Reisebeschränkungen in der Pandemie: Halbherzig ist besser als nichts
Die Versuche, an den Grenzen Kontrollen aufzubauen, müssen halbherzig bleiben. Aber es ist immer noch besser, als nichts zu unternehmen.
W enn Sie künftig aus Portugal kommend am Frankfurter Flughafen ankommen, dann müssen Sie im Rahmen der Pandemieabwehr jetzt einen aktuellen Coronatest vorweisen. Wenn Sie aber mit dem Auto aus dem Kosovo kommend die bayerische Grenze erreichen, dann gilt zwar die gleiche Regelung. Aber es kontrolliert niemand, und die Einreise aus dem EU-Partnerland Österreich nach Deutschland bleibt ungehindert.
Das soll noch einer verstehen, werden die Neunmalklugen kommentieren. Und sie haben ja recht. Die Kontrollen zur Eindämmung des Virus sind lückenhaft und widersprüchlich. Kaum jemand überprüft, ob ich mich, aus einem Landkreis mit hoher Inzidenz kommend, an die Regelung halte, mich nicht weiter als 15 Kilometer davon entfernt aufzuhalten. Kein Polizist schaut, ob sich nicht vielleicht doch drei Haushalte privat in einer Wohnung treffen. Und wer überprüft die Zehntausenden Lkw-Fahrer, die grenzüberschreitend unterwegs sind? Niemand, denn die Trucker sind ausdrücklich ausgenommen.
Doch diese Widersprüchlichkeit ist auch gut. Die Coronakrise zeigt, dass der Allmächtigkeit des demokratischen Staates Grenzen gesetzt sind. Einschränkungen betreffen vor allem den privaten Bereich. Die Krise macht aber auch deutlich, dass Deutschland nicht Neuseeland ist. Wir leben mit unseren Nachbarn, sind wirtschaftlich eng mit ihnen verflochten. Neue Mauern hochzuziehen würde nicht nur den europäischen Wirtschaftsraum schwer schädigen und mehr Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Pflegekräfte aus Polen kämen nicht mehr zu den von ihnen betreuten Menschen, Tagespendler nicht mehr zu ihrem Job, am Ende würde der so dringend benötigte Impfstoff an irgendeiner Grenze hängen bleiben.
Die Versuche, an den Grenzen Kontrollen aufzubauen, müssen deshalb halbherzig bleiben. Das führt zu Ungleichbehandlungen. Aber es ist immer noch besser, als nichts zu unternehmen. Der Staat muss an erster Stelle weiterhin auf die Intelligenz und Einsicht seiner Bürger setzen – auch wenn es einige Uneinsichtige gibt.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen