Rocket Internet kündigte trotz Corona: Merkste selbst, ne!
Gekündigt während der Pandemie: Erst nachdem Mieter:innen auf sozialen Netzwerken für Empörung sorgten, nahm Rocket Internet Kündigungen zurück.
Die Mietergemeinschaft aus der Urbanstraße 67 hatte darauf in einer Mitteilung und den sozialen Medien aufmerksam gemacht. Das Grundstück und damit zwei Wohnhäuser und ein Fabrikgebäude im Hinterhof hatte Rocket Internet im vergangenen Herbst gekauft.
„Uns fehlen die Worte. Während ganz Deutschland neue Formen der gegenseitigen Solidarität erfährt, versucht Rocket Internet die Corona-Krise gewinnbringend auszuschlachten und die fehlende mediale Aufmerksamkeit dazu zu nutzen, um Fakten zu schaffen“, sagt Marion G., eine Mieterin der Hausgemeinschaft.
Die Urban67 hatte umgehend gefordert, dass Rocket Internet die Kündigungen angesichts der Ausnahmesituation sofort zurücknimmt und nach Abklingen der Corona-Krise einen runden Tisch einrichtet, an dem gemeinsam mit Bezirk und Mieter:innen eine gemeinsame Lösung gefunden werden soll.
Die Chefs von Rocket, die milliardenschweren Samwer-Brüder, steckten das Kapital der Firma und auch eigenes Geld zunehmend in den Berliner Immobilien-Markt, nachdem sie vor lauter Gewinnen kaum noch wussten, wohin damit. Bei der Übernahme der Urbanstraße 67 waren sie allerdings auf Widerstand gestoßen: Eine von der Hausgemeinschaft eingeforderte Vorkaufslösung scheiterte jedoch.
„Absolut inhuman“
Auf ihrer Website Urban67 teilten die Mieter:innen mit, bei ihren Investition hätten die Samwer-Brüder versprochen, dass für alle sozial verträgliche Lösungen gefunden werden sollten. Sprecherin G. nannte die Kündigungen angesichts dessen „absolut verantwortungslos und inhuman“.
Die Kündigungen betrafen gewerbliche und teilgewerbliche Nutzung in Fabriketagen. So ist etwa Michael B. gekündigt worden, ein selbstständiger Grafik-Designer, der gleichtzeitig in einer Fabriketage lebt und arbeitet, wie er der taz sagte. Leider habe er einen gewerblichen Mietvertrag – in diesem Fall zieht kein Kündigungsschutz, und auch viele Milieuschutzvorgaben sind nicht wirksam.
Er sei richtig perplex gewesen, dass die Firma in dieser Situation habe kündigen wollen. In der Mitteilung der Urbanstraße wird er noch zitiert mit: „Während die Politik verspricht, uns Selbstständigen auf Grund von Corona zu helfen, nimmt mir Rocket Internet die Planungssicherheit und zwingt mich mitten in der sozialen Isolation dazu, mir ein neues Studio zu suchen.“
Kündigung sei zeitverzögert zugestellt worden
Rocket Internet behauptete auf taz-Anfrage, die Kündigung zu diesem Zeitpunkt sei ein Versehen gewesen. Eigentlich sei die Kündigung bereits Mitte Februar angestoßen worden, aber durch die Hausverwaltung krankheitsbedingt jetzt erst zugestellt worden. „Die gesamtwirtschaftliche Situation ist nun eine andere wie [sic] Mitte Februar, und wir werden daher die zwei Kündigungen zurücknehmen“, schreibt Bettina Curtze von Rocket Internet.
Nachdem er diese Nachricht bekommen hat, ist B. erleichtert. Dass er nun dauerhaft bleiben könne, glaubt er allerdings nicht: „Der KfZ-Werkstatt im Erdgeschoss wurde bereits gekündigt, jetzt war unsere Etage an der Reihe“, sagte er der taz. Er wohne und arbeite dort seit 17 Jahren.
Katrin Schmidberger, Grüne
Auch auf den anderen Etagen sei diese Mischnutzung etabliert – Kreuzberger Mischung eben. Und im übrigen habe der Bote noch mehrere Umschläge dabei gehabt, konnte diese aber nicht zustellen, berichtet B.
Ebenfalls empört über diesen Kündigungsversuch ist Katrin Schmidberger, grüne Sprecherin für Wohnen im Abgeordnetenhaus Berlin. Sie sagt: „In dieser Situation Leute aus Ihren Arbeits- und Lebensräumen rauszuwerfen, zeugt von Verantwortungslosigkeit par excellence.“
Schmidberger kennt die engagierte Hausgemeinschaft schon länger und hatte vergangenes Jahr dabei geholfen, ein Vorkaufsverfahren einzuleiten. Auch sie erinnert sich daran, dass Rocket Internet stets zugesichert hätte, dass Mieter:innen keine Angst vor Verdrängungen haben müssten, wie sie der taz sagte.
„Der Fall ist ein trauriges Beispiel dafür, dass wir eine bundesgesetzliche Regelung zum Schutz von Mietern brauchen“, sagt Schmidberger angesichts der Corona-Pandemie. „Wie will man erwarten, dass Leute mit gutem Beispiel vorangehen, wenn solche Unternehmen so mit ihren Mietern umgehen?“
Als Lösung auf Bundesebene schwebt ihr ein Wohnfonds vor, der Mieter:innen, aber auch kleinen Vermieter:innen in finanzieller Schräglage helfen soll. Man müsse das auf Bundes- und Landesebene mit Vertretern von Mieter- und Wohnungsverbänden diskutieren. Denn mit finanziellen Problemen angesichts von Corona sind Mieter:innen der Urban67 nicht allein, so Schmidberger: „Auch andere Gewerbetreibende und Clubbetreiber haben sich bereits bei mir gemeldet.“
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