Rekord-Skifahrerin Mikaela Shiffrin: Stete Suche nach dem besseren Weg
Mikaela Shiffrin bricht alle Bestmarken. Dennoch ist die einzigartige Karriere der US-amerikanischen Skirennläuferin von vielen Zweifeln begleitet.
Das Ende ist noch nicht in Sicht, aber Mikaela Shiffrin zog nach diesen historischen Tagen von Åre schon einmal Bilanz. „Ich werde niemals auf dem Level von Ingemar Stenmark Skifahren“, sagte die Skirennläuferin aus den USA, die gerade die Bestmarke des Schweden geknackt hatte und nun mit 87 Weltcup-Siegen alleinige Rekordhalterin ist.
Dieser Satz mag überraschen, er klingt nach ziemlich viel Understatement, und ist doch richtig, denn die beiden zu vergleichen, ist unmöglich. Stenmark war die Stil-Ikone auf Skiern seiner Zeit, er hatte seine Erfolge auf gut zwei Meter langen Brettern. Shiffrin ist so etwas wie die Stil-Ikone der Gegenwart, der Carving-Generation
Womöglich ist die Leistung der Amerikanerin noch höher einzuschätzen. Das zumindest sieht Stenmark so. „Ich glaube nicht, dass ich heute noch 86 Weltcuprennen gewinnen würde“, sagte er der Süddeutschen Zeitung. Die Konkurrenz ist viel größer als damals in den siebziger und achtziger Jahren, das Material aggressiver und damit steigt die Verletzungsgefahr. „Du musst also sehr hart arbeiten, um über einen so langen Zeitraum so oft vorne zu sein“, weiß der Schwede. Er hatte für seine 86 Siege gut vierzehn Jahre gebraucht, Shiffrin nur gut zehn. Stenmark ist sicher, dass seine Nachfolgerin, die am Montag 28 Jahre alt wurde, die Erste sein werde, die 100 Rennen gewinnt.
Für Shiffrin hat sich in Åre ein Kreis geschlossen. In dem Skiresort im schwedischen Jämtland gewann sie im Dezember 2012 ihr erstes Weltcuprennen, hier zog sie sich eine ihrer wenigen schwereren Verletzungen zu, hier gewann sie bei der WM 2019 zwei Goldmedaillen und hier plante sie nach dem Tod ihres Vaters das Comeback, ehe die Saison wegen Corona abgebrochen wurde. Åre, sagt Shiffrin, verbinde sie mit „unglaublichen Erfahrungen und schmerzvollen Momenten“.
Schon wieder Saison-Beste
Es passt zu Shiffrin, dass die größten Gefühle in ihr nicht der Rekord auslöste, sondern die Anwesenheit ihres Bruders und ihrer Schwägerin, die sich am Tag zuvor ins Flugzeug gesetzt hatten, um mit Shiffrin den Triumph zu feiern. Es sei „die ultimative Überraschung gewesen“, schrieb sie unter ein Familienfoto im Zielraum auf Instagram, ehe sie sich auf den Weg zum Weltcup-Finale in Soldeu/Andorra machte.
Dort bekommt Shiffrin am Wochenende die große Kristallkugel für den Gewinn des Gesamtweltcups, ihre fünfte, sowie die beiden kleinen Kugeln für die Saison-Beste im Slalom und Riesenslalom überreicht. Wer sie in den vergangenen Monaten nach Rekorden gefragt hat, bekam stets eine zurückhaltende Antwort. „Ich versuche lieber daran zu denken, wie ich im Jetzt glücklich sein kann“, hatte sie nach einem ihrer vielen Siege zuletzt gesagt. Es scheint so, als ob sie selbst immer viel weniger an sich glauben würde als alle anderen.
Die so erfolgreiche Karriere von Shiffrin ist begleitet von Selbstzweifeln. So fragte sie sich einmal, ob es nicht etwas Sinnvolleres zu tun gäbe, als Skirennen zu bestreiten. Und auch nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters im Februar 2020 stellte sie ihre Karriere in Frage. In der schweren Zeit danach half ihr Aleksander Aamodt Kilde. Er sei ihre eine große Stütze gewesen, verriet Shiffrin, nachdem die beiden ihre Beziehung öffentlich gemacht haben. Aber auch der Norweger kann nicht verhindern, dass sie manchmal Niederlagen mehr beschäftigen, als sie Siege beflügeln. „Mikaela ist die Weltbeste, agiert aber wie eine, die nicht einmal in der Nähe der Weltspitze ist“, sagte Kilde einmal der Neuen Züricher Zeitung. Sie suche immer nach Dingen, „die sie verbessern kann“.
Nach den sportlich vielleicht bittersten Tagen ihrer Skikarriere, den medaillenlosen Olympischen Winterspielen in Peking im vergangenen Jahr, setzte sie neue Reizpunkte. Shiffrin bestritt wieder mehr Abfahrts- und Super-G-Rennen, optimierte ihren Reiseplan und entschied sich die Zusammenarbeit mit ihrem langjährigen Trainer Mike Day zum Saisonende zu beenden. Dies teilte sie ihm allerdings während der WM in Courchevel/Meribel mit. Dass Day daraufhin wütend abreiste, war nicht geplant und sorgte für Aufregung, die Shiffrin im Kampf um Medaillen nicht haben wollte. Zwei Tage später gewann sie trotzdem ihr erstes WM-Gold im Riesenslalom. „Sie zieht ihre Linie von oben bis unten durch“, sagte Stenmark. Im Schnee ebenso wie im Leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen