Robert Habeck über deutsche Bräsigkeit: „Wir haben es verlernt zu streiten“

Was tun, wenn Wutbürger lauter werden? Der Spitzengrüne plädiert für republikanisches Bewusstsein – und sieht die Chance für Schwarz-Grün schwinden.

Robert Habeck

„Wir können uns kommode Bräsigkeit nicht mehr leisten“, sagt Robert Habeck. Foto: dpa

taz: Herr Ha­beck, mein Ein­druck ist: Ängs­te ma­chen wie­der stär­ker Po­li­tik. Wie sehen Sie das?

Ro­bert Ha­beck: Ich stim­me zu. Ich er­le­be in mei­nem po­li­ti­schen All­tag eine sehr kon­kre­te Furcht vor Ver­än­de­rung. Men­schen sagen Nein zu Wind­rä­dern, Nein zu Na­tur­schutz­ge­bie­ten, sogar Nein zum Rück­bau der Atom­kraft­wer­ke. Ein biss­chen mehr Ja wäre gut in Deutsch­land.

Woran liegt es, dass Mut zur Man­gel­res­sour­ce wird?

Das hat viel mit Psy­cho­lo­gie zu tun. Un­se­re Ge­sell­schaft wird älter, sie hat Angst vor Neuem, vor der Glo­ba­li­sie­rung, der Di­gi­ta­li­sie­rung. Wir sind we­ni­ger wa­ge­mu­tig und scheu­en aus Angst vor Feh­lern Ent­schei­dun­gen – auch in der Po­li­tik. Wir kom­men aus einer Phase der Selbst­ent­mün­di­gung und Sta­gna­ti­on.

Sie mei­nen die sa­tu­rier­ten Mer­kel-Jah­re?

Ich zeige nicht mit dem Fin­ger auf An­ge­la Mer­kel per­sön­lich. Ir­gend­wie wünsch­ten wir es uns ja so, dass Po­li­tik un­spek­ta­ku­lär ist, dass alles al­ter­na­tiv­los läuft, weil es auch herr­lich be­quem ist. Da­durch haben wir es aber ver­lernt zu strei­ten.

Wie bitte? Die AfD for­mu­liert Mei­nun­gen, die vor ein paar Jah­ren un­sag­bar waren – und im Netz tobt ein Wir­bel­sturm.

Robert Habeck, 46 Jahre, ist Vizeregierungschef und Energiewendeminister in Schleswig-Holstein. Er arbeitete vor seiner politischen Karriere als Schriftsteller. In einem seiner Bücher hat er sich zum Beispiel mit linkem Patriotismus auseinandergesetzt. Linksliberale, so eine These, dürften den Begriff Heimat nicht Konservativen überlassen. Habeck will im Bundestagswahlkampf 2017 Spitzenkandidat der Grünen werden.

Genau. Jetzt gibt es viel Raum für laute Wut­bür­ger und eine brei­te, stil­le Re­si­gna­ti­on. Bei­des ist ge­fähr­lich, bei­des sucht keine Ant­wor­ten. Es muss doch um­ge­kehrt lau­fen. Dif­fe­ren­zen und Kon­flik­te be­nen­nen, aus­hal­ten, eine Lö­sung fin­den.

Wir brau­chen also eine Po­li­ti­sie­rung des Po­li­ti­schen?

Genau. Wir kön­nen uns diese kom­mo­de Brä­sig­keit nicht mehr leis­ten. Un­ge­rech­tig­keit, schei­tern­des Eu­ro­pa, die Not­wen­dig­keit, an­ders zu wirt­schaf­ten – wir müs­sen nach vorne gehen. Pro­gres­si­ve Po­li­tik muss den Men­schen er­klä­ren, dass Re­na­tio­na­li­sie­rung und Klaus­tro­pho­bie ihnen eben nicht mehr Si­cher­heit geben wer­den.

Die Grü­nen haben in der Flücht­lings­po­li­tik Mer­kel lange of­fen­siv ge­lobt. Ver­ant­wor­tet auch Ihre Par­tei den Man­gel an klu­gem Streit?

An­ge­la Mer­kel hat sehr lange eine hu­ma­nis­ti­sche Po­si­ti­on gegen die De­mü­ti­gun­gen der CSU durch­ge­hal­ten. Das hat auch mir im­po­niert. Es war voll okay, ihr den Rü­cken zu stär­ken …

Das will die Regierung: Das Kanzleramt hält trotz des Widerstands der Grünen an dem Plan fest, Marokko, Tunesien und Algerien zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Eine Verabschiedung bleibe auf kurze und mittlere Sicht unentbehrlich, schreibt Kanzleramtschef Peter Altmaier in einem internen Brief an die Länder-Grünen. In dem Schreiben, das der taz vorliegt, heißt es: Auch mit Blick auf die Entwicklung auf der zentralmediterranen Route bedürfe es eines „entschlossenen Signals“.

Das ist das Argument: Die Regierung hofft auf einen abschreckenden Effekt. Flüchtlinge, die aus den nordafrikanischen Staaten kommen, könnten durch das Gesetz unkomplizierter abgeschoben werden. Im Moment steigen die Flüchtlingszahlen auf der Mittelmeer-Route.

Das wollen die Grünen: Die meisten der von Grünen mitregierten Bundesländer lehnen das Gesetz ab und weisen auf Menschenrechtsverletzungen in den drei Staaten hin. Deshalb wird die Entscheidung im Bundesrat wohl erneut verschoben. Die Grünen haben Alternativen für schnelle und faire Asylverfahren vorgeschlagen. (us)

Die Grü­nen haben sich hin­ter Mer­kel ge­duckt, weil sie selbst keine bes­se­ren Ant­wor­ten wuss­ten.

Das ist etwas sehr zu­ge­spitzt. Aber auch nicht völ­lig falsch.

Wo war der pro­mi­nen­te Grüne, der for­der­te, ein paar Hun­dert­tau­send Flücht­lin­ge legal ein­zu­flie­gen?

Das Asyl, das wir so ver­tei­di­gen, kann man erst in Eu­ro­pa be­an­tra­gen. Das treibt Flücht­lin­ge unter Le­bens­ge­fahr aufs Mit­tel­meer und fi­nan­ziert die Schleu­ser­ban­den. Und die­je­ni­gen, die kein Geld, keine so­zia­len Netz­wer­ke oder nicht genug Bil­dung haben, blei­ben im Krieg zu­rück. Die Al­ter­na­ti­ve wären Visa und Re­sett­le­ment-Plät­ze für Eu­ro­pa, die aber schon in den Nach­bar­län­dern der Kri­sen­re­gio­nen ge­prüft und ver­ge­ben wer­den. Auch das bringt Fra­gen, ­Probleme und Här­ten mit sich, aber so wie es ist, ist es doch nicht gut.

Seit wegen der Grenz­schlie­ßun­gen in Eu­ro­pa nur noch we­ni­ge Flücht­lin­ge in Deutsch­land an­kom­men, ist das Thema kaum noch prä­sent. Keh­ren wir in die Wohl­fühl­zo­ne zu­rück?

Ja. Wir dis­ku­tie­ren das schon wie­der im Modus der Kom­fort­zo­ne – und stel­len uns der Frage, wie ein hu­ma­nes Eu­ro­pa unter den Be­din­gun­gen gro­ßer Flucht­be­we­gun­gen wirk­lich funk­tio­nie­ren kann, nicht ernst­haft. Dabei hat sich die Lage in und um Sy­ri­en null ver­bes­sert.

Die Ent­schei­dung, Tu­ne­si­en, Ma­rok­ko und Al­ge­ri­en zu si­che­ren Her­kunfts­staa­ten zu er­klä­ren, wird im Bun­des­rat wohl er­neut ver­scho­ben. Stop­pen die Grü­nen die­ses Ge­setz?

Wir haben der Bun­des­re­gie­rung ein an­de­res Kon­zept vor­ge­schla­gen. So lange sie aber auf dem fal­schen In­stru­ment be­harrt, kann ich mir nicht vor­stel­len, dass die grün mit­re­gier­ten Län­der ihr mehr­heit­lich fol­gen.

Einen Deal mit der Bun­des­re­gie­rung nach der Som­mer­pau­se schlie­ßen Sie aus?

Lö­sun­gen gibt es – aber nur jen­seits der Aus­wei­tung der si­che­ren Her­kunfts­län­der. Wir wol­len schnel­le und gleich­zei­tig faire Ver­fah­ren, damit es für alle früh Klar­heit gibt. Aber die Bun­des­re­gie­rung konn­te nicht aus­räu­men, dass im Magh­reb po­li­ti­sche Ver­fol­gung, un­mensch­li­che oder er­nied­ri­gen­de Be­hand­lung statt­fin­det.

Die Grü­nen haben bis­her alles, was Mer­kels Ko­ali­ti­on woll­te, im Bun­des­rat ab­ge­seg­net. Woher kommt plötz­lich der Re­vo­luz­zer­geist?

Es ist der glei­che Geist, der beim letz­ten Asyl­kom­pro­miss zur Zu­stim­mung ge­führt hat. Wir schau­en uns die Si­tua­ti­on kon­kret an und ma­chen kon­kre­te Vor­schlä­ge. Es stimmt üb­ri­gens nicht, dass die Grü­nen über­all zu­stim­men. Bei den Flücht­lin­gen, der En­er­gie­wen­de oder beim Fra­cking, selbst bei der Erb­schaft­steu­er haben wir ja nicht ab­ge­nickt, was die Ko­ali­ti­on uns vor­ge­setzt hat, son­dern viele Ver­bes­se­run­gen durch­ge­setzt.

Ist ein kla­res Nein viel­leicht manch­mal sehr kon­struk­tiv?

Nur dann, wenn das Nein auch ein An­ge­bot für ein Ja ent­hält.

Das Her­kunfts­staa­ten-Ge­setz igno­riert Men­schen­rech­te. So was zu ver­hin­dern, ist nichts Schlech­tes.

Die si­che­ren Her­kunfts­län­der wer­den zu allem Mög­li­chen um­funk­tio­niert. Das zu lö­sen­de Pro­blem in die­sem Fall ist, dass Ma­rok­ko, Tu­ne­si­en und Al­ge­ri­en die Men­schen, die ab­ge­scho­ben wer­den müs­sen, gar nicht zu­rück­neh­men. Und dass alle Men­schen, die aus Not und Elend nach Deutsch­land wol­len, Asyl be­an­tra­gen müs­sen, weil es keine an­de­re Mög­lich­keit für sie gibt.

Wie sähe Ihre Ant­wort aus?

Ich bin für ein Ein­wan­de­rungs­ge­setz, das Men­schen jen­seits von Asyl eine faire, le­ga­le Chan­ce gibt.

Nicht sehr ori­gi­nell. Das will sogar Herr Tau­ber von der CDU.

Warum ma­chen sie es dann nicht? Ein­wan­de­rung zu er­mög­li­chen und zu or­ga­ni­sie­ren heißt al­ler­dings auch, zu ent­schei­den, wer kom­men darf und wer nicht.

Warum muss man Gren­zen zie­hen?

Türen zu öff­nen heißt nicht, sie raus­zu­rei­ßen. Das wäre Kon­troll­ver­lust und höhlt die Le­gi­ti­mi­tät staat­li­chen Han­delns aus. Aber die Türen aus Angst zu schlie­ßen, hieße sich dem Frust über die De­mo­kra­tie, der Ver­ro­hung und den Angst­ma­chern zu beu­gen. Das müs­sen wir kon­tern.

Wie?

Durch re­pu­bli­ka­ni­sches Be­wusst­sein. Das müs­sen wir ver­tei­di­gen. Deutsch­land ist ein of­fe­nes, li­be­ra­les und ent­spann­tes Land ge­wor­den. Und die­je­ni­gen, die es eng und ängst­lich ma­chen, spre­chen nicht für es. Sich zu trau­en, das zu sagen, das ist die neue Rolle der Grü­nen. Wir dür­fen uns nicht auf den Wett­lauf der Ha­sen­fü­ße ein­las­sen.

Apro­pos Wett­lauf. Sie wol­len Spit­zen­kan­di­dat im Bun­des­tags­wahl­kampf wer­den und damit …

Jetzt kommt’s.

… Mi­nis­ter im nächs­ten Ka­bi­nett Mer­kel. Sagen wir: Su­per­mi­nis­ter für En­er­gie, Wirt­schaft und Um­welt.

(Lacht) Darf ich dar­auf hin­wei­sen, dass CDU, CSU und Grüne der­zeit zu­sam­men nur 45 Pro­zent hät­ten? Genau so viel wie Rot-Rot-Grün …

Wie sehen Sie die Grü­nen im Wahl­kampf 2017?

Mutig, kamp­fes­lus­tig, op­ti­mis­tisch. Noch eine Par­tei, die die Hosen voll hat, braucht kein Mensch. Wir waren frü­her eine Pro­test­par­tei, heute sind wir die neue Ori­en­tie­rungs­par­tei.

Ja nun. Ori­en­tie­rung geben, das wol­len doch alle.

Wol­len und ein­lö­sen sind aber zwei paar Stie­fel. CDU und SPD ver­tü­deln sich in Selbst­wi­der­sprü­chen. Sie kön­nen nicht mehr er­klä­ren, was ei­gent­lich ge­ra­de pas­siert.

Haben Sie ei­gent­lich den Ein­druck, dass die schwarz-grü­ne Op­ti­on einen guten Lauf hat?

Mir egal. Alle Par­tei­en wis­sen, dass sie 2017 viel­leicht mit Part­nern re­gie­ren müs­sen, die sie sich nicht un­be­dingt aus­ge­sucht hät­ten. Ent­schei­dend ist für die Grü­nen, ob das zur stra­te­gi­schen Un­ter­wer­fung führt, oder ob man als freie Men­schen Bünd­nis­se ver­han­delt.

Die AfD wächst, die CSU ra­di­ka­li­siert sich. Wie sol­len Grüne da mit der Union re­gie­ren?

Sie haben recht. Die re­ak­tio­nä­ren Kräf­te in der Union ge­win­nen Ober­was­ser. Aber von mir aus hören wir auf mit Malen nach Zah­len-Farb­spiel­chen, son­dern reden wie­der über Po­li­tik.

Die Far­ben­spiel­chen de­fi­nie­ren, wie sehr und in wel­che Rich­tung die Grü­nen die Ge­sell­schaft än­dern wol­len.

Das wäre ein rein tak­ti­sches Ver­ständ­nis von Po­li­tik. Es hieße, dass wir uns als Par­tei nicht mehr selbst de­fi­nie­ren.

Wofür stün­de das Pro­jekt Schwarz-Grün aus Ihrer Sicht?

Sie geben nicht auf, oder? Schwarz-Grün ist kein Pro­jekt. Die Zeit der Grü­nen als Pro­jekt­par­tei ist ge­nau­so vor­bei wie die Zeit als Pro­test­par­tei.

Dann an­ders: Was wäre der Reiz von Schwarz-Grün?

Viel­leicht, dass sich die CSU von der CDU ab­spal­tet … Soll ich jetzt an­fan­gen, Spie­gel­stri­che auf­zu­zäh­len?

… der wich­tigs­te reicht.

Der Kli­ma­schutz ist ent­schei­dend. Al­ler­dings nicht als Ni­schen­the­ma in einem Mi­nis­te­ri­um, son­dern als po­li­ti­scher An­satz, der sich durch alle wich­ti­gen Be­rei­che zieht – von der En­er­gie- über die Ver­kehrs- und Agrar­po­li­tik bis zur Au­ßen­po­li­tik.

Und die Union macht mit? Ernst­haft?

Wol­len wir ernst­haft wei­ter Öl­hei­zun­gen för­dern und den Wah­ha­bis­mus in Sau­di-Ara­bi­en fi­nan­zie­ren? Es gibt Alterna­ti­ven.

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