Reportage aus Syrien: Peinlicher Glaubwürdigkeitsverlust für CNN
Vor laufender Kamera befreite der US-Sender CNN einen Gefangenen in Syrien. Doch der log über seine Identität, er soll Geheimdienstler sein.
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Hätte sie misstrauischer sein müssen? Hätte auch Clarissa Ward, 44, die internationale Chefkorrespondentin beim US-Kabelsender CNN, sofort auffallen müssen, dass ein angeblich seit drei Monaten allein in einer dunklen Zelle in Syrien eingekerkerter Mann womöglich weder so ordentlich geschnittene Fingernägel haben könnte noch so einfach ins Tageslicht blicken kann?
Ward, dieser Tage mit Kamerateam in Syrien unterwegs, veröffentlichte in der vergangenen Woche einen Bericht aus einem der ehemaligen Gefängnisse der gestürzten Diktatur Baschar al-Assads. Auf der Suche nach Spuren des seit 2012 in Syrien verschwundenen US-amerikanischen Journalisten Austin Tice war sie mit einem Kämpfer der siegreichen HTS-Milizen unterwegs in dem schon vor Tagen befreiten Gefängnis, als das Team auf eine letzte noch verschlossene Zelle traf.
Der Kämpfer schießt das Schloss auf, drinnen liegt eine Decke, unter der ein Mann hervorkommt, der behauptet, er sei ein Zivilist aus Homs, sei seit drei Monaten in verschiedenen Gefängnissen der Diktatur eingesperrt gewesen und habe vom Sturz Assads nichts mitbekommen. Er klammert sich mit beiden Händen an Ward, küsst den Kämpfer und gibt seinen Namen an. Das Team übergibt ihn an den Roten Halbmond, der ihn kurz darauf zu seiner Familie bringt.
So weit die Geschichte, wie sie CNN am 13. Dezember veröffentlichte. Aber an der Identität des Mannes stimmt nichts. Der angegebene Name ist falsch, wie alsbald die syrische Menschenrechtsorganisation Verify-Sy publizierte. Statt wie behauptet Adel Gharbal heißt der Mann laut deren Angaben in Wirklichkeit Salama Mohammad Salama, in Homs auch bekannt als Abu Hamza, war Offizier des Geheimdienstes der Luftwaffe und in Homs berüchtigt sowohl für Korruption als auch für Misshandlung und Tötung von Zivilist*innen. Er sei tatsächlich rund einen Monat vor dem Zusammentreffen mit dem CNN-Team inhaftiert worden aufgrund eines Streits mit einem Vorgesetzten über die Aufteilung erpresster Gelder. Die Organisation veröffentlicht auch ein Foto, das ihn in voller Militäruniform hinter einem Schreibtisch zeigt. Tage später bestätigt CNN, Identifikationssoftware ergebe eine 99-prozentige Übereinstimmung des Mannes auf dem Foto mit dem aus dem Gefängnis.
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Einer Inszenierung aufgesessen
So richtig Sinn ergibt die Geschichte nicht. Warum ist Abu Hamza allein in dem Gefängnis, Tage nach dessen Befreiung? Warum diese Show für CNN?
Für die vielfach preisgekrönte Clarissa Ward, die das Video auf ihren Social-Media-Kanälen mit der Bemerkung verbreitete, der Befreiung dieses Mannes beizuwohnen sei einer der bewegendsten Momente ihrer gesamten journalistischen Laufbahn gewesen, ist das alles unglaublich peinlich. Sie ist einer Inszenierung aufgesessen, deren Hintergründe noch immer unklar sind. Hätte sie anders handeln können? Hätte sie die Chance gehabt, vor Ort die wahre Identität des Mannes herauszufinden? Hätte die Redaktion von CNN warten müssen, bis die Fakten sicher geklärt sind?
Solche Geschichten hatte es doch zuvor zuhauf aus den befreiten syrischen Gefängnissen gegeben – da galt es jetzt wohl, das Reporterglück beim Schopf zu packen und die menschlich so bewegende Geschichte schnell zu veröffentlichen. Falschinformation? Ja. Bewusste Desinformation? Eher nicht. Riesiger Glaubwürdigkeitsschaden? Auf jeden Fall.
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