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Richard Hilmer über SPD-WählerDie Balance fehlt

Die SPD realisiert Kernprojekte in der Regierung – und scheitert dennoch in Umfragen. Schuld ist angeblich die „einmalige Popularität“ der Kanzlerin.

Neige dein Haupt in Demut, Sigmar, denn du bist nicht so populär wie Angela Bild: reuters
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Hilmer, die SPD hat mit Mindestlohn und Rente die Federführung bei den wichtigsten Regierungsprojekten. Warum nutzt ihr das nichts bei Umfragen und der Europawahl?

Richard Hilmer: Das kann man auch anders sehen. Normalweise entziehen Bürger den Regierungsparteien nach der Wahl Sympathien, weil Erwartungen nicht erfüllt wurden. Das ist jetzt anders. Die Werte für Union und SPD sind fast die gleichen wie bei der Wahl 2013. Die Wähler sind mit der Regierung zufrieden. Auch mit der SPD.

Trotzdem: Rente mit 63 und Mindestlohn sind SPD-Forderungen, die bei den Bürgern populär sind. Warum zahlt sich das nicht für die SPD aus?

Das Phänomen gibt es seit Langem: Die Mehrheit sympathisiert mit zentralen Ideen der SPD, wählt sie aber nicht.

Was fehlt der SPD?

Sowohl 2009 als auch 2013 trauten die Wähler ihr nur wenig Kompetenz bei Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zu. Das war mitentscheidend für die Wahlniederlagen. Die SPD hat es schwerer als andere Parteien, die Balance zu finden. Von der Union will die eigene Klientel als Kernanforderung Wirtschaft. Bei den Grünen ist es Ökologie, bei der Linken soziale Gerechtigkeit. Von der SPD erwartet die eigene Klientel soziale Gerechtigkeit, das steht oben. Aber dicht dahinter folgen eine gute Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik.

Ist Wirtschaft wirklich so entscheidend? Auch Gerhard Schröder lag 1998 und 2002 in der Wirtschaftskompentenz hinter der Union …

Ja, aber nur knapp. Jetzt liegt die SPD 30 bis 40 Prozentpunkte hinter Merkel. Das ist zu viel, um Wahlen zu gewinnen. Deshalb ist die Wahl der Ministerien – Wirtschaft und Arbeit mit Gabriel und Nahles – für die SPD richtig.

Bild: Infratest dimap
Im Interview: Richard Hilmer

62, ist seit 1997 Geschäftsführer von infratest dimap. Das Berliner Institut ist auf Politik- und Wahlforschung spezialisiert. Es erstellt den ARD-Deutschlandtrend.

Niedersachsens Stephan Weil und Hamburgs Olaf Scholz setzen auf ein Ende der Agenda-Reparatur und die SPD als Wirtschaftspartei. Zu Recht?

Ja, wenn es gelingt, eine Balance zu finden zwischen Sozial- und Wirtschaftskompetenz. Die SPD-Wähler sind pragmatisch und wollen beides.

Ist es denn klug, den gerade halbwegs reparierten Markenkern soziale Gerechtigkeit mit einer Wende zu gefährden?

Kehrtwende wäre das falsche Rezept, Anpassung der Angebote sozialer Gerechtigkeit an die Lebenswirklichkeit das richtige. Die SPD hat kein Problem bei den Älteren. Ihr fehlt der Zugang zur Generation der 30- bis 45-Jährigen, die Karriere und Familie planen. Die wollen sichere Arbeitsplätze, aber auch Freiheiten mit Blick auf die Familie. Da ist moderne Wirtschaftspolitik gefragt. Es geht dabei um Zeitsouveränität und Leistungsgerechtigkeit, weniger um klassische Verteilungsgerechtigkeit.

Gabriels Popularitätswerte sind, verglichen mit Merkel, äußerst bescheiden. Warum?

Erst mal ist es Gabriel gelungen, das Führungsproblem, unter dem die SPD seit Schröders Rückzug 2005 litt, zu lösen. Und: Die Ausnahme sind die enormen Sympathiewerte für Merkel von 70 Prozent. Niemand, weder Schmidt, Kohl noch Schröder, war ähnlich beliebt. Alle haben polarisiert. Merkel kommt derzeit die Große Koalition entgegen, da kann sie noch mehr die Ausgleichende spielen. Merkel hat den Runden Tisch von 1990 in die Bundespolitik übertragen.

Also, egal was die SPD macht, gegen Merkel ist sowieso kein Kraut gewachsen?

Den Eindruck kann man haben. Derzeit herrscht das Gefühl vor: Uns geht es gut, anders als vielen in Europa. Da ist es schwer, mit Gerechtigkeitsthemen zu punkten. Aber Situationen ändern sich auch rasch. Ende 2012 lag die SPD bei den Kompetenzwerten noch vor der Union. Das ist im Wahlkampf gekippt. Ob Merkel ihre einmalige Popularität also bis 2017 konservieren kann, das ist völlig offen.

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3 Kommentare

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  • Merkels Popularität zeigt die Führungsschwäche der SPD nach dem Putsch gegen Beck und dem Abwenden von Steinbrück: Steinmeier (schlechtestes Wahlergebnis), Gabriel (in Niedersachsen abgewählt), Kraft (tritt im Bund nicht an), Wowereit (kriesenbelastet), TSG (in Hessen gescheitert) Ude (in Bayern gescheitert), dazu Sex-Themen Wowereits (geoutet), Oppermans (verbotene Seiten) und Edathys (Kinder), Drogenmißbrauch Hartmanns, und (Mit)Verantwortung für die aus dem Ruder laufenden Großprojekte S21, BER, Nürburgring, Nord-Süd-Bahn, Philhamonie, City-Tunnel, 2.Stammstrecke, MUC-Erweiterung.

    Weils Forderung nach mehr Wirtschaftsbezug drängt sich auf, um dauerhaft Wähler der angeschlagenen FDP zu binden, die Etablierung der AfD zu behindern und die CDU zurück zu drängen. Links ist die SPD schon ausgeblutet,kann also kaum noch zu verlieren oder von den frustriert abgewanderten gegen die Konkurrenz aus dem zerfledderten linken Spektrum aus LINKEN, GRÜNEN und PIRATEN zurück gewinnen.

    Erwartungsgemäß erleiden Grüne und Linke ohne Regierungsoption eine Wahlverweigerung ihrer Anhänger. Gabriels Wirtschaftspolitik kann dazu unüberbrückbare Hürden schaffen, andererseits FDP-Wähler binden. Für naive Wähler scheinen dann LINKE und GRÜNE extremistisch.

    Trotz Tucholsky funktioniert Bebel predigen, nach Ebert handeln, schon 95 Jahre,

    Noske, Eberts Bluthund ließ 1919 den Spartakusaufstand niederschlagen und Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermorden. 1923 wurden die Regierungen aus SPD und KPD per Reichsexekution gegen Sachsen (29.10) und Thüringen (6. 11.) durch Eberts Notverordnung abgesetzt. Die Reichswehr marschierte ein.

    Zur Zeit widerrechtlich ignoriert, verbietet das KPD-Verbot des Verfassungsgerichts, die LINKE rein formal (also ohne das es auf deren Gesinnung ankommt) als Ersatzpartei der KPD wegen der Nachfolge über SED und PDS analog zur KPD-Saar nach der Wiedervereinigung mit dem Saarland.

  • Im Land der Blinden ist eben der Einäuige König. Schröder hat sich selber abgewählt und Merkel hat die Politik Schröders übernommen. Sie klaut die Politik Schröders und verdirbt sie auch noch weiter. Die Wege des Wählers sind einfach unergründlich. Und wer SPD wählt, der kann auch CDU wählen.

  • Ach Gottchen.....

     

    Das Problem bei der SPD....sprechen & denken mit doppelter Zunge:

     

    typisch Gabriel:

     

    „Was der Kapazitätsmarkt nicht werden kann, ist so was wie Hartz-IV für Kraftwerke: Nicht arbeiten, aber Geld verdienen“

    Bundeswirtschaftsminister Siegmar Gabriel

    auf einer Konferenz der Energiebranche

     

    Auch wenn das Handelsblatt sich wundert....Ich hoffe der Satz wird ihm doch noch um die Ohren fliegen.

     

    http://www.handelsblatt.com/technologie/das-technologie-update/energie/oekostrom-der-traum-vom-hartz-iv-fuer-kraftwerke-/10258460.html