Repression in Ägypten: George Orwell lässt grüßen
Neue Verordnungen geben dem Militär mehr Rechte und schränken die Meinungsfreiheit ein. Chefredakteure wollen auf Kritik verzichten.
KAIRO taz | „Aufgrund jüngster Stromausfälle wurde das Licht am Ende des Tunnel in Ägypten bis auf Weiteres ausgeschaltet“, twitterte am Dienstag ein Witzbold, um in weniger als 140 Zeichen die bittere Realität einzufangen.
Präsident Abdel Fatah al-Sisi versucht derzeit, im Namen der Sicherheit und des Antiterrorkampfes, die staatlichen Daumenschrauben allerorten anzuziehen. Per Präsidialdekret vom 27. Oktober kann die Armee nun zum Schutz aller öffentlichen Einrichtungen der Polizei zur Seite stehen.
Dazu gehören nicht nur auch E-Werke, Pipelines, Bahnhöfe und Brücken, sondern auch die Universitäten. Bereits einen Tag später stürmten Einheiten der Polizei und Soldaten den Campus der Universität der Nildelta-Stadt Mansoura.
Proteste an den Unis gegen die Regierung
An den ägyptischen Universitäten rumort es. Immer wieder kommt es dort zu Protesten und Demonstrationen gegen die Regierung durch die von den Muslimbrüdern angeführte „Anti-Putsch-Bewegung“. Im vergangenen Semester kamen 16 Studenten bei Polizeieinsätzen um, 1.000 wurden verhaftet, 500 exmatrikuliert. Daher wurde der Beginn des neuen Semesters verschoben. Doch gleich mit Semesterbeginn gingen die Proteste weiter. 200 Studenten wurden verhaftet, einer kam an der Universität Alexandria ums Leben.
Gleichzeitig wurde an den Universitäten auch die Militärgerichtsbarkeit ausgeweitet. In Zukunft können Studenten und Schüler vor Militärgerichte gestellt werden, wenn sie Bildungseinrichtungen sabotieren, erklärte am Premierminister Ibrahim Mahlab am Montag.
Knebelgesetz gegen zivilgesellschaftliche Gruppen
Unterdessen warten Nichtregierungsorganisationen darauf, was nach dem 10. November geschehen wird. Bis dahin sollen sich alle zivilgesellschaftlichen Gruppen unter einem restriktiven NGO-Gesetz aus der Mubarak-Zeit registrieren. Dieses gibt der Regierung das Recht, sie jederzeit zu verbieten. Laut einem derzeit diskutierten noch schärferen Gesetz könnte die Regierung gegen alle NGO-Entscheidungen ein Veto einlegen. Wer ausländische Gelder ohne vorherige staatliche Genehmigung annimmt, muss demnach drei Jahre ins Gefängnis. Zahlreiche internationale Organisationen haben inzwischen ihre Büros in Kairo geschlossen.
„In Ägypten läuft es wieder wie eh und je, die Regierung trampelt auf den Rechten der Bürger herum, unterstützt von westlichen Regierungen“, erklärte Sarah Leah Watson, Vorsitzende von Human Rights Watch. „Die Sisi-Regierung unternimmt alles, um jegliche Opposition, egal ob islamistisch oder säkular, zu zerstören“, fügte sie hinzu.
Aktivisten und Blogger hinter Gittern
Der prominente Blogger und Tahrir-Aktivist Alaa Abdel Fatah wurde am Montag zusammen mit 21 anderen säkularen Aktivisten verhaftet. Einen Tag zuvor wurde seine jüngere Schwester Sanaa zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Sie alle hatten gegen ein neues restriktives Demonstrationsrecht protestiert.
Begleitet wird das von gleichgeschalteten Medien. Nach dem Anschlag im Nordsinai, bei dem am Wochenende über 30 Soldaten ums Leben kamen, verpflichtete sich eine Gruppe von Chefredakteuren von Tageszeitungen öffentlich, die Leistungen staatlicher Institutionen, des Militärs, der Polizei und der Justiz in ihren Blättern nicht zu kritisieren - als mediale Antiterrormaßnahme.
Als nächstes ist das Internet dran
Innerhalb einer Woche wurden zwei Moderatoren suspendiert. Einer von ihnen, Mahmoud Saad vom privaten Fernsehsender An-Nahar, nachdem einer der Gäste seiner Talkshow von der „Niederlage der Armee“ im 1967er Krieg gegen Israel gesprochen hatte. Das, so der Sender, habe die Moral der Armee untergraben. Saad wurde inzwischen wieder in seinem Posten als Moderator eingesetzt. „Was bleibt, ist der Aufruf an alle Bürger, zusammenzuarbeiten, ihre Ränge zu schließen, eine freie Stimme und ein nationaler Wegbereiter zu sein, der den staatlichen Institutionen hilft, ihre Pflicht zu erfüllen“, erklärte er nach seiner Wiedereinsetzung.
Als einziger nicht kontrollierter Bereich bleibt das Internet und die sozialen Medien. Aber auch das soll sich ändern. Das Militär hat einen Anteil am nationalen Kommunikationsnetz erhalten und das Recht, dieses auch zu managen. Das Innenministerium sucht derzeit nach geeigneten Überwachungssystemen. Laut einer durchgesickerten Ausschreibung will man „destruktive Ideen lokalisieren“ und herausfinden, wo zu Demonstrationen aufgerufen wird und wer Religionen beleidigt. Es soll nach Sarkasmus, Rufschädigung, Obszönitäten und Dingen gesucht werden, die außerhalb des Kontexts zitiert werden, heißt es in einem Bericht der Carnegie-Stiftung mit dem Titel „Ägypten 1984“ – frei nach George Orwell.
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