piwik no script img

Religion in der TürkeiSäkularisierungsorder von ganz oben

Die Türkei muss Islamunterricht als Pflichtfach an staatlichen Schulen abschaffen. Der Europäische Menschengerichtshof hat das Land dazu verpflichtet.

Hunderttausende demonstrieren in Instanbul gegen das staatliche Bildungssystem. Bild: dpa

ISTANBUL kna | Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hat die Türkei in letzter Instanz aufgefordert, Islamunterricht als Pflichtfach an staatlichen Schulen abzuschaffen. Laut türkischen Medien vom Donnerstag wies das Straßburger Gericht einen Einspruch der Türkei ab. Somit ist die Regierung in Ankara nun verpflichtet, das Urteil umzusetzen und die Teilnahmepflicht am sunnitisch geprägten Religionsunterricht für muslimische Schüler aufzuheben. Dem widersetzte sich die islamisch-konservative Regierung bislang.

Grundlage für das Urteil war die Klage türkischer Aleviten, einer liberalen Spielart des Islam. Ankara erkennt die Aleviten nicht als eigenständige Religionsgemeinschaft an und verlangt deshalb die Teilnahme alevitischer Schüler am Pflichtfach Religion. Jüdische und christliche Schüler sind von der Pflichtteilnahme ausgenommen. Alevitische Gläubige äußern immer wieder Vorwürfe, sie würden von der sunnitischen Mehrheit in der Türkei diskriminiert.

Die Straßburger Richter kamen in dem Verfahren im vergangenen September zu dem Schuss, dass die Türkei die Kinder der mindestens zehn Millionen Aleviten im Land nicht zur Teilnahme am Religionsunterricht zwingen darf. Sie forderten Ankara auf, Kinder auch dann vom Religionsunterricht zu befreien, wenn die Eltern ihre eigenen religiösen Überzeugungen nicht offenlegen. Als Mitglied des Europarats ist die Türkei an die Urteile aus Straßburg gebunden.

Ministerpräsident Ahmet Davutoglu wandte nach dem Urteil ein, religiöse Grundkenntnisse seien selbst für Atheisten wichtig. Davutoglus Regierung legte im Dezember Widerspruch gegen die Entscheidung ein, der jetzt von der Großen Kammer des Menschenrechtsgerichts zurückgewiesen wurde. Eine weitere Möglichkeit, Einspruch zu erheben, gibt es für die Türkei nicht.

Der Oppositionspolitiker und frühere Straßburger Menschenrechtsrichter Riza Türmen warnte, Ankara riskiere Sanktionen des Europarates, wenn die Türkei das Urteil nicht umsetze. Die Regierung sei ab sofort verpflichtet, die Zwangsteilnahme am sunnitischen Religionsunterricht zu beenden, sagte Türmen laut der Zeitung Taraf. Eine Reaktion der Regierung gab es am Donnerstag zunächst nicht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ich sehe es kommen.

    Der türkische Präsident wird in wenigen Tagen während einer Wutrede in seine Jackettasche greifen -er trägt vorgeblich die Papiere der bisherigen Beitrittsverhandlungen zur EU in seiner Jacket-Innentasche auf der Herzseite-, die Papiere hervorholen und in der Luft zerreissen.

    Und alle sollen es sehen.

    Und wir werden es sehen ... und staunen.

  • SEHR GUTE NACHRICHT. Und wenn Erdogan das nicht will, Sanktionen. Punkt.