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Ressortübergreifende HerausforderungÜber Armut reden

Sich gegen Armut partei- und ressortübergreifend zu engagieren, bekundeten am Mittwoch in der Bürgerschaft alle. Nur das Bildungsressort glänzte durch Abwesenheit.

Gilt als arm: Osterholz-Tenever. Hier spekulierten Hedgefonds mit Häusern, kritisiert Klaus Möhle (SPD). Bild: Simone Schnase

BREMEN taz | Wenn in Bremen über Armut gesprochen wird, ist die grobe Linie klar: Der Stadtstaat ist besonders betroffen, fast ein Viertel der Bevölkerung ist von Armut gefährdet, jedes dritte Kind ist arm. Schuld sind die sozialen Verhältnisse, bekämpfen kann man das mit Bildung – über die Fraktionsgrenzen hinweg bekundeten das alle Parteien, als am Mittwoch in der Bürgerschaft über den Kampf gegen die Armut debattiert wurde.

Den hatte zuvor Bürgermeister Jens Böhrsen (SPD) beim Neujahrs-Empfang im Rathaus zur Chefsache erklärt und ein „Bündnis gegen Armut“ als Plan verkündet. Mit der Einberufung einer aktuellen Stunde war es nun an der CDU, sich den Ball zurückzuholen. Erstaunlich wenig jedoch wurde anhand ideologischer Grenzen attackiert, erstaunlich viel der Wille zur Zusammenarbeit bekundet. Sachorientierte Politik – zumindest vordergründig.

Politisches Ping-Pong-Spiel

Denn im Hintergrund war es doch auch ein politisches Pingpong-Spiel: Zwischen Sozialdemokraten und Grünen, zwischen Bürgermeister und Opposition, zwischen Senat und Bürgerschaft. Mit seinem Vorstoß hatte Böhrnsen das Thema der grünen Sozialsenatorin Anja Stahmann entrissen – immerhin eine der zentralen Aufgaben des Ressorts.

Im Rahmen der Debatte schossen die Grünen zurück. „Sehr kritisch auf den Prüfstand stellen“ müssten sich die Sozialdemokraten, erklärte Susanne Wendland, sozialpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Immerhin regiere die SPD in Bremen „seit Menschengedenken“, viel Zeit also, um etwas zu ändern – ein Seitenhieb, der mit Applaus von der CDU honoriert wurde. Deren Fraktionsvorsitzender Thomas Röwekamp regte gegen Ende der Debatte einen Parlaments-Ausschuss an. „Nicht ausschließen“ wollte das der Grüne-Fraktionsvorsitzende Matthias Güldner und zog damit das Thema aus dem sozialdemokratisch-geführten Rathaus zurück ins Parlament.

Keine "Grundsatzdebatten"

Inhaltlich so richtig konkret wurde es am Mittwoch noch nicht. Außer, dass es Konkretem bedürfe: Er wolle keine „Grundsatzdebatten“, sagte Bürgermeister Böhrnsen. Und: „Wir werden uns nicht mit Armut und sozialer Ausgrenzung abfinden.“ Anzugehen seien die verfestigte Langzeitarbeitslosigkeit, er denke an ein „beschäftigungsorientierte Aktionsprogramm“, mit Fokus auf ungelernte Arbeitslose.

Themen, die auch Thomas Röwekamp erwähnte, der zudem mit einem klaren Bekenntnis zum gesetzlichen Mindestlohn und der Forderung nach einem besseren Zugang zum Arbeitsmarkt für MigrantInnen und Flüchtlinge überraschte. Ein „Armutszeugnis“ allerdings sei es, dass sich in Bremen die Kosten der Jugendhilfe in den letzten Jahren verdoppelt hätten: Immerhin beträfe die Jugendliche, die jahrelang durchs staatliche Schulsystem gelaufen seien.

Auch die Grüne Susanne Wendland brachte Bildung ins Spiel, denn Armut sei „vererbbar“. Dagegen brauche es eine durchgängige Sprachförderung, müsse der Ausbau der Kita-Betreuung fortgesetzt werden, beim Übergang von Schule und Beruf sei die Wirtschaft gefragt.

SPD-Sozialpolitiker Klaus Möhle wiederum sah Bremen im Griff einer globalen Entwicklung, die nur schwer aufzuhalten sei. Er nannte Hedgefonds, die des banalen Profites wegen Wohnungen aufkauften und sprach von „Teilhabe trotz Armut“. Fast hätte er vergessen, das Wort „Umverteilung“ überhaupt zu erwähnen.

Nicht so der Linke Peter Erlanson: „Armutsbekämpfung ist Reichtumsbekämpfung“, sagt er und sorgte für Unruhe, als er den anderen Parteien vorwarf, mit Hartz IV „Armut per Gesetz“ überhaupt erst eingeführt zu haben. Die Linke hätte schon lange einen Aktionsplan gegen Armut gefordert, Anträge und Ideen, wie die Ausweitung des Sozialtickets aber seien stets abgelehnt worden.

Bildungsressort glänzt mit Abwesenheit

Für die Linken-Fraktionsvorsitzende Kristina Vogt führt die komplett freie Elternwahl zu Segregation an den Schulen. Inklusion und Oberschulen würden zur Aufgaben der armen Stadtteile. Über die Ressortgrenzen Soziales und Bildung die Kita- und Schulbetreuung als Ganzes zu sehen, erwähnten nicht nur die Linken. Erlanson aber sprach von Schwierigkeiten, die in der Sozialdeputation in der Zusammenarbeit mit dem Bildungsressort bestünden.

Wie also wurden die Reden vom Bildungsressort aufgenommen? Nun: Gar nicht. Sozialsenatorin Stahmann, Finanzsenatorin Karoline Linnert und Bürgermeister Böhrnsen saßen auf der Bank, Wirtschaftsstaatsrat Heiner Heseler kam zumindest später hinzu. Bildungssenatorin Quante-Brandt aber war nicht da und auch ihr Staatsrat Gerd-Rüdiger Kück ließ sich nicht blicken. Kein guter Einstieg für eine ressortübergreifende Zusammenarbeit.

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1 Kommentar

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  • Es ist, mit Verlaub, doch nur das reinste Gefasel. Worte, Worte, Worte und nur die Taten, die auch in den Medien wirksam für die Sicherung der eigene Position im Parlament etwas bringen.

     

    Wie sieht die Praxis aus?

     

    Bildung leidet unter dem Evangelium nach Linnert (Sparen, egal was es kosten wird!), und dadurch die Kinder. Lehrpersonen sind bis über die Grenzen des zumutbaren belastet. Kinder die eine Chance hätten, wenn sie eine Qualifizierte Betreuung bekommen würden, bekommen unqualifizierte Kräfte, Bufdis, SfJler etc, an ihre Seite und werden "inklusiv" beschult. Das heißt nicht, dass sie eine Chance bekommen, nein, das heißt einfach nur das es billig ist. Und das diese Kinder dann den Unterricht für alle andere Kinder in der Lerngruppe torpedieren, nicht aus böser Absicht sondern aufgrund der fehlende Hilfe, wird einfach billigend in Kauf genommen.

     

    Wenn Börnsen und Co wirklich etwas gegen Armut unternehmen wollen, sollten sie endlich aufhören auf Kosten denen die sich nicht wehren können zu sparen. Egal wie die SenatorInnen heißen, sie bekommen genug um die Bildung für ihre Kinder kaufen zu können, alle anderen können zusehen, wie sie überleben.