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Rio Reisers ResidenzNichts als Scherben

Die ehemalige Residenz von Rio Reiser in der nordfriesischen Gemarkung Fresenhagen steht zum Verkauf – weil den Erben die Kosten über den Kopf wachsen.

Na, 450.000 Euro übrig? Wie wäre es dann mit diesem wunderschönen Reetdachhof? Bild: screenshot/immobilienscout24

HAMBURG taz | Für die Eingeweihten heißt dieser Ort schlicht „Fresenhagen“. Für die Eingeweihten ist die Nachricht „Fresenhagen steht zum Verkauf“ zugleich ein Schock und ein Grund zum Schmunzeln, würden sie doch sagen: „Schon wieder?“ Fresenhagen ist nämlich eine Geschichte der Finanznöte, schon einmal musste eine Zwangsversteigerung abgewendet werden.

Außerdem ist Fresenhagen berühmt als der Rückzugsort und Freiraum von Rio Reiser und seiner Band Ton Steine Scherben. Ein bedeutungsschwerer Ort, nicht nur für Eingeweihte: „Fresenhagen ist für die deutsche Geschichte seit 1968 so wichtig wie das Goethehaus für den Weimar-Kult“ schrieb die Süddeutsche Zeitung im Jahr 2007.

Eigentümer der Immobilie sind Rio Reisers hinterbliebene Angehörige, also seine Brüder Peter und Gert Möbius und dessen Frau. Die Eigentümergemeinschaft hat einen Immobilienmakler mit dem Verkauf beauftragt. Das Angebot steht im Internet: „Künstlerdomizil in einem reetgedeckten Friesenhof mit großzügigem Grundstück“ heißt es in der Anzeige. Der Preis liegt bei 450.000.- Euro.

Rio Reiser und seine Band kauften den Hof 1975 für 50.000 Mark. Anfang der 1980er Jahre lebte auch Claudia Roth dort, die damals die Band managte, heute Parteivorsitzende der Grünen ist und zum möglichen Verkauf von Fresenhagen nichts sagen will. 1996 starb Reiser auf dem Hof und wurde auf dem Grundstück bestattet – die Sondergenehmigung dafür organisierte die damalige Ministerpräsidentin Heide Simonis.

Reisers Bruder Gert Möbius gründete zusammen mit Freunden und ehemaligen Bandmitgliedern einen Verein, um das Haus zu halten. Ein Museum wurde eröffnet, außerdem gibt es ein Tonstudio, eine Veranstaltungsscheune, ein Gästehaus und ein Café. Regelmäßig finden Konzerte statt und Fans besuchen Reisers Grab, das sich im Garten unter einem Apfelbaum befindet.

Gert Möbius hat den Verkauf in die Wege geleitet, weil in Fresenhagen die Finanzen aus dem Ruder laufen. Den Kosten für Unterhalt und Personal stehen zu geringe Einnahmen gegenüber – zu weit ab vom Schuss ist der Hof, zu gering ist das Interesse der Bevölkerung vor Ort. „In Berlin hätten wir kein Problem“, sagt Möbius, der in Berlin lebt und dort das Rio-Reiser-Archiv betreut. „Aber in Nordfriesland ist es anders.“

Förderung durch die öffentliche Hand könnte eine Lösung sein. Einen Termin bei Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen habe er angefragt, aber keinen bekommen. Auch dessen Kulturbeauftragte Caroline Schwarz habe nicht reagiert.

Möbius wäre es am liebsten, wenn „der Verein das Haus durch Spenden oder Sponsoren erhalten könnte“. Gleichzeitig läuft der Verkauf. Acht Interessenten habe es bisher gegeben, davon hätten sich zwei das Haus angeschaut, sagt Möbius. „Aber ich will das Haus nicht verscherbeln. Ich will nicht, dass da jemand reinkommt, der nichts damit zu tun hat.“ Leute, die etwas damit zu tun haben könnten, wären andere Musiker. Udo Lindenberg vielleicht. Oder Annette Humpe.

Der Makler sagt auf Anfrage, der Erhalt der Rio-Reiser-Gedenkstätte sei zwar gewünscht, aber keine Bedingung für den Verkauf. Im Ernstfall hieße das: Alles raus, das Museum, das Tonstudio, die Technik in der Veranstaltungsscheune. Und das Grab? „Rio ist Berliner“, sagt Gert Möbius. „Wenn es ernst werden würde, würde ich ihn dahin umbetten.“

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9 Kommentare

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  • S
    Sanne

    Guten Abend Herr W aus HH,

     

    ihre Bedenken in allen Ehren, aber möchte es mir nicht nehmen lassen; für einen Traum zu kämpfen!

     

    Ich habe zwar kein Geld, aber ich würde mit Leib und Seele gern dort oben leben wollen. Gern wäre ich Gastgeberin dieser wunderbaren multikulturellen Begegnungsstätte. Dieses Interesse habe ich bereits Herrn Möbius bekundet.

     

    Fresenhagen habe ich erst nach Rios Tod lieben gelernt. Es hat mich beeindruckt, was für wunderbare Menschen sich um Rio gescharrt haben(...). Es wäre traurig, wenn diese Menschen nun nicht mehr zusammen kämen.

    Das möchte ich mir nämlich auch nicht mehr nehmen lassen!

    Um Fresenhagen als solches am Leben zu erhalten; kämpfe ich. Dabei geht es mir nicht vorrangig um Rio, sondern um den Geist der nach Rios Tod dort entstanden ist. Aus vielen Sternchen sind ja mittlerweile richtige Stars geworden; da kann ich mir gut vorstellen, dass der Eine oder die Andere zu spenden bereit ist.

    Oder wie wäre es mit einer CD: zusammengestellt von Künstlern, denen der Erhalt von Fresenhagen wichtig ist?! -Aber das ist wahrscheinlich nicht profitabel genug.

     

    Ich danke soweit....

  • H
    Hamburgermünsterländer

    Liebe Sanne und alle anderen, die sich verärgert fühlen,

    Fresenhagen liegt leider am Arsch der Welt. Es gab unzählige Veranstaltungen, zu der wenige Leute ausserhalb der näheren Umgebung gekommen sind. Die Wege sind einfach zu lang. Selbst aus Flensburg oder Kiel. Konzepte gab es auch schon sehr viele, das Rad umzulenken. Aber die Größe des Hauses und die vielen Köche, die an der Suppe mitrühren wollen, machen es schier unmöglich, profitabel zu arbeiten.

     

    Den von Sanne angesprochen guten Geist kann ich nur bestätigen. Es ist ein magischer Ort, wenn man ihm entgegnet und ihn auf sich zukommen lässt.

     

    Von meiner Seite aus möchte ich zum Abschluss noch erwähnen, dass dieses Gebäude eine Altlast hat. Egal ob Rio umgebettet wird oder nicht. Egal wer dort zukünftige wohnen wird. Die Zeit wird nicht stillstehen. Das wird viele von uns aber hoffentlich nicht davon abhalten, auch in Zukunft zu diesem Ort zu fahren - bspw. zum Todestag von Rio, am 20.08., auch wenn der dann schon in Berlin verschüttet liegt.

    Was aus meiner Sicht zählt sind die Erlebnisse, die Freunde, die ich dort gefunden habe und weiterhin um mich weiss und treffe. Es ist die Lebenseinstellung und - vor allem - die Lebensfreude, die einem an dem Ort immer zuteil wurde. Das kann mir keiner nehmen!

     

    Sollte sich ein vermögender Künstler wie bspw. Udo Lindenberg (im übrigen ja auch Wahlhamburger und Münsterländer) finden und das Haus übernehmen, stehen wieder viele Köche bereit, Salz, Kochlöffel, Petersilie, Chilli, Knoblauch, Lauch, Möhren... in die Suppe zu packen. Und wieder mal sind viele Köche dabei, die es anscheinend besser wissen. Ich für meinen Teil werde dann auch zukünftig gerne mal wieder dort aufräumen, saubermachen, umräumen oder sonstige Arbeit verrichten. Entscheidungen zu treffen obliegt dem Eigentümer.

     

    So, jetzt ist auch gut gewesen.

    Wir sehen uns in Fresenhagen!!!

    Herr W aus HH

  • S
    Sanne

    Seit ca.2Wochen weiß ich, dass Fresenhagen verkauft werden soll! Diese Tatsache beunruhigt mich sehr. Es wäre sehr traurig wenn Rios Geist so völlig verschwinden würde. Jeder, der einmal in Fresenhagen war, weiß dass da ein guter Geist vorherrscht. Vielleicht täte dem Hof mal eine neue Bewirtung gut?! Ich habe mir schon viele Gedanken daran verschwendet, wie man der Künstlerstätte wieder beleben könnte (…).

    Aber mich fragt ja keiner!

  • N
    Nurich

    @Herrn Sommerfeldt

     

    ...aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird!

  • R
    rds1960

    Schade, dass sich niemand findet - z.B.von staatlicher Seite - das ganze Anwesen als Museum und Kulturzentrum zu erhalten. Mittlerweile sollte -wegen der nicht geringen kulturellen Bedeutung für die deutschsprachige Kunstszene - doch eine Art Denkmalschutz für diese Stätte gelten. Aber dies wird vielleicht erst in späteren Zeiten bewusst.

  • S
    Stuckradkracht

    Ich lebe nur wenige Kilometer entfernt. Es

    wäre sehr schade. Auch für die ganze Gegend

    hier. Mit den Finanzen sieht es in Schleswig-

    Holstein so schlecht aus, daß von dieser Seite

    keine Hilfe zu erwarten ist. Es wird lieber

    Geld in dubiose Banken gesteckt. Auch wenn

    viele Ansichten aus der 68er-Zeit heute merk-

    würdig erscheinen. Auf lange Sicht hatten die

    Scherben und ihre Mitstreiter recht.

  • V
    vic

    Carstensen und Kulturbeauftragte werden angestrengt weghören bei weiteren Anfragen. Rios ehemaliges Domizil ist nicht gerade das, was sich diese Leute unter Kultur vorstellen.

  • KS
    karl sommerfeld

    Gibt es ein Land auf der Erde,

    wo der Traum Wirklichkeit ist?

    Ich weiß es wirklich nicht.

    Ich weiß nur eins und da bin ich sicher,

    dieses Land ist es nicht. Dieses Land ist es nicht.

     

    (Der Traum ist aus

    von Ton Steine Scherben, 1972

    T/M: Rio Reiser und R.P.S. Lanrue )

  • B
    Beppi

    Ich glaube, Rio würde nicht gerne nach Berlin umgebetet werden wollen.