Roald Dahls „Hexen hexen“ neu verfilmt: Erwachsene sind furchterregend
Robert Zemeckis hat Roald Dahls Klassiker „Hexen hexen“ neu verfilmt. Anders als im Buch wird nicht geraucht. Disability-Aktivist*innen üben Kritik.
Der Schriftsteller Roald Dahl traut Kindern einiges zu. Die Held*innen seiner Bücher verlieren ihre Eltern; sie hungern und werden in Blaubeeren verwandelt; sie sind auf der Flucht vor gefräßigen Riesen – und vor Hexen, die sie abgrundtief hassen. „Adults can be scary“, fasste Dahl das einst zusammen.
Auch jene Erwachsenen, denen man vertraut, können scary sein: In „Hexen hexen“, einem Spätwerk des 1990 verstorbenen Dahl aus dem Jahr 1983, zieht der kindliche Ich-Erzähler nach dem Unfalltod seiner Eltern zu seiner Großmutter nach Norwegen. Die Oma ist eine versierte Erzählerin und vertreibt sich und ihrem Enkel die Zeit mit Geschichten über Hexen.
Dabei raucht sie schwarze Zigarren, verheddert sich ab und an in der Dramaturgie und versucht dann, ihren Enkel auf unkonventionelle Art abzulenken: „ ‚Willst du mal an meiner Zigarre ziehen?‘, fragte sie. – ‚Ich bin erst sieben.‘ – 'Es ist mir egal, wie alt du bist’, antwortete sie. ‚Wenn du Zigarren rauchst, kriegst du niemals eine Erkältung.‘ “
Klar, dass eine filmische Adaption aus dem Jahr 2020 den Tipp mit den Zigarren nicht übernimmt. In Robert Zemeckis’ neuer, in den 1960ern spielender Fassung des Klassikers ist Oma (Octavia Spencer) eine herzliche und beherzte Südstaatenfrau, die ihrem traumatisierten Enkel in den ersten zehn Filmminuten bereits drei Riesen-Soulklassiker um die Ohren haut, um ihn aus der kummerbedingten Reserve zu locken.
„Hexen hexen“. Regie: Robert Zemeckis. Mit Anne Hathaway, Octavia Spencer u. a. USA 2020, 106 Min. Läuft auf Sky.
Der Junge reagiert zwar nicht auf „Reach Out (I’ll be There)“ von The Four Tops. Aber über Otis Reddings tröstlichen „(Sitting on) The Dock Of The Bay“ geht es ratzfatz zum Groove von „It’s Your Thing“ – und Oma und Enkel können in neugewonnener Zweisamkeit das Anti-Hexen-Abenteuer beginnen.
Denn das piekfeine Hotel an der Küste, in dem sie absteigen, um eine Hexenbegegnung zu Hause zu vergessen, ist zufällig der Tagungsort der „Königlichen Gesellschaft zur Verhinderung von Kindesmisshandlungen“, der gemeine Tarnname eines furchtbaren Hexenkonvents, angeführt von der snobistischen „Hoch- und Großmeisterhexe“ (Anne Hathaway). Die bei ihrem ersten Auftritt auch stilgemäß zeigt, wo der Besen hängt: Sie betritt den Saal in einer schwarz-weißen Retrokombination, die Glenn Close in „101 Dalmatiner“ alle Ehre gemacht hätte.
Später kommt noch ein Abendkleid mit einer Borte aus einer lebendigen Schlange zum Einsatz. Und – neben geräuschvollen Highheels und opulenten Kopfbedeckungen – passende Handschuhe.
Die Hexe spricht jetzt mit russischem Akzent
Hexen, erzählt Oma in der neuen Adaption, haben nämlich von Natur aus nur drei (krallenartige) Finger. Und als ob das nicht ängstigend genug ist, haben sich die Macher*innen des Films entschieden, die vom ehemaligen Royal-Airforce-Piloten und WWII-Soldaten Roald Dahl als deutschen Akzent angelegte Sprechweise der Oberhexe („A vitch who dares to say I’m wrrrong / vill not be vith us very long!“), die in Nicolas Roegs vor 30 Jahren entstandener erster Verfilmung in Anjelica Hustons Interpretation der Oberhexe „Eva Ernst“ klar erkennbar ist, als Russisch zu interpretieren: Hathaway rollt die Rrrrs, als ob sie vom Zaren dafür einen Sack Rubel bekäme. Den sie gar nicht bräuchte übrigens: In ihrer Hotelsuite, die der durch einen Zaubertrank in eine Maus verwandelte Protagonist gemeinsam mit zwei weiteren Mäusekindern nach jenem tückischen Trank durchsucht, hortet die Oberhexe das Geld.
Auf einer symbolischen Metaebene kann man in Zemeckis’ temporeicher und bildstarker, aber dennoch erstaunlich actionarmer Adaption also einiges an positiven und negativen Emblemen entdecken – wenn man möchte. Dass die Hexen die hohen Schuhe nur tragen, um ihre zehenlosen Füße zu verbergen, und das Schuhwerk somit bei geschlossenen Türen genauso aufatmend abstreifen wie die Tarnhandschuhe und die glatzenverdeckenden Perücken, lässt sich zum Beispiel feministisch interpretieren: Sind hohe Schuhe, gepflegte Nägel und gemachte Haare nicht auch die Insignien normativ als hübsch und gefällig geltender Frauen – und dürfen diese darum nicht auch einmal die Hexe herauslassen?
Es ist darüber hinaus kein Zufall, dass Zemeckis’ Hexen (größtenteils) weiß sind, seine Protagonist*innen aber schwarz – auch wenn ein Rassismusstatement (immerhin spielt der Film in den Südstaaten der 1960er) mehr erahnt als getätigt wird. Dass eine US-amerikanische Produktion zudem den russischen Akzent als feindlicher empfindet als die britische Adaption aus dem Jahr 1990 den deutschen, passt ebenfalls.
Zemeckis’ Film ist neben der (wenn man so will) Russenfeindlichkeit übrigens auch noch glatzenfeindlich – und diskriminierend gegenüber dicken, britischen Kindern: als „chubby little English kid“ bezeichnet der Maus-Protagonist seinen Kumpel.
Aktivist*innen kritisieren Behinderung als Kostüm
Die „Stigmatisierung deformierter Hände“ brachte dazu noch kürzlich britische Disability-Aktivist*innen gegen den Film auf, die unter dem Hashtag #notawitch Fotos von sich und ihren unterschiedlich geformten Händen posteten. Sie warfen dem Film vor, „eine Behinderung als Kostüm zu benutzen, um einen bösen Charakter zu kennzeichnen“.
Obwohl dahinter vermutlich eher steht, dass die Klauen unter den Handschuhen eine ständige manu cornuta bilden, die auch im Hardrock vielgenutzte gehörnte Teufelshand – ein Symbol, das Zemeckis zu subtil einsetzt, um sich den Vorwürfen komplett zu entziehen.
Andere Kritiker*innen weisen auf angeblich antisemitische Klischees im Buch, in der ersten und auch der aktuellen Verfilmung hin: Die Nasen (zumindest im 1990er Film tragen die Hexen menschliche Gesichtsmasken über langnasigen Horrorgesichtern), das Geldhorten, und die brutalste aller unsinnigen Lügen: der Kindermord.
Diese verabscheuungswürdigen Klischees entdeckt allerdings nur, wer sie kennt. Auch durch diese im Gegensatz zum Vorgänger schwächere neue Verfilmung zieht sich vor allem Dahls leidenschaftlichste Intention: Kinder zu ermächtigen, ihnen beizubringen, in einem gesicherten Umfeld (einer klar fantastischen Erzählung) mit ihren Ängsten umzugehen.
Denn den Schrecken, der tatsächlich von Erwachsenen ausgeht, kann man manchmal nur verschwinden lassen, wenn man ihm mit eigener Stärke begegnet. Und das ist dann echte Hexerei.
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