Neuer Film über Hexenverfolgung: Die Inquisition der Frauenhasser

Religiöser Wahn, Angst, Misogynie und Lustfeindlichkeit prägen das Verhältnis der Geschlechter im Film „Tanz der Unschuldigen“ von Pablo Agüero.

Dämmerungslicht, man sieht die Silhouetten sechs junger Frauen mit langen Röcken vor dem Himmelund Tamborin in einer Reihe

Treffen in der Dämmerung, sechs junge Frauen aus dem Dorf in der Zeit der Inquisition Foto: Akelarre Filmpicture

„Nichts ist gefährlicher als eine tanzende Frau“. Rostegui (Alex Brendemühl) bereist als Inquisitor das Spanien des Jahres 1609 und weiß, was er sagt. Der religiöse Mann kennt die Geschichte, die sich einst in Straßburg abspielte: Eine Frau, erzählt man, habe begonnen, sich manisch zu einem inneren Rhythmus zu bewegen, so lange, bis sie vor Erschöpfung tot zusammenbrach. Und sie steckte andere an – Hunderte Menschen tanzten sich bei der im Mittelalter mehrfach auftretenden sogenannten „Tanzwut“ zu Tode.

So etwas kann nur Hexerei sein, davon ist Rostegui überzeugt. Die sechs halbwüchsigen Mädchen aus einem Dorf an der baskischen Küste, die er wegen ihrer angeblichen Teilnahme an Hexentänzen festnehmen und einsperren ließ, sind demnach ebenfalls Hexen. Um ihnen den Prozess, einfacher gesagt den Garaus per Scheiterhaufen zu machen, muss er ihnen nur den Pakt mit dem Teufel nachweisen.

Aber die Clique um die fantasievolle Ana (Amaia Aberasturi) kommt dahinter, was Rostegui und seine Schergen eigentlich umtreibt: Es ist kein Zufall, dass sie sich ausgerechnet sechs junge Frauen holten, um sie bei der „peinlichen Befragung“ zu foltern – und ihre entblößten Körper dabei nach Teufelsmalen abzusuchen.

In Wahrheit wurden Menschen jeden Alters im Mittelalter Opfer der brutalen Hexenverfolgung: Zwischen 40.000 und 60.000 verloren dabei in Europa ihr Leben. Doch drei Viertel davon waren weiblich.

Verklemmt-lüsterne Motive

„Tanz der Unschuldigen“. Regie: Pablo Agüero. Mit Alex Brendemühl, Amaia Aberasturi u. a. Spanien/Frankreich/Argentinien 2020, 92 Min.

Läuft auf Netflix

Während der Hexen-Boom der letzten Jahre viele Narrative hervorbrachte, die als Prämisse tatsächliche Magie anboten, fokussiert der argentinisch-französische Regisseur Pablo Agüero auf die verklemmt-lüsternen Motive des Inquisitors, den die Teenager durch ihr Versprechen, ihm einen echten „Hexensabbat“ vorzuführen, ein paar Tage hinzuhalten versuchen. Bei Vollmond, hofft Ana, kommen nämlich die mit den Gezeiten fischenden Männer des Dorfes vom Meer zurück – und könnten ihre Töchter retten.

Der zwischen der harten Realität des Gefängnisses und unwirklichen Waldbildern wechselnde Thriller erzählt somit einerseits vom kaputten Verhältnis der Geschlechter, geprägt durch religiösen Wahn, Angst, Misogynie und Lust­feindlichkeit. Und davon, wie sich der christlich-heteromänn­liche Hass auf die eigene Begierde mithilfe von religiösem Unfug in Hass auf Frauen(körper) verwandelt.

Andererseits ist „Tanz der Unschuldigen“, im Original „Ake­larre“ (baskisch für Hexensabbat), ein Kommentar zum komplexen Zusammenleben der Völker: „Sprich wie eine Christin“, herrscht der aus der Region stammende Franziskaner-Pater Cristóbal (Asier Oruesagasti) Ana an, als sie ihn in ihrem (und seinem) Idiom um Beistand bittet. Die auch sprachliche Distanz zu den spanischen Soldaten isoliert die Heranwachsenden somit noch stärker: Sie haben nichts – außer jener ominösen Macht, wegen der ihre Peiniger sie quälen, die sie ihnen aber damit auch zugestehen.

Nachthemdmädchen am Lagerfeuer

Agüeros Film beherrscht dieses Spannungsverhältnis nicht immer: Zuweilen zerfasert seine Dramaturgie und lässt die Erzählung, in der neben der Selbstermächtigungs- auch die klassische Gut-gegen-Böse-Geschichte steckt, in einem modernen Tanzfilm mit Lagerfeuer versickern, der sich ästhetisch am Rande des Kitschs bewegt.

Doch vor allem Brendemühl und seine Nemesis Amaia Aberasturi spielen ihre Gegnerschaft mit Würde und Passion. Und Agüeros Haltung ist eindeutig: Trotz flirrender Bilder von langhaarigen Nachthemdmädchen fällt er nie in den Male Gaze seiner porträtierten Frauenhasser. Stattdessen lässt er die Protagonistinnen ihre eigenen Zaubersprüche spinnen: Wenn sie selbst dran glauben, könnten diese sogar wirken.

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