Korruption in Bulgarien: Ex-Premier in Polizeigewahrsam

Der frühere Regierungschef Bojko Borissow wird bei einer landesweiten Razzia festgenommen. Im Raum steht der Verdacht auf Erpressung.

in einem Auto sitzen Männer

Bulgariens Ex-Premierminister Bojko Borissow am Donnerstag in einem Polizeifahrzeug Foto: Dimitiar Kyosemarliev/ap

BERLIN taz | Ausgerechnet Iwan Geschew: Bulgariens Generalstaatsanwalt hat sich am Freitag darüber beschwert, dass er nicht vorab über die Festnahme des früheren Ministerpräsidenten Bojko Borissow informiert worden sei. Der Festnahme in der Nacht zu Freitag war eine mehrstündiger landesweiter Polizeieinsatz voraus gegangen. Außer Borisow wurden auch der Ex-Finanzminister Wladislaw Goranow sowie Borissows ehemalige Medienberaterin Sewdalina Arnaudowa festgenommen.

Dem Vernehmen nach geht es um über 556 Millionen Lewa (umgerechnet rund 285 Millionen Euro), die unter der Ägide Borissows aus dem Staatshaushalt verschwunden sein sollen.

Am vergangenen Mittwoch hatte der bulgarische Ministerpräsident Kiril Petkow die Chefin der Europäischen Staatsanwaltschaft, Laura Kövesi, zu Gesprächen in Sofia empfangen. Laut Kövesi würden in Brüssel derzeit rund 120 Fälle von Misswirtschaft in Bulgarien untersucht.

Dabei gehe es vor allem um die betrügerische Verwendung von EU-Mitteln und öffentlichen Geldern, Agrarsubventionen, Mitteln für einen Ausbau der Infrastruktur sowie Entschädigungs- und Wiederaufbauhilfepakete nach der COVID-19-Pandemie. Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union. Am Freitag teilte die Staatsanwaltschaft von Sofia mit, die vorgerichtliche Ermittlung laufe wegen des Verdachts auf Erpressung und schließe die Zuständigkeit der EU-Staatsanwaltschaft aus.

Großzügig bedient

Vorwürfe, dass sich Bojko Borissow, auch mit Hilfe seiner Seilschaften und Kenntnis Brüssels, großzügig bedient haben soll, stehen schon länger im Raum. Der 62jährige und seine Partei „Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB) waren, von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, von 2009 bis 2021 an der Macht. Im Sommer 2020 waren zehntausende Bul­ga­r*in­nen gegen Korruption und Machtmissbrauch wochenlang auf die Straße gegangen und hatten auch Borissows Rücktritt gefordert.

Im vergangenen Jahr brauchte Bulgarien drei Parlamentswahlen, um endlich eine tragfähige Regierung bilden zu können. Deren Ministerpräsident Kiril Petow hatte der Korruption den Kampf angesagt und auch kein Hehl daraus gemacht, sich der Generalstaatsanwaltschaft und dabei allem voran des Generalstaatsanwalts Iwan Geschews entledigen zu wollen. Geschew gilt als enger Vertrauter von Borissow, der stets die Hand über die Machenschaft des Ex-Regierungschefs gehalten haben soll.

Das bestätigte nun auch erneut Wirtschaftsminister Assen Wassilew. Die Staatsanwaltschaft unter Geschew habe von den Anschuldigungen gegen Borissow gewusst, sei ihnen aber nicht nachgegangen, sagte er am Freitag.

Borissows Anwältin, Menko Menkow, teilte mit, dass ihr Mandant zu den Vorwürfen noch nicht befragt worden sei, jedoch die Nacht in einer Zelle haben verbringen müssen. Auch am Freitag befand sich Borissow immer noch in Polizeigewahrsam.

„Politisch motiviert“

Dessen Parteigenossen verurteilten die Festnahme als „politisch motiviert“ und sprachen vom einen „Akt der Repression“. „Wir haben Informationen über weitere Festnahmen ehemaliger Minister, wir sind Opfer einer Junta“, sagte der frühere Gesundheitsminister und Parlamentsabgeordnete der GERB Kostadin Angelow. Demgegenüber bezeichnete Wassilew die zahlreichen Festnahmen und Misshandlungen durch Polizeikräfte bei den Protesten 202 als „wahren Akt“ der Repression.

Bereits im vergangenen Jahr war eine Untersuchungskommission eingerichtet worden, um Vorwürfen nachzugehen, die der Besitzer eines landwirtschaftlichen Betriebes gegen den Ex-Regierungschef erhoben hatte. Danach soll Borissow 2020 und 2021 Landbesitzer und Geschäftsleute im große Stil erpresst haben. Borissow hatte diese Anschuldigungen zurück gewiesen.

Unterdessen hat Sofia am Freitag zehn russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt. Sie müssen das Land innerhalb von 72 Stunden verlassen. „Nach Angaben der zuständigen Behörden haben die genannten Mitarbeiter der Botschaft der Russischen Föderation auf dem Territorium der Republik Bulgarien Aktivitäten durchgeführt, die mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen unvereinbar sind“, heißt es in einer mündlichen Note des stellvertretenden Außenministers Wasil Georgiew an Russlands Botschafterin Eleonora Mitrofanowa. „

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Man hoffe, dass das bulgarische Außenministerium alle Risiken einer solchen Pirouette mit kühlem Kopf abgewogen habe. Auf dieses feindliche Vorgehen werde es alsbald eine angemessene Reaktion geben, die dem neuen Geist der bilateralen Beziehungen angemessen sei, teilte die russische Botschaft über Facebook mit.Seit 2019 hat Bulgarien bereits insgesamt elf Mitarbeiter der russischen Botschaft zu unerwünschten Personen erklärt.

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