Rigaer Straße entzweit Polizeiführung: Polizeipräsident unbeirrt
Polizeipräsident Kandt hätte wissen müssen, dass die Teilräumung der Rigaer94 rechtswidrig war. Seine Vizepräsidentin habe frühzeitig gewarnt, heißt es.
Ob das Thema Videoüberwachung, das Einrichten einer Stelle für einen unabhängigen Polizeibeauftragten oder die Abschaffung des Verfassungsschutzes – es gibt viel zu besprechen, wenn sich Rot-Rot-Grün bei den Koalitionsverhandlungen zum Thema Innere Sicherheit trifft. Auch über Polizeipräsident Klaus Kandt wird zu reden sein. Mit Noch-Innensenator Frank Henkel (CDU) ist Kandt unverrückbar mit dem Skandal um die Rigaer Straße 94 verbunden, der im Sommer seinen Lauf nahm.
Am 22. Juni 2016 hatten 300 Polizisten die Eigentümergesellschaft Lafone Investment Limited bei der rechtswidrigen Teilräumung des autonomen Hausprojekts Rigaer94 in Friedrichshain unterstützt. Dass die Räumung rechtswidrig war, hat das Landgericht zweimal zweifelsfrei festgestellt.
Henkel und Kandt hätten das wissen müssen, als sie die Polizisten losschickten. Denn im Führungsstab der Polizei gab es nach Informationen der taz durchaus warnende Stimmen. Die Vizepräsidentin der Polizei, Margarete Koppers, habe die Rechtmäßigkeit des Handelns der Polizei in der Rigaer Straße 94 frühzeitig in Zweifel gezogen, erfuhr die taz aus gut unterrichteten Kreisen. Die Hausspitze habe das aber nicht interessiert. Im Gegenteil. Wegen ihrer abweichenden Meinung sei Koppers in der Polizei heftigen Angriffen ausgesetzt gewesen.
Polizeipräsident Klaus Kandt weist das von sich. Auf Nachfrage der taz teilte sein Pressesprecher Winfrid Wenzel am Montag mit: Eine „schriftliche Stellungnahme“ der Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers zum Einsatz am 22. Juni in der Rigaer Straße 94 sei dem Behördenleiter nicht bekannt. Auch in den Akten zum Einsatzvorgang Rigaer Straße gebe es dazu keinen Vermerk. Dabei hatte die taz gar nicht nach einer schriftlichen Stellungnahme von Koppers gefragt, sondern lediglich, ob diese Kritik geübt habe. Weiter teilte Wenzel mit: „Den geäußerten Verdacht eines möglichen Mobbings weisen wir entschieden zurück“.
Margarete Koppers ist Volljuristin. Bevor sie 2010 stellvertretende Polizeipräsidentin wurde, war sie Vorsitzende einer Strafkammer und Vizepräsidentin des Landgerichts. Seit Mitte Juli ist Koppers krankgeschrieben. Ungefähr seit dem Zeitpunkt also, als die politische Auseinandersetzung über die rechtswidrige Räumung des Vereinslokals Kadterschmiede und weiterer besetzter Räume in der Rigaer Straße kulminierte.
Bei einer Solidaritätsdemonstration mit der Rigaer Straße war es zu heftigen Krawallen gekommen. Dass die Polizei der Lafone Investment Limited half, sich der Räume zu bemächtigen und dann wochenlang die Straße sperrte, stieß aber nicht nur in der linksradikalen Szene auf Empörung. Wie ein Paukenschlag wirkte es da, als das Landgericht am 13. Juli in einem Eilverfahren feststellte: Die Räumung war rechtswidrig. Auch der Einspruch der Lafone Investment Limited gegen das Urteil wurde später abgewiesen. Die Begründung: Der Eigentümer hatte weder einen Räumungstitel vorgelegt noch einen Gerichtsvollzieher bei der Vollstreckung mitgebracht. Die Polizei hatte also einen rechtswidrigen Einsatz unterstützt.
Polizeipräsident Kandt will das bis heute nicht wahrhaben. Der Polizeieinsatz sei keine Räumung gewesen, sondern habe ausschließlich der Sicherung der Baustelle und zum Schutz der Bauarbeiter im Rahmen der Gefahrenabwehr gedient. Das hatten Henkel und Kandt auch am 20. Juli erklärt. In der einberufenen Sondersitzung des Innenausschusses waren sie mit einem langen Fragenkatalog von Grünen, Linken und Piraten konfrontiert worden.
Christopher Lauer, Ex-Pirat
Bei der Sondersitzung stellte sich heraus, das die Polizei im Vorfeld sogar aktiv auf den Eigentümer zugegangen war und ihm gesagt hatte, was er tun müsse, um Polizeiunterstützung zu bekommen. Das Fazit des innenpolitischen Sprechers der damaligen Piratenfraktion, Christopher Lauer, nach der Sitzung lautete: „Die Berliner Polizei hat sich vollkommen verselbstständigt“.
Aber was passierte mit Margarete Koppers? Im August gab es erste Spekulationen. Die BZ schrieb, dass es zwischen Kandt und Koppers im Zusammenhang mit dem Einsatz in der Rigaer Straße Unstimmigkeiten gegeben habe. Aber Polizeisprecher Wenzel dementierte das in dem Artikel: „Ein Disput ist mir nicht bekannt.“Polizeipräsident Kandt erklärte seinerzeit gegenüber dem Tagesspiegel: Der Gesundheitszustand von Koppers sei mitnichten „Folge von Streitigkeiten“. Man arbeite eng und verlässlich als Team zusammen.
Die Polizeivizepräsidentin selbst hat auf Nachfrage der taz an die Behörde verwiesen.
In der Anfrage an die Pressestelle hat die taz am Montag vorsorglich darauf hingewiesen, dass die Öffentlichkeit einen Anspruch auf Auskunft habe, wenn eine im Führungsstab tätige, frühere Richterin die Einsatzkonzeption und rechtliche Begründung der Polizei kritisiere und danach eine länger währende, krankheitsbedingte Abwesenheit folge. Die Antwort der Pressestelle lautete: Zu Einzelpersonalien sowie innerbehördlichen Entscheidungsprozessen gebe der Polizeipräsident grundsätzlich keine Auskunft.
Einen Zusatz konnte sich Kandts Pressestelle aber nicht verkneifen: Nach Überzeugung der Polizei Berlin wurde am 22. Juni 2016 in der Rigaer Straße „keine faktische Teilräumung“ vorgenommen.
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