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Regierungserklärung vor dem EU-GipfelWas die Kanzlerin wunderbar findet

Im Bundestag erläutert Merkel ihren Plan für die Flüchtlingskrise. Die Rollen scheinen vertauscht: Die größte Opposition kommt von der CSU.

Klingt selten so emotional: Angela Merkel vor dem Bundestag. Foto: dpa

Berlin taz | Es ist kein guter Tag für Angela Merkel. Österreich will die Grenzen nach Süden dicht machen. Das ist gerade vor dem EU-Gipfel, der am Donnerstag beginnt, ein Rückschlag für die Kanzlerin. Merkel hält es für kurzsichtig, nationale Grenzen wieder hochzuziehen. Österreich war einer der letzten Verbündeten.

Im Bundestag greift die Kanzlerin zu einem erprobten rhetorischen Mittel, um die unerfreuliche Situation aufzuhellen. Sie lobt. Sie lobt ausführlich den britischen Premier David Cameron, der Sonderrechte für Großbritannien fordert. Sie lobt SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles, die der Union gerade vorgeworfen hat, die Integration der Flüchtlinge zu torpedieren. Sie lobt die Türkei.

Merkel erläutert ihr 3- Punkte-Programm. Deutschland müsse mit Geld in der Türkei Flüchtlingen helfen, die EU-Ausgrenze zur Türkei soll mit Nato-Schiffen gegen Flüchtlinge gesichert werden. Und die, die kommen, sollen in der Europäischen Union verteilt werden.

Merkels Rede hat etwas von einer pädagogischen Lektion. Sie richtet sich nicht so sehr an die Parlamentarier, vielmehr an ein imaginäres Publikum, dass Tabula-rasa-Lösungen verlangt. Deutschland, sagt Merkel, habe bisher von der Globalisierung per Export profitiert. Jetzt müsse es eben „die andere Seite der Globalisierung“ ertragen. Europa müsse „lernen, sich von der Illusion zu verabschieden, dass man auf die Flüchtlingsströme „nur mit Abschottung“ antworten kann. Die Kanzlerin fordert Lernbereitschaft und die Einsicht, dass die Lage zu komplex für einfache Parolen ist. So reden Lehrerinnen mit verstockten Jugendlichen.

Es ist eine souveräne, klare Ansprache. Wie ernst Merkels Lage ist, ist nur einer knappen Sentenz zu entnehmen. Die Kanzlerin neigt dazu, in Reden Sachverhalte darzulegen. Zur emotionalen Färbung oder dem Gebrauch der Ich-Form greift sie nur selten. Am Mittwochmittag sagt sie im Bundestag, dass laut Umfrage 90 Prozent der Bürger dafür sind, dass Schutzbedürftige nach Deutschland kommen dürfen. „Ich finde das wunderbar“ sagt sie. „Ich“ und „wunderbar“ ist kein übliches Vokabular in Regierungserklärungen.

Opposition in der Regierungsfraktion

Danach tritt die Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht ans Pult. „Die EU“, sagt sie, „ist zu einem Synonym für Verfall geworden.“ Wagenknecht erweckt nicht den Eindruck, dass ihr dieser Verfall schlaflose Nächte bereitet. Diese Krise ist in ihrer Lesart eher die gerechte Strafe für den Neoliberalismus und Merkels Vergehen in der Eurokrise. Wagenknecht referiert altbekannte linke Gewissheiten – als Konter zu Merkel wirkt das seltsam zeitlos. Was die Linkspartei in der Flüchtlingskrise zu tun gedenkt, bleibt nebelhaft.

Auch die grüne Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt tut sich nicht leicht damit, eine klare Opposition zu markieren. Sie greift vor allem mit scharfen Worten CSU-Mann Horst Seehofer an, der in Moskau Putin hofierte und in der Bundesrepublik die „Herrschaft des Unrechts“ ausmachte. Merkel hat auf Seehofers bodenlose Provokation geschwiegen. Es ist nicht verwegen anzunehmen, dass Göring-Eckardt sagt, was Merkel über Seehofer nur denkt.

Es ist nicht einfach, eine glaubwürdige Opposition gegen Merkel zu formulieren. Wahrscheinlich sitzt die harte Opposition gegen die Kanzlerin derzeit in den Regierungsfraktionen selbst. Als Merkel „Ich finde das wunderbar“ ruft, klatschen einige CSU-Abgeordnete demonstrativ nicht.

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6 Kommentare

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  • Angela Merkel muss bis Oktober 2016 zu einer Lösung kommen. Die Bevölkerung wird das nicht ewig unter dem Stichpunkt Solidarität bewerten, dass es einen massiven Flüchtlingsstromm nach Deutschland gibt. Außerdem leben wir mit einer hohen verfestigten Arbeitslosenquote - was soll mit den Einwanderern auf Dauer geschehen? Auch wenn ich die Meinung der CSU nicht teile, es ist nicht so leicht zur Seite zu schieben, dass die Flüchtlinge dieses Land massiv verändern werden. Dass die angestammte Bevölkerung das unter Kontrolle wissen will, ist ein normales Anliegen.

     

    Vieler Iraker, Syrer und Afghanen sind vielleicht ein echter Pluspunkt, aber viele Flüchtlinge erwarten hier ein Paradies und das ist es nicht. Außerdem stellt sich mir die Frage, wie die Regierung die auf Dauer integrieren will, wenn sie doch möglichst die Kasse geschlossen halten will, möglichst alles zum Billigtarif einkaufen will. Selbst die Ausbildung und Beschulung lässt die Regierung ja schleifen, vielerorts wird massiv auf das Mittel Deprimieren durch miese Verhältnisse gesetzt. Andererseits verlängert man so aber, dass die Flüchtlinge hier anfangen, dass sie hier was probieren, was machen.

     

    Bei so viel Ratlosigkeit und falscher Sparfreude stellt sich die Bevölkerung Fragen und das ist normal. Wenn Merkel aber darauf nicht eine Antwort hat, dann wird sie sich nicht mehr lange halten können. Letztlich vertritt Merkel ja Schröder mit anderen Mitteln: Sie ist für Armut, für Hartz-IV, für Schuldenbremse, für Angebotsorientierung in der Wirtschaftspolitik, für Steuergeschenke für Reiche und für eine elitäre, ausgrenzend-selektive Bildungslandschaft.

     

    Das passt mit ein einem Flüchtlingsaufkommen von bald 2 Mio. Menschen nicht zusammen. Die brauchen ja erst Mal alles - zur Not vom Staat oder von der Bevölkerung.

  • Die Zahl der Flüchtlinge kann deutlich reduziert werden, wenn die EU und die USA – gemeinsam - in Syrien den Frieden und die Vertreibung von IS erzwingen.

     

    Können die das? Heben die ein Anrecht dazu beziehungsweise einen Anspruch darauf?

     

    Ja sicher. Der Krieg in Syrien und der Terrorismus, der zum Teil aus Syrien kommt, haben zumindest die EU destabilisiert. Somit haben die EU und die Nato einen immensen Anspruch darauf den Frieden in Syrien zu erzwingen. Zum Beispiel durch Schaffung von flugfreien Zonen oder Städten, die zusätzlich militärisch (EU und Nato) bewacht werden sollen, kann man einen territorialen Teil des Landes unter Kontrolle und unter den Frieden bringen. Menschen dort würden eher nicht fliehen wollen, wenn sie beschützt und versorgt würden.

    Das sollte natürlich zuerst bei Friedensgesprächen kommuniziert und abgestimmt werden. Wobei von wem müsste man dann die Erlaubnis erfragen, wen überhaupt? Von Assad oder von oppositionellen Kämpfern?

  • „Am Mittwochmittag sagt sie im Bundestag, dass laut Umfrage 90 Prozent der Bürger dafür sind, dass Schutzbedürftige nach Deutschland kommen dürfen“.

     

    Und das ist das Wichtigste! Deutschland will, dass Menschen Schutz erhalten, die Hilfe brauchen! Der Wille des Volkes solle geschehen!

  • Was die Linkspartei in der Flüchtlingskrise zu tun gedenkt, bleibt nebelhaft? Die Linkspartei will den Krieg beenden. Hätte Sie Herrn Gehrcke und Frau Dagdelen zugehört, wüßten sie das! Für die LINKE zählt in erster Linie der Frieden und nicht der Sturz Assads! Während die Türkei, Saudi-Arabien, die USA wohl einen Regime Change wollen, egal was es kostet, wie viele Menschen dabei ihr Leben verlieren!

  • Die Osterweiterung der EU geschah noch unter dem Altkanzler Helmut Kohl.

    Da beginnt das Problem, wie bei der deutschen Wende 1990, es geht anders und es geht besser.

    Stichwort Beitritt

    Die Osterweiterung der EU ist ein ähnliches Produkt, wie die deutsche Wiedervereinigung, ein Produkt der

    Handschrift von Helmut Kohl.

    Die Grenze der Bundesrepublik endet seitdem weiter im Osten, wie die Aussengrenze der EU.

    Die Osterweiterung der EU war genauso wie die deutsche Wiedervereinigung ein Projekt des Altkanzlers Kohl, der

    deswegen auch als großer Europäer bezeichnet wurde, oder sich so bezeichnen ließ.

    Ich meine dazu nur, das es auch anders und besser geht.

    Sollen sie doch gehen, die Visegrad Staaten !

    • @Blingbling:

      Es geht nicht nur um die Visegrad-Staaten. Selbst Schweden und Frankreich sind mittlerweile abgetaucht. Merkel muss sich schon fragen lassen, ob nicht sie die Geisterfahrerin ist, wenn alle anderen in gegensätzlicher Richtung unterwegs sind.