Revolution im Sudan: Noch lange nicht am Ziel
Nach wochenlangem Protest hat sich die Opposition mit dem Militär auf eine zivile Übergangsregierung geeinigt. Ob damit nun ein echter Wandel bevorsteht, ist aber offen.
Die zentrale Kraft hinter den Protesten ist das vor drei Jahren gegründete Gewerkschaftsbündnis SPA. Im Dezember, als das afrikanische Land mit steigenden Preisen und Versorgungsengpässen zu kämpfen hatte, plante die SPA zur Durchsetzung von höheren Löhnen einen Marsch nach Khartum. Als unabhängig davon dann auch im nördlich der Hauptstadt gelegenen Atbara Menschen auf die Straßen gingen, fühlten sich die Organisatoren bestärkt.
Mit Slogans, die teilweise an den Arabischen Frühling von 2011 anknüpften, forderten die Demonstranten nun gleich den Rücktritt der Regierung. Dank des dezentralen Aufbaus der SPA gingen die Proteste auch nach der Festnahme von mehreren Anführern weiter. Junge Menschen verabredeten sich über soziale Netzwerke und dokumentierten mit moderner Technik Übergriffe von Soldaten. Am 6. April starteten sie einen Sitzstreik vor dem Hauptquartier der Streitkräfte. Fünf Tage später übernahmen die Generäle die Macht. Al-Baschir sitzt seitdem in einem Gefängnis.
Doch bei aller Entschlossenheit steht die Bewegung vor großen Herausforderungen. Denn die SPA konnte mit einer „Deklaration für Freiheit und Wandel“ zwar große Teile der Zivilgesellschaft des Landes mobilisieren – bis auf Weiteres kämpfen verschiedene Gruppen gemeinsam für einen Machtwechsel, für eine neue Verfassung, für freie Wahlen und für ein Ende der Diskriminierung von Frauen. Aber im Grunde ist die Opposition alles andere als einheitlich.
Der SPA droht Widerstand
Mit echter Demokratie hat das Land ohnehin kaum Erfahrung. Die Geschichte des Sudans ist seit der Unabhängigkeit im Jahr 1956 vor allem von gewaltsamer Unterdrückung geprägt. Die längste Zeit waren Militärdiktatoren an der Macht. „Das sudanesische Volk hat kein Vertrauen in politische Parteien, denn diese Parteien sind stets Kompromisse mit dem Regime eingegangen, um sich Sitze im Parlament oder im Kabinett zu sichern“, sagt der 25-jährige Demonstrant Mohammed al-Nil.
Gerade die Tatsache, dass sie von den Eliten in Khartum weitgehend unabhängig ist, hat die SPA zu einem glaubwürdigen Sprachrohr der Protestbewegung gemacht. Ob sie auch in den kommenden Monaten noch eine so zentrale Rolle einnehmen wird, bleibt aber abzuwarten. Der Militärrat hat betont, dass er mit allen politischen Kräften verhandeln werde. Die SPA könnte sich daher genötigt sehen, sich mit den bestehenden Parteien zu arrangieren.
Womöglich könnte sogar die Nationale Kongresspartei von Al-Baschir in die Gespräche über die Zukunft des Landes eingebunden werden. In diesem Fall wäre es gut möglich, dass die Strukturen des Systems weitgehend intakt blieben. Ein absehbarer Streitpunkt wäre dann die von Al-Baschir eingeführte islamisch-fundamentalistische Ausrichtung des Staates. „Das ist ein heikles Thema, denn im Sudan gibt es viele verschiedene Haltungen, von ganz links bis ganz rechts“, sagt Al-Nil.
Selbst wenn das Umfeld von Al-Baschir tatsächlich entmachtet werden sollte, droht der SPA also Widerstand – und zwar aus den Reihen der bisherigen Opposition, mit der sie sich im Rahmen der Proteste zusammengetan hat. „Die SPA genießt das Vertrauen des sudanesischen Volkes, aber sie ist nur eine von fünf Gruppen, die diese Koalition gebildet haben“, sagt Ibrahim al-Scheich Abdel Rahman von der Kongresspartei. „Wir sehen die SPA nicht als Anführer der Revolution.“ Es gebe „keine Demokratie ohne politische Parteien“, sagt Ismail Adam, führendes Mitglied der traditionsreichen Umma-Partei.
Waffenstillstand bis 31. Juli
Eine große Frage ist zudem, wie die weit von Khartum entfernten Provinzen auf einen Umbruch reagieren. In einigen Regionen toben seit Jahrzehnten Kämpfe zwischen der von Muslimen dominierten Zentralregierung und ethnischen oder religiösen Minderheiten. Der überwiegend christliche Südsudan ist seit 2011 ein unabhängiger Staat.
Einen Aufstand im westlich gelegenen Darfur ließ Al-Baschir ab 2003 von sogenannten Dschandschawid-Milizen brutal unterdrücken. Wegen der dabei begangenen Kriegsverbrechen wurde er vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt – es war das bisher einzige Mal, dass der Gerichtshof Haftbefehl gegen einen amtierenden Staatschef erließ.
Weitere bewaffnete Konflikte gibt es seit 2011 in den südlichen Bundesstaaten Blauer Nil und Südkordofan. Die dortigen Rebellen haben angesichts der Ereignisse in der Hauptstadt allerdings gerade einen Waffenstillstand verkündet. Es wird erwartet, dass dieser bis zum 31. Juli gilt.
In der „Deklaration für Freiheit und Wandel“ wird dazu aufgerufen, die „Bürgerkriege“ im Land durch eine Auseinandersetzung mit den „grundlegenden Ursachen“ zu beenden – und Abkommen zu schließen, die „fair, gerecht und umfassend“ sind. Sollten die Verhältnisse in der Hauptstadt aber nicht bald geklärt sein, könnte gerade dies in manchen Regionen die Rufe nach mehr Autonomie oder gar nach Unabhängigkeit wieder lauter werden lassen.
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