Rekommunalisierung von Stromnetzen: Das Volk begehrt Energie
In Berlin und Hamburg fordern Hunderttausende, dass die Städte ihr Stromnetz von Atomkonzernen zurückkaufen. In beiden Städten wird es nun einen Volksentscheid geben.
BERLIN/HAMBURG taz | Der 22. September wird doch noch spannend, zumindest in Hamburg und Berlin. Denn zeitgleich zur Bundestagswahl steht in beiden Städten ein Volksentscheid über die kommunale Energiepolitik an.
Schon vor Fristende am Montagabend hatten in Berlin laut Initiatoren mehr als 200.000 Wahlberechtigte das Volksbegehren für die Gründung eines städtischen Stromnetzbetreibers und eines Stadtwerks unterschrieben – und damit den Weg zu einem Entscheid geebnet. Die dafür nötigen Unterschriften sind in Hamburg schon seit Juni 2011 zusammen.
Hinter den Kampagnen stehen in beiden Städten Bündnisse aus Klimaschutz-, Sozial- und Mieterorganisationen. Während die Initiative „Unser Hamburg – unser Netz“ eine vollständige Übernahme der von Vattenfall und Eon betriebenen Verteilnetze für Strom, Gas und Fernwärme durch die Stadt anstrebt, geht es dem Berliner Energietisch zunächst nur um das Stromnetz.
Berlin soll es von //www.stromnetz-berlin.de:Vattenfall zurückholen und außerdem ein Öko-Stadtwerk aufbauen. Letzteres soll möglichst viele Haushalte mit grüner Energie versorgen, die energetische Gebäudesanierung in der Hauptstadt voranbringen und Stromsperren gegen Bedürftige wegen unbezahlter Rechnungen vermeiden.
Trotz der unterschiedlichen Ansätze stimmen Hamburger und Berliner vor allem über eine Frage ab: Soll sich ihre Stadt um mehr öffentlichen Einfluss auf die Energieversorgungsstrukturen bemühen und damit die Privatisierungen der letzten Jahre rückgängig machen?
Dagegen wehrt sich in Berlin besonders die CDU als Juniorpartner der rot-schwarzen Koalition. „Ich könnte sehr gut schlafen, wenn Vattenfall weiter das Stromnetz betreiben würde“, sagte der energiepolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Michael Garmer, bei einer Veranstaltung des schwedischen Konzerns vergangene Woche.
Doch die SPD hat der CDU bisher zumindest abgerungen, dass sich Berlin mit einem neuen landeseigenen Unternehmen sowohl um das Strom- als auch um das Gasnetz bewirbt. Inzwischen hat Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) sogar angekündigt, auch das weitestgehend von Vattenfall bewirtschaftete Fernwärmenetz in den Fokus zu nehmen.
Lieber keine Atomkonzerne
Wie Berlin und Hamburg müssen zahlreiche Kommunen dieser Jahre ihre Netzkonzessionen neu ausschreiben, viele davon entschließen sich zu einer eigenen Bewerbung. „Es geht um die Frage, in wessen Händen öffentliche Daseinsvorsorge und Energiewende in Zeiten der Bankenkrise liegen“, sagte der Leiter der Energiewirtschaftsabteilung des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), Michael Wübbels, kürzlich in Berlin.
In Hamburg hat Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) versucht, der Rekommunalisierungsinitiative den Wind aus den Segeln zu nehmen. Für 543,5 Millionen Euro kaufte die Stadt 25,1 Prozent an den Netzen zurück. Ein 100-prozentiger Rückkauf sei „nicht finanzierbar“, behauptete Scholz, und nicht nötig für die Energiewende. Tatsächlich unterliegen zumindest Strom- und Gasnetzbetreiber einer strengen Regulierung durch die Bundesnetzagentur, und die Vattenfall- und Eon-Tochtergesellschaften haben mit dem Energieerzeugungsmix selbst direkt nichts zu tun.
Doch „Unser Hamburg – unser Netz“ und der Berliner Energietisch wollen lieber die öffentliche Hand und nicht Kohle- und Atomkonzerne an den Hebeln sehen, wenn es in Zukunft darum geht, die Verteilnetze zu Gunsten vieler Kleineinspeiser zu dezentralisieren. Außerdem weisen sie wie der VKU immer wieder darauf hin, dass Kommunen mit den Netzen eine solide Rendite erwirtschaften und daraus den Kaufpreis mittelfristig refinanzieren können.
In Hamburg sind für die vollständige Kommunalisierung der drei Netze wohl 1,6 Milliarden Euro nötig, in Berlin kursieren für das Stromnetz Werte zwischen 400 Millionen und drei Milliarden Euro.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht