Regionalwahlen in Frankreich: Sonderfall Elsass
Am Sonntag wählen die Franzosen ihre Regionalparlamente. Im Elsass fordern Sozialisten und die Umweltliste gemeinsam die Konservativen heraus.
STRASSBURG taz | "Cest possible!" Wie ein Kampfruf tönt Jacques Ferniques Feststellung, dass ein Sieg der vereinten rosarot-grünen Liste im Elsass möglich, ja sogar greifbar nah geworden ist. Der grüne Spitzenkandidat heizt ohne Rücksicht auf die CO2-Bilanz die Stimmung an. Im Saal des Palais des Fêtes von Straßburg werden grüne und rote Fahnen geschwenkt. Eine Blasmusik-Combo liefert dazu Tusch und heiße Salsa-Rhythmen. Wird da ein Sieg gefeiert? Das wäre deplatziert oder sogar verhängnisvoll, versichern alle.
Sozialisten und Grüne waren getrennt bei den Regionalwahlen angetreten. Jetzt findet man sich für das Finale zusammen in einer Allianz, die von Anfang an geplant war. Trotzdem ist diese grün-rote Union fragil. Es ist spürbar in den Gesprächen, wie sich die einen bemühen, den anderen nicht auf die Füße zu treten. Fernique hatte aufgrund von optimistischen Voraussagen gehofft, als erster Grüner eine Region regieren zu können. Nun muss er seinem Partner Jacques Bigot von den Sozialisten, die ein paar Prozente mehr erhalten haben als "Europe Ecologie", den Vortritt und im Fall eines Sieges den Vorsitz überlassen.
Dem Händchen haltenden Duo auf der Bühne hat sich Antoine Waechter angeschlossen. Er ist eine historische Figur der Ökologiebewegung, ehemals Sprecher der Grünen, von denen er sich wegen der Integration in eine Linksunion getrennt hatte. Seinen heutigen Gesinnungswandel erklärt er so: "Meine Mutter sagte meiner Schwester, sie müsse zuerst unabhängig und frei werden, bevor sie wähle, mit wem sie leben wolle." Das sei in der Umweltpolitik auch so. Sie seien jetzt stark genug, um von den Sozialisten als ebenbürtiger Partner anerkannt zu werden.
Wer tritt an? Bei den Regionalwahlen an diesem Sonntag können Parteien, die mehr als fünf Prozent der Stimmen erhalten haben, sich zu vereinten Wählerlisten zusammenschließen. Im Wesentlichen treten drei Parteien bzw. Parteienbündnisse zur Stichwahl an. Die regierende UMP von Präsident Nicolas Sarkozy, die Sozialisten gemeinsam mit der Europe Ecologie (Grüne) und der rechtsradikale Front National.
Wer regiert wo? 20 der 22 Regionen wurden bisher von den Sozialisten regiert. In den konservativ regierten Bezirken Elsass und Korsika könnte es am Sonntag besonders knapp werden. Im Elsass liegt das Bündnis aus Sozialisten und Grünen gleichauf mit der UMP. In Korsika haben sich mehrere Linksparteien zusammengeschlossen. Sie erzielten vor einer Woche zusammen 40 Prozent. (gb)
An gemeinsamen Prioritäten mangelt es diesem Gespann nicht: die Schließung und Entsorgung des ältesten französischen Reaktors in Fessenheim, der Kampf gegen die Umgehungsautobahn bei Straßburg, der, wie Fernique und Bigot gleichermaßen beklagen, 400 Hektar Agrarland geopfert werden soll. Dass nun vier Tage vor den Wahlen das oberste Verwaltungsgericht alle Rechtsmittel gegen dieses Projekt abgelehnt hat, betrachten sie als stimulierende Provokation.
Jetzt glauben sie erst recht, dass am Sonntag für die Region Elsass auch politisch der Frühling beginnt. Die Aussicht auf einen Triumph mit vereinten Kräften, der nationale Schlagzeilen machen und in die Geschichte eingehen könnte, beflügelt die Anhänger. Seit dem ersten Durchgang der Regionalwahlen am letzten Sonntag liefern sich die bürgerliche-konservative UMP und die sozialistisch-grüne Linke ein Kopf-an-Kopf-Rennen, dessen Ausgang ungewiss ist. Wie in vielen anderen Regionen kommt es zu einer Dreieckswahl mit der extremen Rechten. Einer letzten Wahlumfrage zufolge liegen die Listen der UMP und die der vereinten Linken mit je 43,5 Prozent gleichauf, auf den Front National sollen 13 Prozent der Stimmen entfallen. Noch sagen aber 23 Prozent der Leute, sie hätten sich noch keine Meinung gebildet. Beim ersten Durchgang sind mehr als 56 Prozent im Elsass nicht wählen gegangen.
Zusammengezählt haben am 14. März die Sozialisten und die Umweltliste "Europe Ecologie" mit knapp 35 Prozent ebenso viel Stimmen erhalten wie die UMP. Die Partei von Präsident Nicolas Sarkozy verteidigt "ihr" Elsass umso verbissener, als es da um ein landesweites Symbol geht. Schon jetzt wurden nur das Elsass und Korsika von der konservativen Regierungspartei regiert. Und wenn nun auch noch diese bisher als uneinnehmbar geltende bürgerliche Bastion im Dreiländereck fallen sollte, wäre das Fiasko der Staatsführung von Nicolas Sarkozy wohl total.
Bei der UMP läuft deshalb die Kampagne auf Hochtouren, um den Albtraum eines "grand slam" der Linken in allen 22 Regionen des Landes (ohne Überseegebiete) abzuwenden. Von einem Frankreich ganz in Rosarot träumt laut die sozialistische Parteichefin Martine Aubry. Für die gegnerische UMP ist das Elsass wie eine belagerte Zitadelle, die es um jeden Preis zu halten gilt. Alle reden von diesem Test.
In Straßburg geben sowohl Philippe Richert (UMP) wie sein sozialistischer Gegner Jacques Bigot vor, diese nationale Bedeutung der Wahl vom kommenden Sonntag sei nun wirklich die letzte ihrer Sorgen, beide wollen nur über das Elsass, über seine Sorgen und Stärken reden. Das ist wohl ein wahltaktischer Imperativ. Die beiden kennen sich gut, Richert ist Senator und Bigot Vorsitzender der städtischen Agglomeration Straßburg. Sie als Feinde zu betrachten, wäre nicht nur übertrieben, es entspräche auch überhaupt nicht der elsässischen politischen Mentalität, in der man den Ausgleich in der Mitte sucht.
Die Politik war hier stets von einem christlich-sozialen Humanismus geprägt. Diesen verkörperte der Vorsitzende der Region, der Zentrumspolitiker Adrien Zeller, der während seines Mandats im August 2009 starb und eine große Lücke bei der lokalen UMP hinterließ. Auch der sozialistische Spitzenkandidat Bigot beansprucht in seiner Rede explizit und ungeniert einen Teil des zentrumsdemokratischen Erbes. Er ist kein feuriger Redner, aber er hat den Vorteil, dass er als Oppositioneller der bisherigen rechten Mehrheit der Region alle Probleme als Versäumnisse und mangelnde Weitsicht dem Konkurrenten anlasten kann. Sogar dass sie die beschäftigungspolitischen Konsequenzen des Mauerfalls in Deutschland nicht rechtzeitig erkannt habe, kreidet er der UMP an! Richert kontert in Interviews, die Linke wolle die Region unter eine Glocke stellen, werde in Wirklichkeit aber die Steuern erhöhen.
Das Elsass ist nicht mehr die von Gott begnadete Insel des Wohlstands, die laut Statistik pro Kopf mehr exportiert hat als jede andere Region Frankreichs. Obschon weiterhin je rund 30.000 Menschen täglich zur Arbeit in die Nordwestschweiz oder nach Baden und in die Pfalz pendeln, ist die Arbeitslosigkeit mit der Krise rapide angestiegen und erreicht mit 9 Prozent fast den nationalen Durchschnitt.
Keine besoldeten Imame
Denn das Elsass gefällt sich in seiner Besonderheit, die jeder, wenn auch auf seine Weise und nicht immer im selben Bereich, verteidigen will. Liebevoll pflegt man das oft kitschige Image mit dem Storch auf dem Dach, Salzbretzel und Sauerkraut. Dagegen fragt man sich, wie ernst es den Kandidaten mit ihrem Lippenbekenntnis zur Zweisprachigkeit ist. Noch sprechen vielleicht 40 Prozent der Elsässer außer der Amtssprache Französisch auch den alemannischen Dialekt. Dieser wird wie das Hochdeutsche im Unterricht trotz Zugeständnissen von Paris nicht genügend gefördert.
Eine andere historische Eigenheit betrifft die Religionen in dieser sonst so weltlichen Republik. Im Elsass ist immer noch Napoleons Konkordat von 1801 in Kraft, das vier Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte und Juden) anerkennt. Priester, Pastoren, Pfarrer und Rabbiner werden darum in dieser Grenzregion staatlich besoldet - aber nicht die muslimischen Imame. Der Islam, der 1801 nicht vorgesehen war, ist daher auch vom Religionsunterricht in öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Die Frage, ob das Konkordat deswegen aufgehoben werden muss, wie dies die antiklerikale Linke bis in die 1970er-Jahre gefordert hatte, wird zum Politikum. Es lieferte der extremen Rechten unverhofft einen Anlass für ihre Kampagne gegen die "Islamisierung". Den Kampf gegen die Große Moschee von Straßburg hat der FN bereits verloren. Sie wird im Herbst eingeweiht, samt Kuppel und einem Minarett, das ursprünglich gar nicht vorgesehen war, im Kontext des schweizerischen Verbots aber vom sozialistischen Straßburger Bürgermeister Roland Ries ausdrücklich befürwortet wurde.
Ihren eigenen "Sonderfall" möchte die elsässische UMP um jeden Preis verteidigen, indem sie die von Linken und Grünen belagerte Bastion hält. Auch sie meint vorsichtig zuversichtlich: "Cest possible." Ob die Unterstützung durch Premierminister François Fillon, der als Stargast zur Abschlusskundgebung in die Europakapitale Straßburg anreiste, hilfreich war, wird sich am Sonntag zeigen.
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