das so weiter geht, kann hier auf jeden Fall kein schweres Gerät eingesetzt werden“, sagt der Aktivist. Das niedersächsische Verkehrsministerium und die Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr ließen die taz-Anfrage, ob das Hochwasser ein Problem für die Räumung darstelle, bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Hochwasser könnte Straßenbauprojekt verzögern
In jedem Fall wollen die Aktivist*innen vorbereitet sein, falls es doch Anfang nächster Woche losgeht, versichern Belgrad und eine Mitstreiterin, die sich „Regen“ nennt. Für das Wochenende sei ein umfangreiches Programm geplant. Ab Samstag soll eine Dauermahnwache als 24/7-Anlaufpunkt für Unterstützer*innen fungieren. An der Mahnwache befinden sich auch eine zum Zelten ausgewiesene Fläche sowie eine Küche für alle und Veranstaltungszelte. Dort soll es Aktionstrainings, Erste-Hilfe-Schulungen, Konzerte und am Sonntag einen letzten Spaziergang durch die Leinemasch geben.
Selbst wenn das Hochwasser die Räumung um ein paar Wochen verzögern sollte, ist es wahrscheinlich, dass die Behörden alles daransetzen werden, das Straßenbauprojekt vor Ende Februar durchzusetzen. In der Vergangenheit ließen sich Bund und Land weder durch in den Bäumen wohnende Fledermäuse noch durch im Tümpel lebende Biber aufhalten. Beide Arten sind streng geschützt; Bäume, in denen Fledermäuse wohnen, dürfen keinesfalls gefällt werden.
Doch die Landesbehörde verklebte die Eingänge zu den Fledermaushölen kurzerhand mit Bauschaum. Auch das Biberpärchen, dass laut den Besetzer*innen und dem Nabu im Tümpel von Tümpeltown wohnt, konnte bislang keine aufschiebende Wirkung erzielen. Die Pläne zum Straßenausbau sehen vor, den Tümpel zuzuschütten und als Baustellenfläche zu nutzen.
Die Landesbehörde geht davon aus, dass die Biber eigentlich woanders leben und nur sporadisch am Tümpel vorbeischauen.
Leser*innenkommentare
Christoph Strebel
Spaziergang an der Ruhr: auf der einen Seite wunderschön, auf der anderen Fluß-Seite nur Autolärm.
Karla Wagner
Liebe Baumbesetzer, ich kenne einen weiteren Wald, der gerade zu großen Teilen abgeholzt wird, für autobahngleich befestigte Fahrwege und gigantische Stahlbetonfundamente. Es ist der Hessische Märchenwald.
Bitte schützt dort die jahrhundertealten Bäume vor der Kettensäge und den Wald vor den massiven Eingriffen in insbesondere die Biodiversität und den Wasserhaushalt.