Richter entscheiden über Kennzeichnung: Die heimlichen Gen-Produkte
Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich mit neuen Methoden der Genmanipulation. Kritiker warnen vor Gentech ohne Hinweis im Handel.
Die neuen Methoden sollen effektiver sein, schneller, genauer und vor allem günstiger als die bisherigen gentechnischen Verfahren. In den USA haben die Behörden schon grünes Licht für erste Produkte gegeben: für Champignons etwa, die nicht mehr braun werden, oder Stärkemais.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie auch bei uns zahlreich in die Läden kommen – vorausgesetzt, sie müssen kein Gentechniklabel tragen. Denn nur, wenn der Verbraucher nicht erfährt, dass er Gentechware vor sich hat, wird er sie auch kaufen. Genau das ist die Hoffnung vieler Gentechforscher und der Biotechindustrie: Sollten die Verfahren nicht unter das Gentechrecht fallen, dürfen sie ohne Kennzeichnung in den Handel gebracht werden.
Zum Streitfall wurden die neuen Methoden im Jahr 2015. Damals hatte die schwedische Landwirtschaftsbehörde entschieden, dass Pflanzen, die damit „hergestellt“ wurden, nicht in jedem Fall unter das Gentechnikrecht und damit unter die Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln und Tierfutter fallen. Auch Risikoabschätzungen und Zulassungsverfahren wären damit obsolet. Das deutsche Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) schloss sich der schwedischen Position an.
Aus für Bioprodukte
Die so genveränderten Pflanzen könnten damit einfach im Freiland angebaut werden. Umweltverbände, Verbraucherschützer und Vertreter des Bioanbaus protestierten: Für einzelne Bioprodukte würde es das „Aus“ bedeuten, gentechnikfreie Ware könnte oftmals nicht mehr garantiert werden.
Denn: Ein Biolandwirt würde – anders als bei konventioneller Gentechnik – gar nicht erfahren, dass sein Nachbar Gentechpflanzen anbaut. Er würde nicht auf die Idee kommen, dass seine Pflanzen durch Pollenflug kontaminiert sein könnten. Und selbst wenn er den Verdacht hätte, hätte der Nachbar ihm gegenüber keine Auskunftspflicht.
Mit Spannung warten deshalb sowohl die Gentechkritiker als auch Forscher und Industrievertreter darauf, wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch über die von französischen NGOs in Gang gebrachte Klage entscheiden wird.
Dass es sich bei den unter „Genom Editing“ zusammengefassten neuen Methoden um Gentechnik handelt, ist unstrittig. Das Besondere ist, dass mit ihnen gezielt Veränderungen des Erbguts möglich sind, ohne dass zusätzlich fremde DNA in den Organismus eingebracht werden muss. Die bekannteste Methode ist das sogenannte CRISPR/Cas-9-Verfahren.
Viele Möglichkeiten
CRISPR/Cas 9 besteht aus einem Molekülkomplex, an dem eine DNA-Schere, das Cas 9, angekoppelt ist. Eine zusätzliche kurze Zielsequenz signalisiert, an welcher Stelle der DNA-Strang durchgeschnitten werden soll. Durch den Schnitt wird das Repairsystem der Zelle aktiv. Dabei kann beeinflusst werden, wie die Reparatur durchgeführt wird. So kann etwa eine zusätzliche Fremd-DNA an der Schnittstelle eingebaut werden – das würde eindeutig unter die Gentechregeln fallen. Es kann aber auch nur ein einzelner DNA-Baustein ausgetauscht oder entfernt werden. Der CRISPR/Cas-9-Komplex wird abgebaut, in der Zelle bleiben keine weiteren Spuren zurück.
Die Möglichkeiten sind vielfältig: Ein Gen könnte komplett stillgelegt werden. Oder eine Regulatorsequenz wird verändert, das Gen dadurch häufiger abgelesen; ein bestimmter Inhaltsstoff, vielleicht eine Fettsäure oder ein Vitamin, wird in der Pflanze angereichert. Solche Veränderungen finden auch in der Natur statt. Genforscher argumentieren deswegen, dass Punktmutationen, wie sie tagtäglich vorkommen, nicht unter die Gentechnikregelungen fallen dürfen. Doch diese Position ist auch unter Wissenschaftlern umstritten.
Vor einigen Tagen veröffentlichte das renommierte Fachmagazin Nature Biotechnolgy eine Studie über mögliche Nebenwirkungen von CRISPR/Cas 9: Ein Forscherteam um Allan Bradley vom britischen Wellcome Sanger Institute hatte in Mäusen zahlreiche DNA-Schäden nach einem Cripsr/Cas-9-Einsatz entdeckt. Es fehlten DNA-Abschnitte, andere waren plötzlich verkehrt herum oder an einer ganz anderen Stelle eingebaut. Vergleichbare Befunde soll es auch bei anderen Genom-Editing-Verfahren gegeben haben.
Diese Befunde zeigen, dass es eine Reihe von Unbekannten beim Genom Editing gibt. Wie Pflanzen sich später in der Umwelt verhalten, kann nicht vorhergesagt werden. Können sie sich unkontrolliert ausbreiten? Gibt es unerwünschte Stoffwechselveränderungen?
Für Gentechkritiker wie Christoph Then vom Verein Testbiotech ist es deshalb unerlässlich, dass solche Pflanzen nicht ohne Risikoforschung und Zulassungsverfahren – wie es etwa bei den Champignons in den USA geschieht – vermarktet werden dürfen. Das ist aber nur möglich, wenn sie unter die Gentechregelungen fallen.
Für Pflanzengenetiker wäre das der Worst Case; hoffen sie doch, ihre Laborkreationen endlich an die Konsumenten bringen zu können. Die Agrarwissenschaftlerin Stefanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbands der Pflanzenzüchter (BDP), bezeichnete in der Zeit das erwartete EuGH-Urteil sogar als „kriegsentscheidend“.
Die EU-Kommission hat die Mitgliedsstaaten dazu aufgerufen, keine Fakten mit dem Genom Editing zu schaffen und „zurückhaltend“ zu agieren. Am Montag berichtete aber die belgische Zeitung De Morgen, dass in Belgien schon seit anderthalb Jahren heimlich Freilandversuche mit CRISPR-Mais durchgeführt werden. Das belgische Umweltministerium soll dem Flämischen Institut für Biotechnologie mitgeteilt haben, dass die CRISPR-Versuche nicht unter die Gentechnikregeln fallen. Bis jetzt waren diese Versuche vor der Öffentlichkeit verborgen geblieben.
Den Artikel zum Urteil finden Sie hier: Neue Gentechnik vor dem EuGH: Crispr-Cas unterliegt Auflagen
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