Regierungskrise in Bulgarien: Koalition geplatzt
Die Partei des Showmasters Trifonow verlässt die Regierung. Ihr missfällt der Annäherungskurs des Premiers Petkow gegenüber Nordmazedonien.
Trifonows Rückzieher kommt für den Balkanstaat zur Unzeit. „Die bulgarische Gesellschaft ist nicht reif für Wahlen und eine neue Regierung“, sagte Parwan Simeonow, Politologe bei Gallup, gegenüber dem bulgarischen Fernsehen. Angesichts der schwierigen internationalen Situation mit dem Krieg in der Ukraine und der globalen Inflation brauche Bulgarien Ruhe.
Doch mit solchen Überlegungen hält sich Trifonow nicht lange auf. Zur Begründung für seinen Überraschungscoup nannte er Petkows Pläne, Sofias Blockade gegen den Beginn von Beitrittsgesprächen der EU mit dem Nachbarn Nordmazdonien fallen zu lassen. Das Veto war 2020 unter dem damaligen Regierungschef Bojko Borissow ausgesprochen worden.
Dabei geht es um historische Streitigkeiten. So soll Skope anerkennen, dass die mazedonische Sprache bulgarischen Ursprungs ist und es in Nordmazedonien eine bulgarische Minderheit gibt, die massiv benachteiligt wird. Gleichzeitig will Bulgarien von einer nordmazedonischen Minderheit im eigenen Land nichts wissen.
Geheime Gespräche
Angeblich soll Petkow mit seiner außenpolitischen Beraterin geheime Gespräche mit der EU über eine Aufhebung des Vetos gegen Skopje aufgenommen und dabei Außenministerin Theodora Genchowska, die Mitglied der ITN ist, übergangen haben.
„Mazedonien ist ein wichtiger Teil unserer Geschichte und unserer Seele. Niemand hat das Recht, Entscheidungen für das bulgarische Volk im Alleingang zu treffen. Das ist nationaler Verrat“, sagte Trifonow am Mittwoch in einer Videobotschaft auf seiner Facebook-Seite.
Doch Trifonow hat noch mehr auszusetzen. So warf er seinem bisherigen Koalitionspartner PP vor, mit dem Staatshaushalt und EU-Mitteln nicht sorgsam umgegangen zu sein. Summen in Milliardenhöhe seien völlig intransparent ausgegeben worden.
Petkow verwahrte sich gegen diese Vorwürfe. „Wir haben versprochen, Bulgarien zu verändern, und wir werden Bulgarien verändern“, sagte er. Einen politischen Deal mit Ex-Premier Bojko Borissow und dessen Oppositionspartei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB) werde es nicht geben.
Wochenlange Massenproteste
Trifonows Partei ITN geht auf Massenproteste im Sommer 2020 zurück. Damals waren Zehntausende gegen Korruption und Vetternwirtschaft von Borissow und seiner GERB wochenlang auf die Straßen gegangen. Bei der Parlamentswahl im Februar 2021 kam die ITN hinter der GERB auf Anhieb auf den zweiten Platz. Doch Koalitionsgespräche liefen ins Leere.
Bei Neuwahlen im Juli desselben Jahres machten die Wähler*innen die ITN zur stärksten Kraft, jedoch kam erneut keine Regierung zustande. Während der gesamten Zeit machte sich ITN-Parteichef Trifonow rar, gab kaum Interviews und kommunizierte mit seiner Fangemeinde allenfalls über Social-Media-Kanäle. Schon damals fragten sich viele Beobachter*innen, ob Trifonow die politische Bühne nicht mit einer Entertainment-Show verwechsele. Auch viele seiner Wähler*innen fühlten sich nicht ernst genommen.
Abermals drei Monate später wurden die bereits merklich ermatteten Bulgar*innen erneut an die Urnen gerufen. Dieses Mal machten Petkow und seine Getreuen, die in den voran gegegangenen Übergangsregierungen politische Erfahrungen gesammelt hatten, mit der neu gegründeten PP das Rennen. Kurz darauf stand die Regierung, der neben der PP und der ITN auch das liberale Bündnis „Demokratisches Bulgarien“ (DB) sowie die Sozialisten (BSP) angehörten.
Doch die Spannungen innerhalb der Koalition, die von Anfang an eine Vernunftehe war, traten schon bald offen zutage. Ein Spaltpilz unter vielen waren vor allem Waffenlieferungen an die Ukraine, die die Sozialisten, von jeher ob alter Seilschaften einer gewissen Nähe zu Russland nicht unverdächtig, strikt ablehnen. Dennoch erklärten am Mittwoch neben dem Bündnis DB auch die Sozialisten ihre grundsätzliche Bereitschaft, eine Minderheitsregierung zu stützen.
Dass das funktioniert, daran hat Daniel Smilow, Dozent an der Sofioter Universität und Programmdirektor beim Zentrum für Liberale Strategien, so seine Zweifel. „Wir sprechen von einem Zeitraum bis zu vorgezogenen Wahlen im Herbst …“; zitiert ihn das bulgarische Nachrichtenportal mediapool.bg. „Uns erwartet ein hohes Maß an Instabilität. Bulgarien wird sich auch in der Europäischen Union isolieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“