Repressionen in der Türkei: Gegen die Pressefreiheit

Das kritische Onlineportal „Bianet“ soll in der Türkei blockiert werden. Die Macher wollen sich gegen den Gerichtsbeschluss wehren.

Umweltaktivisten demonstrieren gegen Verschmutzung durch ein ausländisches Minenprojekt in Kirazli im Westen der Türkei

Repression: Kritische Töne, wie hier von Umweltaktivisten, verstummen in der Türkei zunehmend Foto: reuters

ISTANBUL taz | Der Zugang zum ältesten linksalternativen Online-Nachrichtenportal der Türkei, Bianet, ist laut einem Gerichtsbeschluss blockiert – zusammen mit 135 anderen Internetadressen, darunter Videos auf YouTube und dem Twitterkonto eines kurdischen Parlamentsabgeordneten. Sie alle gefährdeten die „nationale Sicherheit“. Betroffen sind nicht einzelne Artikel, sondern blockiert ist das gesamte Nachrichtenportal. „Damit“, so die Anwältin von Bianet, Meriç Eyüboğlu, „wird der Zugang zu mehr als 200.000 Artikeln gesperrt.“ Das Gericht hatte am Dienstagnachmittag den Beschluss veröffentlicht, die Bianet-MacherInnen wurden nicht direkt informiert. Am Mittwoch war die Seite noch zugänglich, sie könne aber „in jedem Moment“ blockiert werden, so Eyüboğlu.

Bianet wurde 1997 gegründet und ist damit das erste und älteste Online-Nachrichtenportal der Türkei. Von Beginn an hat Bianet vor allem über Menschenrechtsverletzungen, speziell Gewalt gegen Frauen, und Einschränkungen der Meinungsfreiheit berichtet. Über Jahre hat Bianet Lokaljournalisten eine Plattform für ihre Berichte geboten. Zeitweilig wurde ­Bianet auch aus dem EU-Fonds zur Unterstützung der türkischen Zivilgesellschaft mitfinanziert. Bianet hat außer der Verbreitung unterdrückter Nachrichten auch Workshops zur Ausbildung von Journalisten gemacht. Über viele Jahre war das Portal die verlässlichste Quelle in den Bereichen Pressefreiheit und Frauenrechte. „Diese Gerichtsorder ist ein Justizskandal“, sagte Eyüboğlu, „wir werden dagegen vor dem Verfassungsgericht Beschwerde einlegen.“ Auf der Bianet-Website ist bereits eine Solidaritätskampagne angelaufen.

Obwohl das Gericht über die allgemeine Floskel der „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ hinaus keine spezifizierten Gründe für die Schließung von Bianet angegeben hat, haben die Macher dennoch eine Vermutung, was der Grund für die Blockade sein könnte. Der Beschluss wurde vom Generalkommando der Gendarmerie am 16. Juli beantragt und erlassen, einen Tag bevor der Gezi-Prozess fortgesetzt wurde, bei dem 16 exponierte Angehörige der türkischen Zivilgesellschaft wegen angeblichen versuchten Umsturzes angeklagt sind. Auf Bianet war laufend über den Prozess berichtet worden. „Das hat sie vielleicht gestört“, sagte Eyüboğlu.

Zwar existieren in der Türkei mit T-24, Diken und anderen Nachrichtenportalen im Internet außer Bianet immer noch Quellen, um sich jenseits der staatlich gelenkten Zeitungen und TV-Kanäle zu informieren. Doch das Angebot wird immer mehr eingeschränkt. Dazu kommt, dass diese Nachrichtenportale, die im Wesentlichen von kritischen Journalisten betrieben werden, die zuvor von ihren Zeitungen oder Sendern wegen unbotmäßiger Berichterstattung gefeuert worden waren, finanziell allesamt auf extrem wackeligen Beinen stehen. Die meisten Autoren können nicht bezahlt werden.

Dabei werden diese Portale immer wichtiger, weil es im Printbereich und erst recht bei den TV-Sendern kaum noch kritische Stimmen gibt. Die unabhängigen Zeitungen Cumhuriyet, Birgün und das Wochenblatt Evrensel erreichen nur einen kleinen Leserkreis und sind ebenfalls chronisch unterfinanziert. Die übrige Presselandschaft ist durch die Regierung von Präsident Erdoğan bereits gründlich zerstört worden. Die Regierungspropagandablätter will niemand lesen, weshalb die türkischen Printmedien mittlerweile kaum noch eine Rolle spielen.

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