Reisen mit den Sinnen: Hefezopf und Frangipani
Gerüche sind die Schlüssel zu den Kästchen im Gehirn. Auf Reisen in ein unbekanntes Land schnüffelt man deshalb am besten viel herum.
Ich rieche die Ramblas noch heute. Nein, das stimmt so nicht. Aber ich erinnere mich genau, wie es gerochen hat, damals im Markt an Barcelonas Prachtstraße: Nach reifem Pfirsich und Fleisch mit leichtem Stich, säuerlicher Olivenlake und wasserbesprengten Muscheln, und dazwischen trieben Wirbel von Naphtalin und Tabak: Die strengen Seifen spanischer Hausfrauen und die kratzigen Wolken der „Celtas“-Zigaretten, 20 Stück für fünf Pesetas.
„Unser Denken geht auf Riechen zurück“, behauptet die amerikanische Schriftstellerin Diane Ackermann in „Die schöne Macht der Sinne“. Und unser Reisen ist erst recht aufs Engste mit dem Aufnehmen und Einordnen von Gerüchen verbunden. In ein unbekanntes Land schnüffelt man sich am besten hinein. Wer das, was per Nase auf ihn einstürmt, als Belästigung empfindet, bleibt am besten zu Hause.
Der Geruch nach Heidekraut und sommerwarmem Torf steht für den Fußmarsch durch die schottischen Highlands. Dichte Abgasschwaden, in die sich Spuren von Frangipani-Blüten und Nudelsuppe mischen – Bangkok. Nur das Geruchsgewitter aus Curry, Hühnerinnereien und gärenden Mangos ist nicht genau zu verorten: Jeder asiatische Markt kommt dafür infrage.
Viel zu häufig aber trifft, wer sich auf ein Land einlässt, auf den trüben Gestank der Armut: Muffig, stechend und süßlich treibt er daher – eine Mischung aus stockigen Lumpen, Pisse, Müllhalden und schlechter Gesundheit.
Riechen und fühlen
Nichts stimmt uns dagegen glücklicher, als irgendwohin zurückzukommen und von einem vertrauten Geruch begrüßt zu werden: Holzfeuer und dazu das aufgeregte Plappern von Schulkindern in Uniform: Was für ein Morgen – Afrika! Ein frisches Aroma nach Meer und Gurke – so riecht der erste Dorsch, den wir durch den norwegischen Tang an Land ziehen. Und ganz sicher gibt es Zeitgenossen, für die ein Urlaub auf Mallorca ohne den Duft nach „deutschem Filter-Cafe“ und der Druckerschwärze einer frischen Bild-Zeitung einfach nicht stilecht beginnen würde.
Manchmal aber springt uns irgendwo auf der Welt unvermutet etwas Uralt-Vertrautes an: Es duftet nach Heu. Nach warmer Kuhmilch, frisch umgegrabener Erde, warmem Hefezopf. Und plötzlich wirken Gerüche wie Schlüssel zu den unzähligen Kisten und Kästchen im Gehirn – schon gehen einige auf und geben den Blick auf längst vergessen geglaubte Bilder frei, samt den dazugehörigen Gefühlen. Heulen könnte man.
PS: Und dann sind da noch die Plumpsklos, ob in Sibirien, China, Nepal oder Usbekistan. Härtefälle, Schwerstarbeit für die Nase, zugegebenermaßen. Aber welcher Reisende, Hand aufs Herz, möchte solche überwältigenden olfaktorischen Sensationen wirklich in seinem Erfahrungsschatz missen?
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Gast
Ich rieche Paris, aber nicht den Duft der Frauen. Sondern den der Metro. Mir ging es wie Zazie, nur dass ich nicht eingeschlafen bin. Sondern wach und aufgeregt mit ihr gefahren bin. Tagelang.
Sogar mehr als das, ich bewegte mich in dem Kosmos namens Metro. Mit ihren langen Tunneln, komplizierten Umsteigeverbindungen, den Musikern in den langen Röhren. Es hatte mich erwischt, ich war verliebt. Meine erste U-Bahn.
Und vor allem die Gerüche haben sich in meinem Gedächtnis festgesetzt. Der prägnante Mief, warme verbrauchte Luft. Ich würde ihn unter hundert Gerüchen herausfinden.
Wenn ich in einer anderen U-Bahn unterwegs bin, denke ich manchmal: Fast wie in der Metro. Aber eben nur fast.