Retrospektive von Bruno Bruni: Agent des Dekorativen
Für die einen ist Bruno Bruni genialer Künstler, für die anderen macht er nur Kitsch. In Hamburg wird im kulturellen Niemandsland zwischen Autohändlern und Bordellen sein Lebenswerk gezeigt.
HAMBURG taz | Ja, er liest gern Zeitungen. Deutsche und italienische. Dass sich da gerade so viele auf dem mit rotem Tuch bezogenen Tisch stapeln, liegt an den Kritiken, die in den letzten Tagen zu seiner Retrospektive in der Hamburger „Fabrik der Künste“ erschienen sind. Und wie sind sie ausgefallen? Bruno Bruni hebt die rechte Hand und macht eine wiegende Bewegung: Mal so, mal so, mal weder noch. Seine Drucke kennt man aus Hotelzimmern, aus dem Postershop und von den Kunsthandelsportalen im Internet. Und für die einen ist der 76-Jährige genialer, auch bodenständiger Zeichner, für die anderen Vorkämpfer des Kitsches.
Die „Fabrik der Künste“ ist in einem ehemaligen Fabrikgebäude im Hamburger Stadtteil Hamm untergebracht – und liegt damit im kulturellen Niemandsland, zwischen Bordellen, Autohändlern, Industriebrachen und Verkehrsschneisen. Verteilt auf zwei Etagen bietet sich hier ein Überblick über 50 Jahre Bruno Bruni: von ersten Radierungen aus den 60er Jahren über erste Aktzeichnungen, weiter zu den Klassikern wie dem gesichtslosen Mantelmann mit Hut, der eine ebenso gesichtslose, nackte Frau im Arm hält. Auch dabei: seine Blumenbilder und Skulpturen.
Bruni ist ein Publikumsheld, die Leute geben sich in der Fabrik der Künste die Klinke in die Hand. Und seine hier ausgestellte Kunst passt dann auch zu seinem Ideal: Was ein Künstler zeigen wolle, solle er eben zeigen – ohne langwierige Erklärungen abzugeben. Legendär ist sein Ausruf: Er stelle lieber bei Karstadt aus, denn in der Kunsthalle. „Meine Bilder sind nicht abstrakt, wo man das Gehirn anstrengen muss. Meine Bilder sind lesbar“, sagt Bruni. Seine Kunst sei eben nicht nur für die privilegierten Leute.
Bruni kommt selbst von ganz unten. Sein Vater war in der Ära Mussolini ein Schrankenwärter bei Bologna. Er war ein Kommunist, der Mühe hatte, seine Familie zu ernähren, der sich politisch zurückhält, während sich sein ältester Sohn den Partisanen anschließt, nach 1945 Bürgermeister eines kleinen Ortes in Italien und später Abgeordneter im römischen Senat wird.
Bruno Bruni dagegen will malen und kommt 1961 mittellos nach Hamburg. „Es war März, ich hatte nicht mal einen Mantel an“, sagt Bruni, „es schneite und hagelte – man kennt ja das Hamburger Wetter.“ Jemand rät ihm, an der Hochschule für bildende Künste Kunst zu studieren, er bewirbt sich und wird sofort aufgenommen. Er haust in einem Zimmer in einem Heizungskeller in Hamburg St. Georg, ohne Toilette und ohne fließend Wasser. Will er sich morgens waschen, schraubt er den Heizkörper auf und lässt das halbwegs warme Wasser in eine Schüssel laufen. „Ich war morgens der Erste in der Hochschule und abends bin ich als Letzter gegangen“, sagt Bruni, „einfach weil es dort warm und hell war.“ Er sagt: „Die Hochschule hat mich gerettet.“
Er studiert bei Paul Wunderlich, freundet sich mit Horst Janssen an, wird oft – wie Janssen – von reichen Hanseaten eingeladen, die seine Bilder zu Spottpreisen kaufen. Künstlerisch wehrt er sich mit Händen und Füßen gegen das damals herrschende Dogma, man dürfe nur abstrakt und niemals gegenständlich malen. Die Zeitschrift Schöner Wohnen druckt erstmals seine Lithografien ab, was seinen Ruf als Agent des Dekorativen begründet.
Politisch ist er aktiv, wird bei der Demonstration gegen den Besuch des Schahs verhaftet, wo das sozialdemokratisch regierte Hamburg einen Tag nach dem Tod von Benno Ohnesorg die Demonstranten zusammenknüppeln lässt. Bruni landet mit 18 weiteren Personen auf einer Liste, soll ausgewiesen werden: „Die EU war ja nicht so wie heute“, sagt er. „Ich musste mir auch als Italiener ständig eine Aufenthaltsgenehmigung besorgen, was damals sehr kompliziert war.“
Es hilft ihm, dass ihm zuvor das Lichtwark-Stipendium verliehen wird, gemeinsam mit Otto Dix und dem heute nahezu vergessenen Bildhauer Edgar Augustin. Bruni bleibt in Hamburg – bis heute. In den 80er-Jahren malt er Porträts von Rosa Luxemburg und Ernst Toller, reist 1997 nach Kuba, als dort die sterblichen Überreste Che Guevaras beigesetzt werden.
Bruno Bruni kennt auch das Geschäft mit den Prominenten. Kennt bis heute Darius Michalczewski, die Klitschkos, Gerhard Schröder. Er hat erlebt, wie man ihn in den Himmel hob und sich mit ihm schmückte, und er weiß auch, wie schnell einer wie er wieder fallen gelassen wird. „Ich kannte Stefan Aust, da war er so groß“, sagt er, hebt die Hand und zeigt die Größe eines vielleicht acht- oder neunjährigen Kindes an. Ganze Etagen beim Spiegel seien später mit Bruno-Bruni-Drucken behängt worden. Heute reden Aust und er kein Wort mehr miteinander, seit der Spiegel für sich entdeckte, der Bruni spiele ja gar nicht in der Champions-League der Kunst.
Wie Brunis Kunst beim Publikum ankommt, wie sie ihre Wirkung gänzlich unbeeindruckt etwa von Symposien über die Wirklichkeit des Realen entfaltet, lässt sich in der Fabrik der Künste beobachten: Zwei ältere Herren beugen sich über eine schwere Platte aus hellem Marmor, aus der eine feingliedrige, nackte Frau herausgearbeitet ist, die wie hingegossen daliegt. „Wie der da den Stein weggehauen hat – nicht schlecht“, sagt der eine anerkennend, und der andere sagt: „Toll! Einfach toll!“ Sie streichen ganz vorsichtig mit dem Zeigefinger über den harten, polierten Stein. Dann zücken sie ihre Digitalkameras, machen ohne umständlich nun einen besonderen Bildausschnitt zu wählen, je ein Foto und schlendern gut gelaunt weiter.
Retrospektive: „bis dann und dann, da und da“, Fabrik der Künste
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