Rettung der Meyer-Werft: Kreuzfahrtriese in Seenot
Der Staat soll vorübergehend die Meyer-Werft übernehmen. Er geht ins Risiko, um den industriellen Kern einer Region und eine Branchenperle zu retten.
Die Meyer-Werft ist bekannt für ihre riesigen Kreuzfahrtschiffe – schwimmende Hotels samt Freizeitpark für mehrere Tausend Passagiere und Besatzungsmitglieder. Werden sie auf der schmalen Ems aus dem Binnenland zur Nordsee überführt, zieht das Scharen von Schaulustigen an. Der Bau von Kreuzfahrtschiffen ist wegen des umfangreichen Know-hows eines der wenigen Gebiete im Schiffbau, auf dem deutsche Unternehmen mit der Konkurrenz aus Fernost Schritt halten können.
In der zurückliegenden Woche hat Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) mitgeteilt, wie eine Rettung der Werft aussehen könnte. Demnach würden der Bund und das Land sich mit je 200 Millionen Euro in das Unternehmen einkaufen. Der Familie Meyer blieben dann noch 20 Prozent der Geschäftsanteile.
Mit weiteren 2,6 Milliarden Euro sollen Bund und Land für Kredite bürgen, die die Werft braucht, um die bei ihr in Auftrag gegebenen Schiffe bauen zu können. An Bestellungen mangelt es nicht. Vor wenigen Tagen erst verzeichnete die Meyer-Werft mit vier Kreuzfahrtschiffen für die Disney Cruise Line den nach eigenen Angaben größten Auftrag der Firmengeschichte.
Meyers Problem: Viele Verträge hat die Firma vor der Coronapandemie und dem Ukrainekrieg abgeschlossen. Seither sind die Energie- und Materialpreise in die Höhe geschossen. Eine Anpassungsklausel enthielten die Verträge nicht. Dazu kommt, dass die Schiffsneubauten von den Werften zu 80 Prozent vorfinanziert werden, während der Coronakrise aber Aufträge aufgeschoben wurden.
Niedersachsens Wirtschaftsminister Lies und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setzen darauf, dass sich die öffentliche Hand nur vorübergehend bei der Werft engagieren muss, bis diese wieder Geld verdient. „Wir haben nicht das Ziel, langfristig Mehrheitsgesellschafter zu bleiben“, versicherte Lies. Mit der Familie Meyer sei eine Rückkaufoption vereinbart.
Anders als vom Land gewünscht, hat sich allerdings kein privater Investor gefunden, der jetzt bei der Werft einsteigen wollte. Aus einem internen Papier der Bundesregierung geht hervor, dass 30 Prozent privates Eigenkapital eingeworben werden sollten als Voraussetzung für eine Rettung durch den Staat.
Es zeichnet sich ab, dass der jetzt fast alleine ins Risiko geht, dabei hat er ohnehin schon große Summen auf die Kreuzfahrtindustrie gesetzt. Nach einer Aufstellung der Bundesregierung sind bereits 19 Milliarden Euro an Krediten und Bürgschaften für die Meyer-Werft und insbesondere die Reedereien, die bei ihr Schiffe bestellt haben, bereitgestellt worden.
Damit nicht genug: In den vergangenen Jahrzehnten haben Land und Bund Hunderte Millionen Euro ausgegeben, um die Ems zurechtzuschneidern, damit die immer größer werdenden Schiffe passieren können.
Um das Unternehmen zu retten, sollen 340 von 3.300 Arbeitsplätzen in Papenburg abgebaut werden. Immerhin ließ sich das Land zusichern, dass der Firmensitz aus Luxemburg zurück ins Emsland verlegt wird und Meyer einen mitbestimmungspflichtigen Aufsichtsrat bekommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Scholz fordert mehr Kompetenzen für Behörden