Reservisten außer Rand und Band: Sommer-Camp mit Schießübungen
In der einen Hand ein Bier, in der anderen eine MP: So posierten Reservisten bei einem Camp mit PfadfinderInnen im emsländischen Lingen.
BREMEN taz | Es sieht aus wie das Ausbildungscamp einer durchgeknallten paramilitärischen Gruppierung und erinnert an Bilder von nicht minder durchgeknallten Waffennarren in den USA: Jugendliche visieren mit Maschinenpistolen ein Ziel an, uniformierte Männer posieren für die Kamera, in der einen Hand die MP, in der anderen eine Flasche Bier. Diese Szenen haben sich allerdings im emsländischen Lingen abgespielt, und zwar im Juli beim diesjährigen „Emsbiwak“ der Reservistenkameradschaft Lingen (RK). Mit dabei: eine Gruppe teils minderjähriger PfadfinderInnen.
Stolz oder zumindest ohne jedes Unrechtsbewusstsein veröffentlichte die RK auf ihrer Homepage entsprechende Fotos in einer Bildergalerie über die Veranstaltung, zu der die Reservisten die Gruppe „Bären“ des Verbandes christlicher PfadfinderInnen (VCP) Lingen eingeladen hatten. Die Fotos waren so lange zu sehen, bis die Neue Osnabrücker Zeitung auf sie aufmerksam wurde und das bedenkliche Treiben während des Camps öffentlich machte: Danach wurde die Bildergalerie gelöscht.
Noch immer auf der Reservisten-Homepage befindet sich indes die Pressemitteilung der RK, in der es ganz harmlos heißt: „Bei verschiedenen Ball- und Geländespielen hatten die Pfadfinder des VCP hier die Gelegenheit, ihre Geschicklichkeit unter Beweis zu stellen. Der Abend endete am Lagerfeuer mit Grillwurst und kalten Getränken. Alle Teilnehmer der Veranstaltung – Pfadfinder und Reservisten – zeigten sich sehr zufrieden mit dem gemeinsamen Tag an der Ems.“
Solcherlei gemeinsame Aktivitäten sind laut Verband der Reservisten der Bundeswehr nicht ungewöhnlich. Ihre Sprecherin Nadja Klöpping teilt auf Nachfrage der taz mit: „Tatsächlich bieten einige Reservistenkameradschaften in eigener Initiative immer wieder auch ein Programm für Jugendliche an, oft in Zusammenarbeit mit örtlichen Trägern. Dabei steht dann das Leben in und mit der Natur im Vordergrund, etwa Orientieren im Gelände, Versorgung mit Wasser und Nahrung in der Natur, Feuer machen.“
Nadja Klöpping, Verband der Reservisten der Bundeswehr
In diesem Fall hätten „einige Reservisten ihre Vorbildfunktion vermissen lassen. Ihr Auftreten beim Biwak der Reservistenkameradschaft ist absolut inakzeptabel, es hat dem Ansehen des Verbandes und der Bundeswehr geschadet und darf daher nicht ohne Konsequenzen bleiben“, so Klöpping.
Wird es wohl auch nicht: Der Vorsitzende des niedersächsischen Reservisten-Landesverbandes, Manfred Schreiber, spricht von einem „deutlich falschen Verständnis von Staatsbürgern in Uniform“. Hier fehle „ein grundsätzliches Verständnis und der Wille, sich an Recht, Ordnung und Gesetz zu halten“. Die an dem Camp beteiligten Mitglieder des Lingener Reservistenverbandes werden nun angehört: „Sollte sich bei der Anhörung ergeben, dass Ordnungswidrigkeiten vorliegen, so wird der Reservistenverband diese zur Anzeige bringen.“
Darüber hinaus, so Schreiber, werde die Landesgruppe entscheiden, ob ein Antrag an das Landeskommando der Bundeswehr ergehe, „den Betroffenen die generelle Uniformtrageerlaubnis zu entziehen und die Betroffenen zumindest zeitweise von Veranstaltungen der Bundeswehr auszuschließen“.
Auch ein Sprecher der Bundeswehr bestätigt, dass derzeit eine „Aberkennung der Uniformtrageerlaubnis“ geprüft werde und teilt außerdem mit: „Wir als Bundeswehr distanzieren uns von der Veranstaltung der Reservistenkameradschaft Lingen. Sie widerspricht unserem Selbstverständnis vom Beruf des Soldaten, unabhängig ob aktiver Soldat oder Reservist.“
Die Einladung der Reservisten an die PfadfinderInnen sei reiner Zufall gewesen, sagt Klaus Erdbrink vom VCP Lingen: „Eigentlich sollten zehn Teilnehmer im Rahmen einer Ferienpassaktion der Stadt Lingen an dem Biwak teilnehmen, aber da ist irgendetwas schiefgegangen.“ Also habe der kommissarische Vorsitzende der RK Lingen, Heino Knacke, der selbst ehemaliger Pfadfinder ist, beim VCP-Stamm „Eberhard von Danckelmann“ angefragt. Teilgenommen hätten dann fünf oder sechs Mitglieder der „Bären“, einer Pfadfindergruppe mit 12- bis 15-Jährigen, einige volljährige PfadfinderInnen und eine Gruppenleiterin für die Aufsicht. „Die mochte aber wohl nichts sagen, weil sie nicht als Spielverderberin dastehen wollte.“
Waffen aus Privatbesitz
Von den PfadfinderInnen, sagt Erdbrink, habe auch lediglich eine Jugendliche mit der Waffe auf eine Zielscheibe geschossen, zwei weitere auf den Fotos sichtbare Jugendliche seien keine Pfadfinder, sondern Kinder eines Reservisten, aus dessen Privatbesitz die Waffen stammten. „Diese Bilder mit den Waffen spiegeln genau das Gegenteil dessen wider, wofür wir stehen: Die Pfadfinder sind für gewaltlose Konfliktlösungen, wir wollen Frieden schaffen ohne Waffen.“ Eine weitere Veranstaltung mit den Reservisten werde es nicht geben, so Erdbrink.
Immerhin waren die Waffen, die die Reservisten mit in das Camp gebracht haben, nicht so gefährlich, wie sie aussahen: Es handelte sich hierbei um täuschend echt aussehende Softair-Waffen. Diese können mittels Federdruck, Gas oder eines elektromechanisch betriebenen Druckluftsystems Rundkugeln aus verschiedenen Materialien abfeuern.
Harmlos sind sie dennoch nicht: Der Aufprall der Kugeln kann zu schweren Prellungen und Augenverletzungen führen. Deswegen sollten die Waffen nur mit entsprechender Schutzkleidung verwendet werden – die bei dem Ems-Biwak niemand trug.
Heino Knacke sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, künftig werde es bei „solchen Veranstaltungen“ keinen Alkohol mehr geben. Anfragen der taz an die Reservistenkameradschaft Lingen blieben unbeantwortet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind