Regierungschef der Ukraine weiter im Amt: Der milde Selenskyj

Der ukrainische Präsident Selenskyj lehnt das Rücktrittsgesuch seines Ministerpräsidenten Hontscharuk ab. Trotz dessen Lästerei.

Wolodymyr Selenskyj (l) und Olexij Hontscharuk sitzen an einem großen tisch

Gab wohl keinen kleineren Tisch: Wolodymyr Selenskyj (l) und Olexij Hontscharuk Foto: dpa

KIEW ap | Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Rücktritt von Ministerpräsident Olexij Hontscharuk abgelehnt – trotz umstrittener Tonaufzeichnungen. In einem am Freitag veröffentlichten Video erklärte Selenskyj, er habe sich entschieden, Hontscharuk und dessen Kabinett „eine Chance zu geben“.

Der Regierungschef hatte angesichts öffentlich gemachter Tonaufzeichnungen seinen Rücktritt angeboten, in denen er mit Äußerungen zu hören ist, Selenskyj verstehe nichts von Wirtschaft. Der Präsident sagte dazu, die Situation sei „unerfreulich“. Er forderte Hontscharuk auf, dem Parlament einen Bericht über die Ergebnisse seiner Regierungsarbeit vorzulegen. In der Ukraine muss das Parlament über den Rücktritt eines Ministerpräsidenten abstimmen.

Hontscharuk hatte zuvor beklagt, „einflussreiche Gruppen“ wollten es so aussehen lassen, als ob er Selenskyj nicht respektiere. Das sei aber nicht wahr. Die Audioaufnahme sei eine Zusammenstellung aus „Fragmenten aufgenommener Kabinettssitzungen“. In einem Facebook-Post würdigte Hontscharuk Selenskyj als „Beispiel an Transparenz und Anständigkeit mir gegenüber“. Um jeden Zweifel an seinem Vertrauen in den Präsidenten zu zerstreuen, habe er seinen Rücktritt eingereicht.

Selenskyj verlangte derweil eine Ermittlung zum Ursprung der Aufnahme. „Ich fordere, dass wir in zwei Wochen, so schnell wie möglich, Informationen darüber bekommen, wer das Band aufgenommen hat.“

Am Donnerstag hatten Politiker der Oppositionsplattform für das Leben Hontscharuks Abgang gefordert. Mitglieder der Regierungspartei Diener des Volkes sagten, dafür gebe es keine Gründe. Beobachter werten die Entwicklungen als Zeichen dafür, dass unterschiedliche politische Kräfte einen Kampf um den Posten des Regierungschefs begonnen haben.

Rücktrittsgesuch falsch adressiert

Der politische Beobachter Wolodymyr Sidenko vom Think Tank Rasumkow sagte, Selenskyj befürchte, mit einer Entlassung des Ministerpräsidenten eine politische Krise heraufzubeschwören und wolle seine Beziehungen zu ausländischen Investoren und dem Internationalen Währungsfonds nicht verkomplizieren. Hontscharuks Rücktritt könne die Vorstellung von der Einigkeit der Regierung zerstören und Zweifel an Selenskyjs Fähigkeit aufkommen lassen, die Situation zu kontrollieren, sagte Sidenko.

Im ukrainischen Parlament, der Rada, zeigte sich die Politikerin Iryna Heraschtschenko verstimmt darüber, dass Hontscharuk sein Rücktrittsschreiben nicht an die Abgeordneten übergab. Damit habe es keine juristischen Konsequenzen und sei bloß eine „privater politischer Briefwechsel“. „In der Ukraine ernennt das Parlament das Kabinett“, betonte sie.

In der umstrittenen Audioaufnahme hatte Hontscharuk Selenskyj als „Laien“ in Wirtschaftsfragen bezeichnet und gesagt, dieser müsse besser über die Landeswährung aufgeklärt werden. Der 41 Jahre alte Selenskyj war früher als Comedian tätig. Vor seiner Wahl im vergangenen Jahr spielte er im Fernsehen einen ukrainischen Präsidenten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.