Ressourcenexperte über Plastikabkommen: „Die Fronten sind klar geworden“
Henning Wilts vom Wuppertal Institut sieht noch Chancen für ein UN-Abkommen. Für Europa sei sowieso wichtiger, was Brüssel zu Verpackungen entscheide.
taz: Herr Wilts, sind die Verhandlungen in Nairobi gescheitert?
Henning Wilts: Nein, das kann man noch nicht sagen. In Nairobi ist über den Entwurf für einen Vertrag, den sogenannten Zero Draft, diskutiert worden. Das war so eine Art Wunschliste, auf der alles stand, was die ganz unterschiedlichen Akteure sich so zum Thema Plastik vorgestellt haben. Es fehlte eine Idee, wohin man mit diesem Abkommen möchte. Daher war klar, dass sich die Staaten nicht auf konkrete Maßnahmen einigen konnten.
Der Wirtschaftswissenschaftler leitet seit August 2018 den Forschungsbereich Kreislaufwirtschaft beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie.
Sondern?
Immerhin sind die Fronten klar geworden: Es gibt Staaten wie Saudi-Arabien, Russland, Iran oder Indien, die sehen das Müllproblem als Thema für Abfallmanagement. Andere, darunter die EU, wollen den ganzen Lebenszyklus von Kunststoffprodukten angehen, das schließt Verbote und Beschränkungen für Produktionsmengen ein.
Wieso schaffen es einzelne Staaten, diesen Prozess aufzuhalten?
Das Thema Plastikmüll wurde ja erstmals auf UN-Ebene diskutiert. Man steht da in Bezug auf die Verfahren etwa da, wo man in den Klimaverhandlungen vor Paris war, es herrscht noch das Einstimmigkeitsprinzip. Da kann eben ein Staat oder eine kleine Gruppe von Staaten den ganzen Prozess behindern. Die Verhandlungen werden im nächsten halben Jahr hinter den Kulissen weitergehen, da kann noch viel passieren. Ich glaube nicht, dass man den Zeitplan jetzt schon aufgeben muss, bis Mitte 2025 ein UN-Abkommen fertigzubekommen.
Wenn es nicht wie erhofft, so schnell ein gutes globales Abkommen gibt – was gibt es für politische Alternativen?
Für uns in Europa ist es sowieso viel wichtiger, was am Dienstag in Brüssel zur neuen Verpackungsverordnung beschlossen wird. Natürlich setzt ein UN-Abkommen wichtige Signale, es gestaltet einen globalen Rahmen. Aber die Verpackungsverordnung macht konkrete Vorgaben zur Recyclingfähigkeit von Kunststoffen, zum Anteil von Mehrweglösungen, die Supermärkte anbieten müssen – das führt viel weiter als das, was man international festlegen wollte.
Das Parlament stimmt am Dienstag über seine Position zur Verpackungsverordnung ab. Ist sie ambitioniert?
Es gab einen sehr ambitionierten Entwurf, der Mengenvorgaben für die Plastikvermeidung vorsah, Quoten für Mehrweg und so weiter. Doch dann hat das Lobbying von allen Seiten auf die Politik eingedroschen. Jetzt sind wieder viele Fragen offen, etwa, welche Rolle chemisches Recycling spielen soll, bei dem Kunststoffe eingeschmolzen, mit Chemikalien versetzt und damit wieder in eine Art Ausgangsstoff für Kunststoff verwandelt werden. Die Industrie protegiert das heftig. Das Verfahren ist energieaufwändig und ersetzt nicht Lösungen, die auf Vermeidung abzielen. Auch scheinbar nachhaltige Ersatzlösungen, die etwa halb aus Papier, halb aus Plastik bestehen, sind nicht wirklich besser. Häufig haben Papierverpackungen genauso große Umweltauswirkungen wie solche aus Plastik, erst recht, wenn sie beschichtet sind. Ein anderes Beispiel sind Einwegverpackungen aus Alu. Sie sind nicht umweltfreundlich, auch wenn man sie recyceln kann. Da läuft gerade viel in die falsche Richtung.
Klingt nicht gerade hoffnungsvoll …
Es gibt auch vielversprechende Ansätze, wie die „Green Claims Directive“ der EU-Kommission. Sie soll im nächsten Frühjahr verabschiedet werden und Greenwashing vorbeugen. Dazu soll umweltbezogene Werbung reguliert werden. Das ist wichtig, denn viele Verbraucher wollen nachhaltig einkaufen, wissen aber nicht, wie.
Was können Verbraucher:innen denn selbst gegen Plastikmüll machen?
Lebensmittel in Mehrwegbehältern kaufen, das ist das Beste. Auf den Blauen Engel des Umweltbundesamtes achten, solche Produkte enthalten viel Recyclingmaterial. Vor Ort einkaufen anstatt online, da sind viel weniger Verpackungen nötig.
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