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Regierungskrise in der UkrainePremier schmeißt hin

Alexej Gontscharuk reicht sein Rücktrittsgesuch ein – beim Präsidenten. Über den soll er in einem vertraulichen Gespräch hergezogen sein.

War's das schon als Regierungschef? Alexej Gontscharuk am Freitag im Parlament Foto: Volodymyr Tarasov/imago

Kiew taz | Der ukrainische Regierungschef Alexej Gontscharuk hat seinen Rücktritt eingereicht. Dem Gesuch war die Veröffentlichung eines vertraulichen Gesprächs vorausgegangen, in dessen Verlauf sich Gontscharuk wenig loyal über den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski geäußert hatte.

Der Präsident, so Gontscharuk bei diesem Gespräch, habe ein „primitives Verständnis ökonomischer Prozesse“, die Wirtschaft werde von Gefolgsleuten des US-amerikanischen Milliardärs George Soros kaputt gemacht, und überhaupt habe auch er selbst von Wirtschaft nicht viel Ahnung.

Auf seiner Facebook-Seite beteuerte Gontscharuk am Freitag Vormittag seine Loyalität gegenüber dem Präsidenten. Dieser stehe für Offenheit und Aufrichtigkeit. Sein Rücktrittsgesuch habe er verfasst, weil er jegliche Zweifel an seinem Respekt und seinem Vertrauen gegenüber dem Präsidenten ausräumen wolle. „Ich habe mein Amt angetreten, um das Programm des Präsidenten umzusetzen“, verteidigt er seine Arbeit. Der Präsident sei ein Mensch, der volles Vertrauen verdiene.

Mit keinem Wort geht Gontscharuk auf die Frage ein, ob die Gesprächsmitschnitte authentisch sind. Beobachter wundern sich, dass der Premier sein Rücktrittsgesuch ausgerechnet an den Präsidenten gerichtet habe.

Wenig Ahnung

Eigentlich habe der Premier, ein ausgebildeter Jurist, doch wissen müssen, dass nicht der Präsident, sondern das Parlament über ein Rücktrittsgesuch des Premiers zu entscheiden habe, merkt der Journalist Oleksii Bratushchak auf seiner Facebook-Seite an. Oder könne es sein, dass der Premier nicht nur von Wirtschaft wenig Ahnung habe, sondern auch von Recht, fragt Bratushchak süffisant.

Ähnlich sieht dies Irina Geraschtschenko, Ko-Vorsitzende der Oppositionspartei „Europäische Solidarität“. Dies verstoße gegen die Verfassung, so Geraschtschenko. Schließlich lebe man ja nicht in Russland, wo der Präsident entscheide, wer Premierminister sei.

Und der ehemalige Verteidigungsminister Anatolij Hryzenko glaubt nicht, dass Gontscharuk wirklich zurücktreten will. In diesem Fall hätte er sicher das Rücktrittsgesuch an die richtige Adresse geschickt, zitiert das Newsportal Zerkalo Nedeli den ehemaligen Minister. „Wenn Sie mal Probleme mit Ihrem Arbeitgeber haben“, schreibt der Blogger Roman Schrajk, „dann schicken Sie Ihre Kündigung nicht Ihrem Arbeitgeber, sondern dem ukrainischen Präsidenten“.

Das Rücktrittsgesuch von Gontscharuk dürfte dem Präsidenten sehr ungelegen kommen. Tatsächlich darf er den Premier nicht entlassen. Dies kann nur das Parlament tun. Und da wiederum gilt eine Schonzeit von zwölf Monaten für eine neue Regierung.

Wenig vertrauenerweckend

Erst ein Jahr nach der ersten Regierungserklärung, so die ukrainische Verfassung, darf das Parlament eine Regierung entlassen. In einer Woche starte der Wirtschaftsgipfel in Davos, zitiert Zerkalo Nedeli die Journalistin Christina Berdinskich. Und vertrauenerweckend sei es gegenüber potenziellen Investoren nicht, wenn die Ukraine zu diesem Zeitpunkt keinen Premierminister habe.

Auch vor dem Hintergrund weiterer Rücktritte und Entlassungen käme ein Rücktritt des Premiers ungelegen: Ebenfalls am Freitag entließ das Parlament den Vorsitzenden des auswärtigen Ausschusses Bogdan Jaremenko. Journalisten hatten gefilmt, wie er in einer Parlamentssitzung mit einer Prostituierten gechattet hatte.

In einem letzten Amtsakt vor seinem Rücktrittsgesuch hatte Premier Gontscharuk am Donnerstag Denis Schmygal zum neuen Minister für die Entwicklung der Regionen ernannt. Unbequeme Fragen von Parlamentariern hat die Regierung indes vorerst nicht zu befürchten. Am Freitag vertragte sich die Rada bis zum 4. Februar.

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