piwik no script img

Revolutionäre-Zelle-Aktivistin Sonja SuderDer letzte Richterspruch

Die sie belastenden Aussagen waren umstritten: Dennoch wurde Suder wegen Beteiligung an Brandanschlägen zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

Von der Beihilfe zum Mord beim Anschlag auf die Opec-Konferenz 1975 wurde Suder bereits freigesprochen Bild: dpa

KÖLN/FRANKFURT taz/dpa | Fast vier Jahrzehnte nach dem Anschlag auf die Opec-Konferenz in Wien hat das Landgericht Frankfurt die Angeklagte Sonja Suder vom Vorwurf des Mordes freigesprochen. Die Strafkammer verurteilte die inzwischen 80-Jährige am Dienstag allerdings wegen der Beteiligung an Brandanschlägen Ende der 1970er Jahre in Süddeutschland zu dreieinhalb Jahren Haft. Mit ihrem Urteil blieben die Richter knapp unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe von drei Jahren und neun Monaten. Die Verteidigung der 80-jährigen Rentnerin hatte auf Freispruch plädiert.

Es ging um drei Sprengstoff- und Brandanschläge, an denen laut Richterspruch die Angeklagte beteiligt gewesen war. Am 22. August 1977 riss eine Bombe ein Loch in die Außenfassade des Firmengebäudes von MAN in Nürnberg. Das Industrieunternehmen betreibe „Beihilfe zur Herstellung südafrikanischer Atombomben“, begründeten die linksterroristischen RZ die Tat.

Nur eine Woche später wurde ein Sprengsatz beim Pumpenhersteller Klein, Schanzlin & Becker im rheinland-pfälzischen Frankenthal deponiert, dem die RZ Zulieferungen für Atomkraftwerke vorwarf. Der Anschlag misslang. Hinzu kam noch eine Brandstiftung im Heidelberger Schloss im Mai 1978, ausgegeben als Protest gegen die Abrisspolitik der Stadt. Menschen kamen bei keiner der Taten zu Schaden.

Als der Prozess am 21. September 2012 begann, saß neben Sonja Suder noch ihr Lebensgefährte Christian Gauger auf der Anklagebank. Beide waren nach jahrelangen juristischen Scharmützeln 2011 aus Frankreich, wo sie 1978 untergetaucht waren, nach Deutschland ausgeliefert worden. Das Verfahren gegen den 72-jährigen Gauger wurde im Sommer wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit eingestellt.

Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Suder, die seit rund 26 Monaten in Untersuchungshaft sitzt, auch wegen des Überfalls auf das Hauptquartier der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) in Wien im Dezember 1975 anklagt. Drei Menschen waren damals getötet worden.

Fragwürdige Bedingungen

Ihren Vorwurf der Beihilfe zum Mord stützte die Anklage auf Aussagen des Ex-RZ-Mitglieds Hans-Joachim Klein, der 2001 wegen seiner Beteiligung an dem Angriff auf die Opec-Konferenz zu neun Jahren Haft verurteilt wurde. Laut Klein war Suder als Logistikerin involviert. Weil seine Einlassungen vor Gericht jedoch „zu viele Widersprüche“ enthielten, ließ Staatsanwalt Bernd Rauchhaus den Mordvorwurf gegen Suder fallen.

Auch das Fundament für die verbliebenen Beschuldigungen hatte zuletzt gewackelt. Die Anklage basierte auf unter fragwürdigen Bedingungen zustande gekommenen Aussagen des Ex-RZ-Mitglieds Hermann Feiling vom Sommer 1978. Bei der Vorbereitung eines Bombenanschlags auf das argentinische Konsulat in München war Feiling ein selbst gebastelter Sprengsatz auf dem Schoß explodiert. Ihm mussten beide Beine amputiert und die Augen entfernt werden.

„Den Namen der Folter verdient“

Keine 24 Stunden nach der Notoperation begannen Ermittler noch auf der Intensivstation mit der Vernehmung des mit Schmerzmitteln vollgepumpten Schwerstverletzten. Später widerrief Feiling: Seine Aussagen, die auch Suder belastet hatten, seien „das Ergebnis einer Behandlung, die den Namen Folter verdient“.

Im Gegensatz zur Verteidigung hielt die Staatsanwaltschaft Feilings Aussagen, die im Prozess verlesen wurden, dennoch für verwertbar. Die Frankfurter Schwurgerichtskammer folgte der Auffassung der Staatsanwaltschaft, sprach aber bei der Urteilsverkündung von einer „ungeheuer beschwerlichen Sachaufklärung“.

Suder nahm das Urteil äußerlich ungerührt entgegen. Im Zuschauerraum hatten sich zahlreiche Sympathisanten eingefunden, denen sie zuwinkte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

24 Kommentare

 / 
  • in der taz erschien mal der RZ-Text "Krieg - Krise - Friedensbewegung

    In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod". Wer sich wirklich für die RZ interessiert, und sich nicht mit undifferenziert-oberflächlichen, falschen Ettikettierungen wie "linksterroristisch" zufriedenbgibt, findet hier eine brauchbare Quelle. Steht wie alle RZ-Texte unter

    http://www.freilassung.de/div/texte/rz/zorn/Zorn40a.htm

    Diese treffende, fundierte Analyse der westdeutschen Friedenbewegung und ihres Opfernationalismus wurde in der radikalen Lunken seinerzeit mit gutem Grund als wichtiger Debattenbeitrag gesehen. ach ja, der "Terror": Gezielte Gewalt gegen Sachen ist etwas anderes als Terror, der sich willkürlich gegen Menschen richtet, die sich zufällig irgendwo aufhalten.

  • ist die sache nicht längst verjährt?

  • A
    Arne

    Tja, sie hat nur Sachschaden verursacht.

    So wäre sie bei der Bundeswehr nie Genral geworden.

  • PH
    Peter Haller

    @Klarsteller

    Welche "Opfer" werden denn verhöhnt ?

    Meinst du jetzt evtl. Ziegelsteine und Putz. Wenn man schon unter allen Umständen Schwachsinn verbreiten will, sollte man zumindest lesen können, denn wie heisst es im Artikel ?

    "Menschen kamen bei keiner der Taten zu Schaden".

    • K
      Klarsteller
      @Peter Haller:

      Auch ein Sachschaden ist ein Schaden, der Besitzer des Objekts (ob privat oder staatlich) Opfer. Aber für dich scheint Gewalt gegen Sachen lässlich, Autos abfackeln womöglich ein Happening?

       

      Übrigens: "Erbärmlich" wer anderer Ansicht, was du nicht verstehst ist "Schwachsinn verbreiten", du unterstellst anderen Begriffsstutzigkeit Danke, mit die möchte ich nicht weiter diskutieren. Mit anderen gern.

      • @Klarsteller:

        vor 75 Jahren kam es in Deutschland zur sog. Reichskristallnacht, wurden die Opfer jemals entschädigt, die Täter jemals verurteilt? Ich denke nicht.

        • @Tadeusz Kantor:

          Schöne Argumentation. Damit können Sie so ziemlich jede Sachbeschädigung rechtfertigen. Das Abfackeln von Asylbewerberheimen z.B. dürfte Ihrer Meinung nach auch in Ordnung gehen, richtig? Übrigens, würden Sie auch so argumentieren, wenn es um ihr eigenes Hab und gut geht, das beschädigt wurde?

      • @Klarsteller:

        Wegen eines Sachschaden muss nach Verjährung, ohne Beweise und mithilfe von Folter derart kontraproduktiv und gegen jede Rechtsstaatlichkeit "geurteilt" werden?

        Einen Schaden hat wohl jemand anders - am Dach.

  • Wenn die Motivation ist etwas Gutes für die gesamte Gesellschaft und Menschheit bewirken zu wollen, verurteilt die deutsche Justiz Sachbeschädigung auch nach der Verjährung ohne Beweise und sogar mithilfe von Folter an Schwerverletzten. Wenn Menschen totgeprügelt werden, kommen die Täter auf Bewährung frei oder werden sogar noch vom Verfassungsschutz finanziert. Niedere Motive und Menschenhass werden belohnt. Dümmer gehts nicht.

    • SS
      Sven Schmidt
      @robbypeer:

      etwas gutes??? Bei dir brennts wohl! Niedere Motive würde ich das nennen, Nazikinder eben!

      • @Sven Schmidt:

        Niedere Motive würdest du was nennen?

        • SS
          Sven Schmidt
          @robbypeer:

          "Es ging um drei Sprengstoff- und Brandanschläge" steht so im Artikel. Ihre Meinung war so dermaßen "richtig" das sie Bomben mochte. Und das finde ich echt krank, rafmäßig. Und das nenne ich dann niedere Motive.

  • PH
    Peter Haller

    @IST DAS SO

    Sie meinen jetzt aber nicht zufällig Iwan Mykolajowytsch Demjanjuk ?

    Falls ja, erspare ich mir jetzt jeglichen Kommentar zu Ihnen.

  • K
    Klarsteller

    Sprengstoff- und Brandanschläge

     

    Wenn diese Vorwürfe stimmen, ist die Bezeichnung "Aktivistin" eine sympathiebekundende Verniedlichung einer Terroristin und eine Verhöhnung der Opfer.

    • B
      Brennessel
      @Klarsteller:

      ICh dachte es handelte sich allein um Sachschäden!?! egal das mit der Aktivistin ist, ich stimme zu, etwas sehr parteiisch.

  • B
    Bastler4711

    Die Revolution, wo übersorgte und gelangweilte Elitenbälger Scheibenschiessen mit der arbeitenden Klasse veranstalten.

    • @Bastler4711:

      ...vielleicht liegt es einfach daran, dass man ständig versucht, die "arbeitende Klasse" davon abzuhalten, über ihr Leben und ihre Stellung in dieser Gesellschaft, in diesem Land nachzudenken?

  • PH
    Peter Haller

    Einfach toll, was wir hier für ein "Rechtssystem" haben !!!

    Da werden vielfache Nazimörder solange in Ruhe gelassen, bis sie anscheinend zu alt für einen Prozess sind, andererseits wird eine 80-jährige, der Sprengstoffanschläge mit Materialschäden vorgeworfen wird, schon für 26 Monate in Untersuchungshaft gesteckt und wenn es nach dem Willen vom Staatsanwalt geht, weitere 3 Jahre und 9 Monate (!!) in den Bau verfrachtet. Nur mal so, um sich an den linken Säcken zu rächen.

    Erbärmlich....

    • ID
      Ist das so?
      @Peter Haller:

      Wir scheinen in unterschiedlichen Welten zu leben. In der Welt, in der ich lebe, wurde ein steinalter ukrainischer Hilfswächter aus den USA nach Deutschland geholt, auf fragwürdiger Beweislage verurteilt und musste bis zu seinem Tod in einem Pflegeheim in Deutschland, tausende Kilometer entfernt von seiner Familie, leben. Vielleicht machen Sie auch mal die Augen auf und lesen den Wikipedia-Artikel "Bestätigungsfehler".

      • A
        Arne
        @Ist das so?:

        Wenn ich diesen Artikel bei Wiki lese, geht daraus hervor, dass Herr Demjanjuk das also alles hätte vermeiden können, wenn er wirklich so unschuldig war, wenn er frühzeitig sich den Behörden gestellt hätte und zu einem früheren Zeitpunkt, als die Erinnerungen der Zeugen noch frisch waren, sich denen gestellt hätte. Stattdessen hat dieser bemitleidenswerte Mann immer wieder seine Auslieferung versucht zu verhindern und den Prozess bis in den St.Nimmerleinstag hinein zu verschieben.

        Er wurde btw. nicht nach der Verurteilung in Haft genommen, sondern konnte Deutschland nicht verlassen, weil kein Staat ihn aufnehmen wollte. Wenn seine Familie sich deshalb nicht zu ihm hinbegibt, wird seine Familie schon Gründe haben, mit ihm nichts mehr zu tun haben zu wollen.

        Herr Klar wurde übrigens nach 28 Jahren Haft entlassen. Nach dieser Zeit ist eine Entlassung nach unserem Rechtssystem normal. Weder ist dazu Reue von Herrn Klar notwendig noch ist Ihr Mitleid, dass sie wohl für jeden Mauerschützen und sonstigen unter Stalin aufgewachsenen Mördern entgegenbringen, dafür in irgendeiner Weise rechtsrelevant.

        • ID
          Ist das so?
          @Arne:

          @Arne Sie hätten dem echten oder vermeintlichen Demjanjuk, dem schon in Israel die Todesstrafe gedroht hat, geraten, sich selbst zu stellen und ausliefern zu lassen? Nehmen wir einmal an, er hat die Wahrheit gesagt und war nicht der KZ-Demjanjuk - muss er sich dann der offenkundig parteiischen deutschen Justiz stellen?

           

          Zu den Mauerschützen: Wenn einer mit 20 Jahren und der Indoktrination der DDR im Rücken geschossen hat, weil der Offizier es befohlen hat, ist das schlimm. Wenn die Person zu ihrer Verantwortung steht, Reue zeigt und vielleicht auch um Wiedergutmachung bemüht ist, wäre ich zum Verzeihen bereit.

           

          Wenn eine Wagenknecht aus der Sicherheit ihrer Schreibstube hinaus schreibt, dass das Abknallen von Menschen, die das Land verlassen wollten, in Ordnung war und sich bis heute nicht davon distanziert hat, verachte ich sie. Das ist keine rechtliche, sondern eine ethische Frage. Und deswegen kann ich einen reuigen Mörder auch anders beurteilen als einen, der meint, rechtens gehandelt zu haben. Sie auch=

      • B
        Balduin
        @Ist das so?:

        Haben Sie etwa mit einem sadistischen Massenmörder Mitleid? Obwohl er sein Leben lang für seine perversen Nazi-Gewalttaten nicht belangt worden ist? Ganz schön schräg, Ihre Gesinnung.

        • ID
          Ist das so?
          @Balduin:

          @Balduin Ich habe mit einem Menschen Mitleid, der im Stalinismus aufwachsen musste. Ich habe mit einem Menschen Mitleid, der im zweiten Weltkrieg kämpfen musste und in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet. Ich habe mit einem Menschen Mitleid, der vor die Wahl gestellt wurde, elendig zu verhungern oder Hilfsdienste zu leisten. Wenn Sie das als "schräg" bezeichnen, sagt das mehr über Sie als über mich aus.

           

          Ob der Demjanjuk aus München der richtige Demjanjuk war, ist höchst fraglich. Eine reele Chance vor Gericht hatte er nicht.

           

          Ich rate Ihnen mal die Lektüre des Archipel Gulag und insbesondere der Stellen über das Verzeihen und das Vergeben. Wer bis zum Schluss halsstarrig bleibt und es nicht schafft, sich der eigenen Schuld zu stellen - siehe Klar, Christian - hat kein Mitleid verdient.

  • B
    Brennessel

    Na dann bleibt ja nur zu hoffen, dass im Falle einer Verurteilung dieser Alten Dame auch das Privileg der Haftverschonung zu gute kommt. So wie den zahllosen Verurteilten der herrschenden Klasse.