Regeln zu Kohlenstoffdioxidspeicherung: Für Habecks umstrittenes Gesetz wird es knapp
Obwohl der Entwurf aus dem grünen Klimaschutzministerium kommt, lehnen die Regierungsfraktionen das CCS-Gesetz ab. Ende Januar kommt es zum Showdown.
![Windrad vor einem Kohlekraftwerk Windrad vor einem Kohlekraftwerk](https://taz.de/picture/7468146/14/33140672-1.jpeg)
CCS steht als englische Abkürzung für „Carbon Dioxide Capture and Storage“. Bezeichnet wird damit die Trennung von Treibhausgasen aus Industrieanlagen oder Kraftwerksschloten, um das Gas dann zu verflüssigen und unterirdisch einzuspeichern. Quasi als Endlager: Die Atmosphäre kann so um etliche Mengen Treibhausgas entlastet, die Klimaerhitzung abgebremst werden.
Seit vielen Jahren arbeitet beispielsweise der Weltklimarat IPCC in seinen Projektionen mit dieser Technologie, der IPCC fordert die Staatengemeinschaft auf, bis zum Jahr 2100 wenigstens 700 Milliarden Tonnen CO₂ einzulagern – so viel, wie die Menschheit derzeit in 18 Jahren produziert. In Deutschland aber ist CCS praktisch verboten. Das „Kohlendioxid-Speicherungsgesetz“ aus dem Jahr 2012 erlaubt lediglich Demonstrationsprojekte mit sehr begrenzter Speichermenge und gibt den Bundesländern die Option, CCS ganz zu verbieten.
Um das zu ändern, hatte sich die Ampel vorgenommen, ein neues Gesetz zu verabschieden, das diesmal „Kohlendioxid-Speicher- und Transportgesetz“ heißt. Tatsächlich hatte der bündnisgrüne Klimaschutzminister Robert Habeck im Mai vergangenen Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, dass neben CCS auch CCU regelt – „Carbon Capture and Utilization“, also das Abscheiden und anschließende industrielle Verwerten von Kohlendioxid. Und es bestimmt, unter welchen Bedingungen Konzerne künftig Kohlendioxid unterirdisch speichern können.
![](https://taz.de/picture/7455539/14/logo-wahl-1.jpeg)
Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
„Kein Neutralitätslabel für das fossile Zeitalter“
Damals sagte Habeck: „Klimapragmatismus, das ist das Gebot der Stunde.“ Trotzdem ist das Gesetz bis heute nicht verabschiedet: Die roten Parlamentarier der Ampel lehnten es bei der ersten Lesung im Juni genauso ab wie die grünen. Sicherlich ein weiteres Kuriosum der Amtszeit von Olaf Scholz (SPD): Ein Gesetz der Regierung findet in den Regierungskoalitionen keine Mehrheit.
„Wir sehen an diesem Gesetzentwurf elementaren Änderungsbedarf“, sagt Nina Scheer, Klimaschutz- und energiepolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Einstimmiger Beschluss der SPD sei, dass CCS nur für unvermeidbare Emissionen aus der Industrie oder der Abfallverbrennung Anwendung finden soll, „für uns hat die Vermeidung und auch die Wiederverwertung von Treibhausgasen Vorrang vor dem Verpressen“. Der Gesetzentwurf aus dem Ministerium von Robert Habeck ermögliche aber beispielsweise CCS auch bei Gaskraftwerken – und das schließt die SPD aus.
„Wir wollen kein Neutralitätslabel für das fossile Zeitalter“, sagt Klimapolitikerin Scheer der taz. Würden Gaskraftwerke mit der CCS-Technologie ausgerüstet, könnte Erdgas in seiner Nutzung tatsächlich als „klimaneutral“ bezeichnet werden. Das Problem daran: Der Platz, verflüssigtes Kohlendioxid unterirdisch zu verpressen ist rar, weshalb der SPD-Beschluss nachvollziehbar ist.
Auch die Bündnisgrünen sehen CCS nur als allerletzte Option: „Für uns geht es um die – nach aktuellem Stand der Technik – unvermeidbare Restemissionen“, heißt es aus der Bundestagsfraktion. Allerdings sind sich die Parlamentarier des Dilemmas bewusst: Ohne ihre Zustimmung fällt eine der zentralen klima- und industriepolitischen Weichenstellungen des scheidenden Klimaschutzministers ins Wasser – der doch jetzt ihr grüner Kanzlerkandidat ist.
Union würde den Entwurf mittragen
„Lieber Kohlendioxid im Boden als in der Atmosphäre“, warb Robert Habeck und machte Druck: Die Verabschiedung des Gesetzes sei „die Voraussetzung für Investitionen in eine CCS/CCU-Infrastruktur. Es ist wichtig, dass diese Investitionen schnell erfolgen können.“ Der Klimaschutzminister forderte von den Abgeordneten, „den Industriestandort Deutschland zukunftssicher zu machen.“
Tatsächlich gibt es einige Industrieprojekte, die ohne das neue CCS-Gesetz scheitern werden. So will der weltgrößte Baustoffproduzent Holcim aus der Schweiz in Schleswig-Holstein das erste klimaneutrale Zementwerk errichten. Es soll 2028 in Betrieb gehen. Ohne Gesetz fällt die Investition aus. Auch der deutsche Marktführer Heidelberg Cement will solch ein Werk bauen, ab 2029 sollen jährlich rund 700.000 Tonnen Treibhausgas abgeschieden und dauerhaft eingelagert werden – was ohne Gesetz nicht geht.
Die Union immerhin hat angeboten, den vorliegenden Entwurf mitzutragen. „Wir führen hierzu auf fachlicher Ebene parteiübergreifende Gespräche“, erklärte Oliver Grundmann, Berichterstatter der Unionsfraktion für das Gesetz.
„Tatsächlich möglich wäre eine Verabschiedung noch“, sagt Helmut Kleebank, einer der Berichterstatter der SPD zum Thema. „Man könnte das Gesetz in der letzten Januarwoche zum zweiten und dritten Mal lesen – und annehmen.“ Allerdings werde die SPD kein vergiftetes Angebot annehmen: „Unsere oberste Prämisse ist der fossile Ausstieg. Das bedeutet: kein CCS für Gas oder Kohle.“
Kein Thema im Wahlkampf
Absolut kein Thema ist CCS im Wahlkampf – ein weiterer Grund, der es vernünftig erscheinen lässt, das Gesetz doch noch zu beschließen. „Wahrnehmung und Wissen zu CCS sind in der Bevölkerung noch sehr gering“, sagt Katja Witte vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.
„Es gibt noch keine robuste Wissensbildung: Neue Informationen sorgen bei den Befragten oft zu neuen Haltungen“, sagt die Co-Leiterin des Forschungsbereichs Strukturwandel, die seit vielen Jahren die gesellschaftliche Akzeptanz der CCS-Technologie erforscht. Im Jahr 2022 war die spontane Zustimmung bei den Umfragen in Nordrhein-Westfalen etwa gleich groß wie Ablehnung, sagt Witte.
Nina Scheer hat für die SPD jedenfalls klargemacht, dass ihre Partei auch in die neue Legislatur mit der Position ziehen wird: „Kein CCS für Gaskraftwerke oder Kohle.“ Es werde sehr gern das Argument vorgetragen, dass CCS für Gaskraftwerke viel zu teuer sei. „Die EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat CCS aber als Schwerpunkttechnologie in ihrem Grünen New Deal eingestellt“. Und bei solchen würden schnell Fördermittel rollen.
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