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Repression in VenezuelaAnklage „Terrorismus“

Die umstrittene Wahl in Venezuela führte zu landesweiten Protesten. Präsident Maduro versucht nun, unabhängige Berichterstattung zu verhindern.

Massenprotest in Maracaibo am 30. Juli gegen die Präsidentschaftswahl Foto: Isaac Urrutia/reuters

Vier venezolanische Be­richt­erstat­te­r:in­nen sind laut der Gewerkschaft der Medienschaffenden (SNTP) direkt nach den Präsidentschaftswahlen vom 28. Juli verhaftet worden. Ihnen sei der Kontakt zu An­wäl­t:in­nen verwehrt worden, gegen sie werde wegen „Terrorismus“ und „Anstiftung zum Hass“ ermittelt, heißt es vonseiten der Gewerkschaft. Die Zahl der inhaftierten Re­por­te­r:in­nen ist laut Nichtregierungsorganisationen wie Provea und Espacio Público mittlerweile auf 13 gestiegen.

„Doch auch gegen internationale Be­richt­erstat­te­r:in­nen wird vorgegangen. Mehrere Personen, darunter ein chilenisches Fernsehteam, wurden genötigt, das Land zu verlassen“, so der Kommunikationswissenschaftler Andrés Cañizález zur taz. Der 58-Jährige arbeitet bei der Plattform Observatorio Venezolano de Fake News und an der Katholischen Universität Andrés Bello.

Er kritisiert auch, dass im Vorfeld der Wahlen mehrere Fakten-Checking-Portale blockiert wurden. „Seit dem 12. Juli wurde unsere Seite vom Observatorio blockiert, aber auch andere wie EsPaja oder Cazadores de Fake News. Die Regierung in Venezuela nutzt die Verbreitung von Fehlinformationen – zum eigenen Vorteil“, kritisiert der Wissenschaftler, der seit wenigen Tagen einen Lehrauftrag in Bue­nos Aires innehat.

In Venezuela sei es schon unter Hugo Chávez, dem Vorgänger von Nicolás Maduro, zu einer Polarisierung im Mediensektor gekommen. Bereits damals seien Medien geschlossen worden, weil sie aus der Perspektive der Regierenden nicht differenziert genug berichtet hätten. Das hat sich mit der Regierungsübernahme von Nicolás Maduro von seinem politischen Mentor Hugo Chávez noch verschärft, so Cañizález.

Rekordzahl von willkürlichen Verhaftungen

Das bestätigten internationale Medienorganisationen wie Reporter ohne Grenzen, die seit 2017 eine Rekordzahl von willkürlichen Verhaftungen und Gewalttaten gegenüber Re­por­te­r:in­nen durch Polizei und Geheimdienst registrierten. Die Nationale Telekommunikationskommission (Conatel) sperre Sendefrequenzen von kritischen Radio- und Fernsehsendern und veranlasse kurzfristige Abschaltungen von Internet oder Social Media.

Das ist auch derzeit der Fall. Erst am Donnerstagabend hat Präsident Nicolás Maduro die Sperrung der Plattform X per Dekret angekündigt. „X muss für zehn Tage aus Venezuela verschwinden“, sagte er in einer Rede, die im staatlichen Fernsehen übertragen wurde. Begründung: Aufstachelung zur Gewalt. Maduro hatte sich öffentlich mit X-Eigentümer Elon Musk angelegt, ihn beschuldigt, Aufrufe zu Hass, Bürgerkrieg und Tod zu ermöglichen.

Typisch für die Medienpolitik in Venezuela, so die Sozialwissenschaftlerin Margarita López Maya. „Allein im Jahr 2022 sind 69 Radiostationen laut Informationen der Nichtregierungsorganisation Espacio Público geschlossen worden“, so die Historikerin. Für sie hat Präsident Maduro ein autoritäres System mit zunehmend totalitären Zügen installiert.

Direkte Folge davon ist, dass Venezuela auf Platz 156 von 180 Ländern im Ranking der Presse­freiheit von Reporter ohne Grenzen gefallen ist und dass nach Schätzungen von Menschen­rechtsorganisationen wie Provea etwa 1.000 Re­por­te­r:in­nen das Land verlassen haben. Dessen Direktor, Óscar Murillo, selbst Journalist, kritisiert die vorsätzliche Verletzung von Grund- und Verfassungsrechten. „Hier werden sämtliche internationalen Menschenrechtsstandards verletzt, wobei die,Colectivos' eine zentrale Rolle spielen.“ Die Colectivos, paramilitärische Brigaden, oftmals bewaffnet, sind für zahlreiche Gewalttaten gegen die De­mons­tran­t:in­nen verantwortlich, die laut Provea bisher 24 Menschen das Leben kosteten.

Unter den Getöteten befinden sich keine Reporter:innen, aber für Andrés Cañizález ist klar, dass es Ziel der Regierung ist, die Kontrolle über die Kommunikation zu übernehmen und sie zu steuern: „In Venezuela gibt es zwar ein Recht auf Information. Aber wer die Informationen hinterfragt und analysiert, geht ein persönliches Risiko ein.“ Das belegen nicht nur die 13 Festnahmen, sondern auch die hohe Zahl von Journalisten, die das Land verlassen haben. Eine vielfältige, kritische Berichterstattung ist in Venezuela kaum mehr möglich. Das kritisieren Medienorganisation wie Reporter ohne Grenzen, aber auch die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

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2 Kommentare

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  • Liegt denn bislang keine Klage am Internationalen Gerichtshof in Den Haag gegen Maduro vor?

    • @Horst Schlichter:

      Ein Gericht im beschaulichen Den Haag ist Maduro völlig egal. Er hat noch die Option zu einem goldenen Exil, das auch seine Risiken hat.



      Es wird noch eine Delegation der 3 linksgerichteten Präsidenten mit ihm reden. Danach wird sich zeigen, wie weit die USA auf der einen sowie China, Russland und Iran auf der anderen Seite zu gehen bereit sind.



      Vielleicht entwickelt sich Venezuela auch zu einer "Die Klapperschlange Teil 2. Flucht aus Los Angeles" Location mit Erdölen und vielen weiteren Rohstoffen.