Rentenreform in Frankreich: Wut auf Macrons Arroganz
Bei den Streiks geht es längst nicht mehr nur um die Rentenreform. Der Protest richtet sich auch gegen die Selbstherrlichkeit des Präsidenten.
D ie Rentenreform ist für Emmanuel Macrons zweite Amtszeit eine Art Leuchtturm. Sie soll das Licht des Reformers ins Land hinaus senden, lautet das Kalkül. 2017 war der Staatschef mit dem Anspruch angetreten, Frankreich umzukrempeln. Aber durch Coronapandemie und Ukrainekrieg wurde der Präsident in seinem Elan gebremst. Sein erstes Projekt einer Rentenreform, das mehr Gleichheit in das ungerechte System bringen sollte, blieb 2019 auf der Strecke.
Doch statt nun da weiterzumachen, wo er damals abbrechen musste, beschränkt sich der Staatschef auf eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre. Statt den Maschinenraum komplett umzubauen, tauscht er lediglich einige Geräte aus. Und verbindet seine Maßnahmen auch noch mit Geschenken an die Handwerker – in diesem Fall die konservative Opposition, die ihm helfen soll, sein Vorhaben durchs Parlament zu bringen.
Den Sinn der Rentenreform können die Französinnen und Franzosen hinter all den Winkelzügen kaum noch erkennen. Vor allem, weil Macrons Zugeständnisse an die Konservativen kaum noch etwas von dem Geld übrig lassen, das die Reform in die Rentenkassen spülen soll. Und die oberlehrerhaften Rechnungen, mit denen der frühere Investmentbanker die finanzielle Notwendigkeit seines Vorhabens belegen will, gehen am neuen Verhältnis zur Arbeit vorbei, das die Französinnen und Franzosen während der Pandemie entwickelten. Und über das sie nun auch diskutieren wollen. Nicht nur über Beitragsjahre und Berufsgruppen.
Es geht ihm um Gesichtswahrung
Doch der Staatschef, der sich immer stärker vom Volk entkoppelt, ergreift diese Gelegenheit nicht. Ihm geht es nur noch um Gesichtswahrung. Macron hat seinen Landsleuten den Sinn seiner Reform nie wirklich erklärt. Zwar gelobte der 45-Jährige bei seiner Wiederwahl einen neuen Führungsstil, der aus mehr Dialog bestehen sollte. Geredet hat er seither aber mit kaum jemandem – schon gar nicht mit den Gewerkschaften, die seit Jahren darum werben, endlich wieder ernst genommen zu werden.
Die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter werden den Protest gegen die sozial ungerechte Rentenreform, die rund 70 Prozent der Französinnen und Franzosen ablehnen, deshalb fortsetzen. Ihr Widerstand richtet sich längst nicht mehr nur gegen die Rente mit 64. Er richtet sich auch gegen einen Präsidenten, der diese Reform selbstherrlich und ohne wirkliche Notwendigkeit begonnen hat. Und der sie nun vor allem für sich selbst zu Ende bringen will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader