piwik no script img

Regierung von SPD, Grünen und FDPAmpel ohne Störungsmeldung

Der rot-grün-gelbe Koalitionsvertrag ist unterzeichnet. Christian Lindner will als Finanzminister nicht mehr sparen – sondern ermöglichen. Reicht das?

Ziemlich unfeierlich: Habeck, Scholz und Lindner am Dienstagmorgen auf dem Weg zur Unterschrift Foto: Mike Schmidt/imago

Berlin taz | Die Unterzeichnung des Koalitionsvertrags fällt ziemlich unfeierlich aus. Um 9 Uhr steht Olaf Scholz (SPD) im Futurium, einem Ausstellungszentrum für Zukunftsgestaltung. Das soll natürlich eine Botschaft sein. Ampel, Fortschritt, Zukunft. Scholz redet kurz. Er erwähnt in einer Minute zweimal Fortschritt und viermal die gute Zusammenarbeit der Ampelparteien. Robert Habeck (Grüne) sagt, man sei ab jetzt eine gemeinsame Regierung – ein Appell, geschlossen aufzutreten.

Bis jetzt lief die Bildung der Ampel erstaunlich störungsfrei. Die reibungslose Regierungsbildung befördert ein stiller Zwang. Die Ampel ist alternativlos. Andere Mehrheiten gibt es nicht. Die Union hält sich ja derzeit selbst nicht für regierungsfähig.

13 PolitikerInnen unterschreiben Dienstag früh den Vertrag. Zehn Männer, drei Frauen, niemand mit Migrationshintergrund. Im Zentrum der Macht ist Diversity offenbar noch nicht selbstverständlich. Aber etwas ist in Bewegung gekommen. Das Kabinett wird quotiert sein, und zwar nicht pro forma. Schlüsselressorts wie das Außen-, Innen-, und Verteidigungsministerium sind in weiblicher Hand. Das betont Scholz am Vormittag in der Bundespressekonferenz.

Aber: Quote hin oder her. Den ersten gemeinsamen Auftritt der Ampel vor dem blauen Hintergrund der Bundespressekonferenz bestreiten die drei Alphatiere: Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner (FDP). Sie sind das Herz der Regierung. Wenn diese drei, Kanzler, Finanzminister und Wirtschaftsminister, sich nicht einigen, dann wird das zentrale Ampelziel scheitern: der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft. Lindner spielt dabei eine Schlüsselrolle. Die FDP hat sehr lange eine ideologisch ausgehärtete Sparpolitik verfochten. Doch Lindner hat ein neues Wording.

Koalitionsvertrag nach dem „Prinzip Hoffnung“

Er werde das Finanzministerium in den nächsten vier Jahren zu „einem Ermöglichungsministerium“ machen, für den Klimaumbau. Lindner will im Jahr 2022 rund 100 Milliarden Euro an nicht abgerufenen Mitteln oder für Corona geplante Schulden für Investitionen lockermachen. Das hatte er vor ein paar Wochen noch sehr anders gesehen. Die Schuldenbremse soll 2023 wieder gelten. Das sei für ihn eine Leitplanke, so Lindner.

Im Koalitionsvertrag ist von Spielräumen die Rede, die trotz Schuldenbremse genutzt werden sollen. Die Coronaschulden werden erst ab 2028 getilgt. Bahn oder andere kreditfähige Institutionen können jenseits der Schuldenbremse Geld leihen und Investitionen finanzieren.

Peter Bofinger, linker Ökonom und lange Wirtschaftsweiser auf SPD-Ticket, sieht die Finanzpläne der Ampel optimistisch. „Der Ampel-Koalitionsvertrag“, sagt er, „folgt dem Prinzip Hoffnung“ – nämlich der Hoffnung, dass die FDP nicht blockiert und auf „Merkel 2.0“ macht. Falls Lindner den Geldhahn für den oft angekündigten Aufbruch der Ampel zusperrt, wird es schwierig. Doch die Signale der FDP stehen derzeit eher auf Grün. Bofinger glaubt, dass Lindner „ein kluger Mann“ sei, der verstehe, dass Sparpolitik in den nächsten vier Jahren keinen Spass mache.

Vorstellbar ist, dass Lindner noch eine Leitplanke seiner Finanzpolitik abmontieren muss. Wenn die Pandemie nächstes Jahr andauert, hält Bofinger es für möglich, dass die Ampel die Schuldenbremse auch 2023 noch aussetzt. „Das hätte den Charme, dann schon die halbe Regierungszeit ohne Schuldenbremse zu arbeiten“, so Bofinger zur taz.

Wohlstand und Klimaschutz?

Das nötige Geld für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft kann also da sein. Ob der gelingt, hängt vor allem von Robert Habeck ab. Der Wirtschaftsminister in spe hat es sich angewöhnt, Klimapolitik in jeder Antwort routinemäßig mit Wohlstand zu verknüpfen. Die Wirtschaft, sagt er vor der Hauptstadtpresse, muss nicht zu Klimaschutz gedrängt werden. Man müsse die „sozialliberale Marktwirtschaft organisch mit Ökologie verbinden“.

Die Konzerne scheint Habeck als Verbündete zu sehen, Widerstand erwartet er bei dem Ausbau der Windenergie. Der werde drei- oder viermal so schnell gehen wie bisher. Das bedeute vor Ort „Zumutungen“.

Im Jahr 2030 sollen 80 Prozent des Stroms klimaneutral produziert werden. Der Ausbau der Erneuerbaren ist, so die Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer, im Koalitionsvertrag „am ehesten zukunftsweisend“ – falls damit der Ausstieg aus der Kohle 2030 und aus dem Gas danach verbunden sei.

Neubauer macht Habecks Rhetorik, der harmonische Gleichklang von Wohlstand und Klimaschutz, nervös. „Die Formel, den Wohlstand zu erhalten, war in 16 Jahren Merkel immer die Ausrede, um klimapolitisch hinter allen internationalen Verpflichtungen zurückzubleiben“.

Neubauer und Teile der Kli­ma­bewegung schauen ernüchtert auf die Ampel. Klimapolitik, so Neubauer, funktioniere nicht, wenn man nur einen Sektor – Energie – angehe und bei anderen wie dem Verkehr nicht annähernd genug tue. Ihre Kritik: „SPD, FDP und Grüne bekennen sich zu dem 1,5-Grad-Ziel. Doch sie haben einen Koalitionsvertrag geschrieben, der diesem Ziel nicht genügt.“

Auch wenn Lindner das Geld für den Ökoumbau lockermacht: Die Ampel wird von der Klimabewegung Druck bekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Quote hin oder her, vielleicht ist den Frauen in der Politik das Machtgehabe der Alphamännchen schlicht egal?



    Nehmen wir unsere scheidende Kanzlerin mal als Beispiel. In der post-Kohl CDU, war sie verlacht als „Kohls Mädchen“. Roland Koch und Friedrich Merz versuchten sie raus zu drängen, mit lauten Tönen und dicken Eiern. Ende vom Lied, Koch traute sich nicht mehr aus Hessen raus und Merz tauchte erst wieder im Adenauer Haus auf, als Merkel ihren Rückzug öffentlich machte.

  • Das vergangene und gegenwärtige Regierung für Wohlstand sorgen wollen, wenn sie dabei unzureichende Klimaschutzmaßnahmen ergreifen, ist eine Lüge. Dass jahrezehntelang ungenügendes für den Klimaschutz getan wurde, wird den Bürger*innen immer teurer zu stehen kommen. Hilfen für Starkregengeschädigte in Ahrweiler&Co, für Bäuer*innen nach der Ernteausfällen im Zuge der Dürrejahre, höhere Brotpreise usw. sind erst der Anfang. Bereits 2019 schrieb Germanwatch von einem Gesamtschaden von 32,2 Milliarden € in Deutschland [1]. Laut UNEP geht es anstatt der von Regierungen vorgeblich angepeilten 1,5 Grad um einen Anstieg um 2,7 Grad, was gänzlich andere klima-, ökologische und ökonomische Bedingungen bedeutet als ein bisschen "Mittelmeer-Klima" in Deutschland.



    [1] www.klimareporter....-klima-risiko-land

  • Es geht jetzt richtig los: Wir brauchen jetzt eine ganz breite außerparlamentarische Opposition. Diese Regierung ist ja schon Ausdruck eines sehr differenzierten Wählerwillens. Sah es doch zunächst danach aus, als ob eine grüne Partei in ihren Absichten eine mindestens doppelt so hohe Zustimmung in der Wählerschaft bekommen würde. Spätestens mit einem Wahlprogramm, das die Realitäten fast ausblendet und die Märchenerzählung von der Überwindung dieser Klimakrise durch Technik und grünes Wachstum als allein seligmachende Maßnahme in den Mittelpunkt stellt, war es mit der Glaubwürdigkeit dahin. Erinnern wir uns: Olaf Scholz und die SPD wurde nur gewählt, weil die andere 'Volkspartei' noch unglaubwürdiger daherkam, während sich viele Umweltschützer und Aktive sich immer weiter von den Grünen abwenden. Nur junge Wähler, denen die Erfahrung der herkömmlichen Parteienwirtschaft mit seinem Populismus und Sprechblasen fehlt und positive Aussichten suchen, haben noch FDP und Grüne gewählt. Für mich ist es unfassbar, wie langjährige grüne Parlamentarier ihre Erkenntnisse in Bezug auf die Klimamaentwicklung ausblenden und sich an diesen Parteienklüngel gewöhnt haben. Nur noch einmal zur Erinnerung: Es ist nicht mehr zu verhindern, dass die Polkappen abschmelzen, gerade hat der IPCC gewarnt, er hätte sich in seinen Erwartungen verschätzt, der Klimawandel ist viel dramatischer. Ursache ist der profitgestützte Lebenswandel in sogenannten 'entwickelten' Ländern. Die Idee, dem Klimawandel mit grünem Wachstum zu begegnet, ist vorwiegend Greenwashing, um ja nichts so schnell ändern zu müssen. Bei negativen Mitteilungen droht Abwahl !



    Wer normale Leute trifft, erfährt: Die Meisten sind überzeugt, dass wir uns einschränken müssen. Nur der breite ausserparlamentarische Druck wird den Klimawandel und die weitere Vermüllung des Planeten bekämpfen. Habeck & Co haben nicht verstanden !

  • Und die Lage an der Grenze zu Polen?

    >>Kein kritisches Wort gab es von ihm [Habeck] etwa zu dem Umgang der polnischen Regierung mit den in Schneematsch und Kälte ausharrendenFlüchtlingen an der polnisch-belarussischen Grenze, obwohl es daran schließlich viel Kritik von Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen gegeben hatte. Auch dazu hatte Habeck erstaunlicherweise nichts hinzuzufügen. "Herr Scholz hat das umfassend beantwortet", fand er stattdessen [«Deshalb, glaube ich, muss man schon anerkennen, dass Polen dort eine schwierige Aufgabe hat und eine große, große Herausforderung», sagte Scholz. «Und da empfehlen sich nicht Kommentare von weiter weg.» (DPA)]