Kampf gegen DuPont als Filmthriller: Besser leben mit Chemie

Ein echter Umweltskandal: Todd Haynes schickt in seinem Thriller „Vergiftete Wahrheit“ Mark Ruffalo gegen den Chemiekonzern DuPont ins Rennen.

Zwei Männer stehen auf einem Strohfeld vor einem alten Auto

Der Bauer und der Anwalt, gemeinsam kämpfen sie gegen das Gift des Chemiekonzerns DuPont Foto: Tobis

Die Kuhweide ist übersät mit Grabhügeln. 190 seiner Rinder seien tot, sagt der Farmer Wilbur Tennant (Bill Camp) aufgebracht – bis jetzt jedenfalls, das Sterben gehe weiter. Die Organe, unter anderem die Gallen, seien stark vergrößert, die Zähne braun, die Hufe der Kälber wüchsen krumm, die Tiere verhielten sich merkwürdig aggressiv. Sein Gast, der junge Rechtsanwalt Rob Bilott (Mark Ruffalo) bekommt schnell einen Eindruck: Plötzlich kommt eine Kuh bedrohlich auf die beiden zugewankt. Tennant muss sie erschießen. Schwer sackt sie auf den schmierigen Boden.

Die Umgebung, in der ein Rechtsanwalt einem der größten Umweltskandale der US-Geschichte auf die Spur kommt, ist so schmutzig grau wie der Himmel über West Virginia. Nichts an „Vergiftete Wahrheit“, im Original „Dark Waters“, lässt an satte Felder neben majestätischen Blue Ridge Mountains, an „almost heaven“ und den malerischen „misty taste of moon­shine“ denken, den John Denver in „Take Me Home, Country Roads“ besang.

Dass der Song dennoch irgendwann zu hören ist, als Bilott mit seinem Auto durch das Bundesland kurvt, macht den musikalisch aufkommenden Heimatfilm-Vibe zu einem kalten Schauer. Denn Todd Haynes’ Drama nach einer wahren Geschichte ist ein „Legal Thriller“ – ein Krimi, in dem die Justiz und ihre Tücken und Haken selbst eine Rolle spielen.

In diesem Fall ist die Rechtsprechung der Gegen-, aber auch Mitspieler von Bilott, einem – zu Beginn des Rechtsstreits – jungen Juristen aus Ohio, der als Unternehmensanwalt arbeitet. Als Bauer Tennant ihn wutschnaubend in der Großstadtkanzlei aufsucht und die Untersuchung des mysteriösen Kuhsterbens verlangt, er verdächtigt eine nahegelegene Mülldeponie, giftige Abfälle in den Bach zu verklappen, muss Bilott zunächst abwägen: Seine Kanzlei vertritt auch Firmen wie den Chemiekonzern DuPont, der jene Deponie betreibt. Und DuPonts Anwalt Phil Donnelly (Victor Garber) ist nicht nur ein guter Freund von Bilotts Kanzlei, sondern versichert stante pede die Umweltverträglichkeit sämtlicher Produkte sowie seine Hilfe bei der Aufklärung des Verdachts.

„Vergiftete Wahrheit“. Regie: Todd Haynes. Mit Mark Ruffalo, Anne Hathaway u. a., USA 2019, 126 Min.

Doch Bilott, dessen Oma unweit von Tennants Farm ein Haus hat, entscheidet sich, der Sache nachzugehen. Daraus entsteht ein Verfahren, das 17 Jahre lang dauern wird und bei dem der langen Zeitraum wegen der schweren, durch DuPonts Gifte entstandenen Erkrankungen vieler Klä­ger*in­nen doppelt skandalös ist: Einige starben, bevor der Großkonzern im Jahr 2015 über 617 Millionen Dollar an die verbleibenden Opfer zahlen musste.

Regisseur Todd Haynes und die Drehbuchautoren Matthew Michael Carnahan und Mario Correa erzählen die Adaption eines 2016 erschienenen Artikels aus dem New York Times Magazine nach dem in US-Heldensagas beliebten David-gegen-Goliath-Prinzip: anhand der Entwicklung des Anwalts, der alles ins Rollen brachte. Ruffalos Rob Bilott ist ein bibeltreuer, integrer, nicht besonders großer Mann, dessen politische Haltung wächst, je gramgebeugter sein Körper wirkt.

Bilotts Frau Sarah (Anne Hathaway), die ihre eigene Karriere zugunsten der Kindererziehung zurückgestellt hat, sieht man mit einem, zwei, dann drei Söhnen; Autos, Moden und Handys ändern sich dezent, aber stetig, die Kinder werden zu Teenies, während Bilotts Haare ergrauen und die Nerven seine Hände zittern lassen – doch die Sache mit DuPont entwickelt sich nur langsam. Zunächst schickt der DuPont-Anwalt Donnelly, den Bilott inzwischen gegen sich aufgebracht hat, Hunderte Boxen mit Papierkram zur Akteneinsicht – und rechnet nicht mit Bilotts stoischem Fleiß: Dieser setzt sich hin und sortiert.

Er kann schließlich die Spur, welche die Chemikalie PFOA (Perfluoroctansäure, auch „C8“ genannt) bei den Menschen hinterlässt, bis in die 50er Jahre zurückverfolgen: Damals, als die antihaft-beschichtete Teflonpfanne ihren Siegeszug durch die Haushalte antrat, wurde PFOA in der DuPont-Erfindung Teflon eingesetzt. Der Stoff ist – neben vielen anderen Dingen – beim Menschen schwer krebserregend und verursacht Missbildungen bei Föten im Mutterleib. DuPont wusste das von Anfang an, beauftragte sogar eigene Studien.

Bilott dagegen weiß am Beginn seiner Recherche nicht einmal, was die Abkürzung bedeutet und sitzt in einer Szene aus der Prä-Google-Ära der 1990er vor einem dunkel flackernden Bildschirm, um die Buchstaben erfolglos bei der Umweltbehörde EPA einzutippen: Dort sind sie ebenfalls nicht bekannt, darum gibt es keine Regularien zu deren Einsatz. In authentischer Retro-Ästhetik zeigt der Film auch, dass das Recherchieren langwierig, der Informationsfluss schleppend und das Vergleichen aufwendig war.

Nicht, dass das heutige blitzschnelle World Wide Web An­wäl­t*in­nen faul macht. Aber Ausdauer ist definitiv die Hauptqualität des ansonsten unscheinbaren Bilott, dessen Gesichtsfarbe sukzessiv den Ton der grünlichen Homecomputer-Buchstaben annimmt, während sein Kampfesmut in Verzweiflung umschlägt.

Die Geschichte der Fehde gegen die unmoralische Industrie hat Regisseur Haynes in drei Teile gegliedert – am Ende jedes Teils stehen immer wieder die schneckengleich mahlenden Mühlen des Gesetzes: Als ein einziger Fall erkrankter Tiere nicht mehr reicht, macht Bilott seine Erkenntnisse öffentlich, damit statt einer Einzelperson die Behörde klagt. Und als ein übergeordnetes Gericht nach Jahren endlich anerkennt, dass der Kontakt mit PFOA gefährlich sein könnte, wird die Wissenschaft eingeschaltet.

Den längsten Teil des Prozesses wartet Bilott auf die Ergebnisse, die unabhängige Wissenschaftler*innen aus Tausenden von Blutproben gewinnen. Erst dann können Schmerzensgelder bewilligt werden. Und erst dann, so sieht es die auf Entschädigung ausgerichtete US-Justiz, können die Opfer aufatmen.

„Vergiftete Wahrheit“, der in Spannungsbogen und Inhalt Filmen wie Mike Nichols’ „Silkwood“, Steven Soderberghs „Erin Brockovich“ oder Gus van Sants „Promised Land“ ähnelt, in denen es ebenfalls um den Kampf des Individuums gegen die Umweltzerstörung von Konzernen geht, ist auch ein Politthriller. Einer, der trotz des Informationsgewinns und der gigantischen Ausgleichszahlungen wenig Hoffnung macht, dass es in Zukunft besser laufen könnte.

Denn immer noch werden Chemikalien verwendet, die nicht bei der Umweltbehörde gemeldet sind; noch immer kämpfen Biobauern und -bäuerinnen auf der ganzen Welt, auch in den USA, gegen den Einsatz von Giften; noch immer werden problematische Verbindungen von Behörden als Düngemittel oder Zusatzstoffe zugelassen. „Das System ist korrupt“, sagt Bilott irgendwann, als er fast aufgeben will, „ein Industriegigant kann machen, was er will.“

Diese Erkenntnis ist eine Binsenweisheit – sie ist dennoch die vergiftete Wahrheit und das Armutszeugnis einer Gesellschaft. Bilotts überstandener Kampf passt in unsere Zeit, in der die Fronten zwischen den Misstrauischen und den Allesschluckern härter werden, während esoterisch bedingte Abwehrhaltungen gegen Schulmedizin die Diskurse heftig aufmischen.

Der von DuPont in den 1940ern ausgegebene Happy-Housewive-Slogan „Better living through chemistry“ wird inzwischen schon lange nur noch ironisch im Zusammenhang mit chemischen Spaßdrogen benutzt, die sedationsfreundliche Stonerrockband Queens of the Stone Age nannte einst sogar einen Song so. Am Ende von „Vergiftete Wahrheit“ singt jedoch Johnny Cash seine Widerstandsballade „I won’t back down“ – es ist ein kurzer Moment der Hoffnung.

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