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Regisseur des Kurnaz-Films„Ich musste mich entscheiden“

Der Film „5 Jahre Leben“ erzählt Murat Kurnaz' Gefangenschaft in Guantanamo. Regisseur Stefan Schaller erklärt, warum er die Rolle Deutschlands nicht aufgreift.

Szene aus „5 Jahre Leben“: Murat Kurnaz wird verhört Bild: Verleih
Interview von Wilfried Hippen

taz: Wie kommt ein Regie-Student der Filmakademie Baden- Württemberg dazu, seinen Abschlussfilm über den Leidensweg von Murat Kurnaz in Guantanamo zu drehen?

Stefan Schaller: Ich hatte den Traum, Filmregisseur zu werden, und war gleichzeitig politisch engagiert. Wenn dann solch eine Geschichte wie die von Murat Kurnaz passiert, kommt natürlich gleich der Gedanke, das als Film zu erzählen.

Als der Fall Kurnaz hierzulande in die Öffentlichkeit kam, hatten Sie Ihr Studium noch gar nicht begonnen.

2003 war mein Interesse an Murat Kurnaz noch eher politischer Natur: Wie kann es sein, dass die Öffentlichkeit nicht mitkriegt, was mit diesem Menschen los ist, der sich nicht äußern kann und dem eine Gesinnungsschuld zugesprochen wird, nur weil er in Guantanamo sitzt? Das hat mich wütend gemacht.

Wie haben Sie sich dem Thema genähert?

2005 gab es den ersten Kontakt zu Murats Anwalt und ich hab eine Brief an seine Familie verfasst, in dem ich meine Anteilnahme bekundete. Dann habe ich das Filmstudium begonnen und ein paar Kurzfilme gemacht. 2009 erfuhr ich dann von meinem Dozenten Nico Hoffmann, dass seine Firma Teamworx die Rechte an Murats Buch hatte. Damals dachte ich zuerst noch, da würden ganz andere Leute einen Film darüber machen.

Stefan Schaller

30, kommt aus München, wo er zunächst Politik und Theaterwissenschaften studierte. Seit 2005 Studium der szenischen Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg. Drehbucharbeiten unter anderem für den "Tatort" und Detlev Bucks "Hände weg von Mississippi". "5 Jahre Leben" ist sein erster Langfilm als Regisseur.

Als dann von denen gesagt wurde, ich dürfte den Stoff mit einem ganz eigenen Ansatz bearbeiten, habe ich es versucht, ohne zu wissen, worauf ich mich da einlasse. Denn das Thema hat ja viele Aspekte, die man herauslassen muss, damit einem ein runder Film gelingt. Ich wollte halt kein Biopic machen, in dem alles nacherzählt wird.

Murat Kurnaz einziger Einwand gegen den Film ist, dass er es nicht in Ordnung finde, wenn ein deutscher Filmemacher ausgerechnet die Verstrickung der deutschen Politiker und des BND nicht behandelt. Warum haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden ?

Am wichtigsten war es mir, aus der Sicht von Murat zu erzählen. Ich habe zuerst auch versucht, diese deutsche Perspektive mit in den Film hineinzubringen. Aber dann habe ich gemerkt, dass beides zusammen nicht geht.

Warum?

Wenn ich konsequent erzählen will, muss ich mich für eine Seite entscheiden. Dabei beschäftigt mich die politische Dimension der deutschen Seite auch jetzt noch sehr. Da sind skandalöse Verfehlungen geschehen, die zum Himmel schreien und ich hätte gerne einen Film darüber gemacht. Aber wenn man das anreißt, muss man das richtig zu Ende erzählen und zeigen, wo die Entscheidungen gefällt wurden. Und dann wäre Murat nicht mehr der Protagonist gewesen. Mir war es wichtiger, ihm filmisch diesen Raum zu geben.

Genau genommen stimmt ja auch der Titel des Films nicht, denn er erzählt nicht von den fünf Jahren, die Murat Kurnaz in Gefangenschaft leben musste, sondern nur von etwas mehr als einem Jahr, in dem er verhört wurde.

Ja, stimmt, wir haben auch lange nach einem anderen Titel gesucht, aber keinen besseren gefunden. Weil sein Buch ja schon den Titel „Fünf Jahre meines Lebens“ hatte, kann man da ganz schwer von wegkommen. Die intensiven Vernehmungen, die wir versucht haben, komprimiert darzustellen, haben eine Erkenntnis in Murat geformt, die unverrückbar war und ihm dabei geholfen hat, die ganze restliche Zeit zu überstehen.

Sie haben sich dafür entschieden, die körperliche Folter wie die Elektroschocks und die Affenschaukel nicht zu zeigen. Stattdessen zeigen Sie die seelischen Misshandlungen von Murat Kurnaz in der Form eines Zweikampfes zwischen ihm und einem Verhörspezialisten. Wie ist es zu dieser Entscheidung gekommen?

Die Schriftstellerin Juli Zeh ist eine gute Freundin, die mich auch dramaturgisch beraten hat. Sie hat zu einer früheren Fassung des Drehbuchs gesagt, das Drehbuch sei immer dann am stärksten, wenn ich mit Sprache beschreibe, was jemand erlebt. Das wäre intensiver, als wenn sie es sehen würde. Und so habe ich immer konzentrierter in diese Richtung gearbeitet.

Wenn ich etwa den Film „The Road to Guantanamo“ von Michael Winterbottom sehe, den ich sehr schätzte, dann geht es mir dennoch so, dass seine Helden so viel an Gewalt erleben, dass ich als Zuschauer angesichts dessen zu mache. Deshalb wollte ich eine Form finden, bei der diese Gewalt auf einer abstrakteren Ebene stattfindet. Und das sind diese Verhöre, die wie Duelle mit Sprache wirken sollen. Das ist vielleicht nicht der übliche Weg im Kino, aber mich interessiert solch eine kammerspielartige, entrückte Situation.

In Rückblenden erzählen Sie auch von der Jugend von Murat in Bremen. Dort haben Sie diese Sequenzen auch gedreht – zwar nicht an den Originalschauplätzen, aber immerhin.

Für mich war es eine Herzensangelegenheit, diese Zeit in Bremen im Film unterzubringen. Weil ich mit meiner Erinnerung daran, wie ich mit 18 Jahren drauf war, gut nachvollziehen kann, wie jemand, der orientierungslos ist, versucht, in der Religion einen Halt zu finden. Er war damals ja nicht verblendet oder wollte ein Hardcore-Muslim werden, sondern er hatte für diese Suche einen hehren Grund. Es hat mich berührt, wie einer vom Leben als Türsteher weg will und wie sich das Schicksal dann so gegen ihn wendet.

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6 Kommentare

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  • S
    Sondermann

    Schaller zeigt eindrucksvoll die Folter in Guantánamo. Es ist widerwärtig, wie sich die USA hier in totalitäre Traditionen (NS-Konzentrationslager, Archipel Gulag) begeben. Es genügt m.E. völlig, die psychische Folter und die Schläge zu zeigen. Noch mehr Gewaltdarstellung tut nichts zur Sache.

     

    Eines verstehe ich jedoch bei Murat Kurnaz nicht: Weshalb hat er nie die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen? Hätte er sie gehabt, dann hätten auch die "BN-Scheiß-D"-Leute (O-Ton des Verhörers im Film) nicht untätig abreisen können. Als gebürtiger Bremer, der auch dort aufgewachsen ist, fühlt sich Murat doch bestimmt in Deutschland mehr zu Hause als in der Türkei. Und er engagiert sich löblicherweise interantional gegen die Folter.

     

    Was hat ihm also seine türkische Staatsangehörigkeit hier genutzt? Meines Wissens hat die türkische Regierung für ihren Staatsbürger Murat Kurnaz noch weniger getan als die deutsche: nämlich gar nichts. Was mich auch nicht weiter verwundert: Dort sind Folterungen wie in Guantánamo alltägliche Praxis in Gefängnissen.

     

    Vielleicht ist das auch mal ein Impuls dafür, was Integration bewirken kann: wenn man sie denn will.

  • D
    dieter

    OK, man soll den Troll nicht füttern, aber:

    @Humatheist

    Hallo Herr Steinmeier, cooles Pseudonym...

  • F
    Falmine

    @ Humatheist

    Dass Sie hier Murat Kurnaz mit dem verurteilten Mörder Markus Gäfgen vergleichen, zeigt nur Ihre Unkenntnis über einen demokratischen Rechtstaat.

     

    @ all

    Es ist wichtig, dass das Schicksal von Murat Kurnaz filmisch dargestellt wird. Auf Folterszenen kann ich dabei gut verzichten - es gibt genügend Filme, die die einzelnen Methoden zeigen.

    Für unverzichtbar halte ich jedoch die filmische Aufarbeitung der Rolle der damaligen Bundesregierung (Steinmeier im Bundeskanzleramt und Schily als Innenminister)! Das hat Murat Kurnaz' Leiden um mindestens zwei Jahre verlängert und sollte allen Bundesbürgern als Warnung bekannt sein: Verlasst euch nicht auf Eure Politiker!

  • O
    Observer

    @ Humatheist:

     

    Sie behaupten also allen ernstes, dass in Guantanamo nicht gefoltert wurde? Dann lesen Sie mal schön ihre "bild" weiter. Für die Folterungen un Guantanamo gibt es massenweise Belege. WAS wurde ihm denn vorgeworfen? Es kam durch die US-Behörden nicht zu einer Anklage gegen ihn.

     

    Da wurden massenweise Menschen eingefangen und ohne das Recht auf ein rechtsstaatlich geführtes Verfahren auf unbestimmte Zeit weggesperrt und gefoltert. Von "habea corpus" oder dem "Miranda-Act" keine Spur in Guantanamo.

  • F
    fassungslos

    @Humatheist

    ich bin fassungslos mit welcher Arroganz Sie hier richten. Wie widrig müssen für Sie die Umstände noch sein, als 5 Jahre in dem Kasten Guantanamo ohne Anklage zu vegetieren, ob mit oder ohne Folter, um sich als Opfer fühlen zu dürfen?

    Ein junger Mann zur falschen Zeit am falschen Ort, ein Flug nach Pakistan wie ihn wohl 1000 andere Menschen auch kurz nach 9/11 unternommen haben und seine muslimische Religionszugehörigkeit, kann eine Lagerhaft ja wohl kaum rechtfertigen. Oder kennen Sie Anklagepunkte gegen ihn, von denen ich noch nichts gelesen habe.

     

    Und wenn: Guantamo verletzt sämtliche geltenden Menschenrechte! Aber damit nehmen es wohl nicht Alle so genau.

  • H
    Humatheist

    Ich wundere mich etwas, dass nach "Elektroschocks" und "Affenschaukel" gefragt wird. Warum sollte man in einem Film etwas zeigen, was gar nicht stattgefunden hat?

     

    Auch für die sonstige "Folter", die auskunftsgemäß wohl vor allem aus "Schlafentzug" bestand, gibt es meines Wissens keinerlei Belege außer den Aussagen des für mich extremst unglaubwürdigen Herrn Kurnaz.

     

    Man sollte meines Erachtens nicht den Fehler begehen, Herrn Kurnaz als unschuldiges und bemitleidenswertes Opfer anzusehen. Seine Inhaftierung widersprach geltendem Recht, keine Frage. Das macht ihn aber eben nicht zum Opfer widriger Umstände. Ich übersehe jedenfalls nicht, dass er wenige Tage nach 9/11 nach Pakistan flog. Warum wohl? Und sein Umfeld?

     

    Was kommt als Nächstes? Ein Film über das arme Folteropfer Magnus Gäfgen?

    Auch in dessen Fall kann man die Gewaltandrohung durch die Polizei verurteilen, muss das "opfer" aber nicht bemitleiden.