Regierungsbildung in Israel: Schockstarre und Resignation
Netanjahu ist wieder da. Seine neu gebildete rechtsextrem-religiöse Regierung hat das Potenzial, Israel zu zerstören. Doch der Aufschrei bleibt aus.
Ich kann eine Regierung bilden“, vermeldete der Comeback-Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am 22. Dezember gegenüber dem israelischen Präsidenten. Noch ist das Kabinett nicht öffentlich. Doch eins steht fest: Netanjahu ist zurück im Geschäft – und seine sich bildende neue israelische Regierung aus Rechten und Religiösen ist brandgefährlich.
Wo sind sie jetzt, die Menschen, die seit 2020 immer wieder die Balfour-Straße in Jerusalem stürmten und zu Zehntausenden gegen den damaligen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu demonstriert haben? Zahlreiche Israelis sind derzeit zwar in größter Sorge um ihren Staat. Doch die einen dürften resigniert haben. Die anderen warten ab. Als könnten sie nicht glauben, dass wirklich passieren wird, was sich glasklar abzeichnet:
Dass beispielsweise die Außerkraftsetzungsklausel verabschiedet wird, mit der Israel, ähnlich wie in Ungarn, die Gewaltenteilung und damit die Rechtsstaatlichkeit aushöhlen würde. Dass der rassistische Itamar Ben Gvir, der selber wegen Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde, als Minister für Nationale Sicherheit eine in Israels Geschichte noch nie dagewesene Kontrolle über die Polizei erhalten wird.
Dass sein rechtsextremer Siedlerkumpan Bezalel Smotrich nicht nur Finanzminister, sondern auch Aufgaben des Verteidigungsministeriums erhalten wird – und damit die Übersicht über zivile Angelegenheiten in der Westbank.
Und dann wäre da noch Avi Maoz, ein homophober und rassistischer Strengreligiöser, der fortan unter anderem die Schulbildung lenken wird. Immerhin sorgte wenigstens das für einen kleinen Aufruhr.
Schon jetzt ist klar, dass die Verletzlichsten der Gesellschaft die Folgen der neuen Regierung zuerst spüren werden – die Geflüchteten, die Beduin*innen, die Palästinenser*innen. Für wen das noch nicht Grund genug ist, auf die Straße zu gehen, der oder die sollte sich vor Augen halten: Die Frage ist nicht, ob, sondern wann die Auswirkungen der rechtsextremen und strengreligiösen Politik auch in der liberalen Tel Aviver Blase ankommen werden. Zu warten, bis das Kabinett steht, ist kein gutes Rezept, wenn man das Schlimmste verhindern will. Denn dann könnte es zu spät sein.
Auch die deutschen Politiker*innen sollten auf Distanz gehen: Die Zusammenarbeit mit einer Regierung, die das Land, an dessen Seite man zu stehen behauptet, fürs Erste ruinieren könnte, ist eben nicht business as usual.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Donald Trump wählt seine Mannschaft
Das Kabinett des Grauens
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist