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Refugium-Stipendiat:innen in Brüssel Zwischen Ambitionen und Zwängen

Die Refugiums-Stipendiat:innen erkundeten in Brüssel in Gesprächen die Herausforderungen europäischer Diplomatie, von Menschenrechten und Migration.

Die Stipendiat:innen im Europagebäude, Sitz des Rates der Europäischen Union.

taz Panter Stiftung | Mehr als ein Jahrhundert nach den ersten Schritten zur europäischen Integration und fast 40 Jahre nach Jacques Delors' Amtsantritt als Präsident der Europäischen Kommission befindet sich die EU in stürmischen Gewässern. Rechtspopulistische Kräfte gewinnen im EU-Parlament zunehmend an Einfluss, während Ungarn, das "enfant terrible" der Union, die Ratspräsidentschaft innehat.

In einer Zeit, in der die Europäische Union vor enormen Herausforderungen steht, hatten zwei Jornalist:innen, Mathab Gholizadeh aus dem Iran und Karim Assad aus Ägypten, die Möglichkeit, einen Blick hinter die Kulissen des Zentrums europäischer Politik zu werfen. Beide sind die diesjährigen Refugiums-Stipendiat:innen der taz Panter Stiftung und von Reporter ohne Grenzen. Das Stipendium hat im Mai angefangen und geht Anfang November nach sechs Monaten zu Ende.

Sanktionen und Diplomatie

Der Aufenthalt in Brüssel war geprägt von Begegnungen mit Politiker:innnen und Menschenrechtsaktivisten:innen. Im Gespräch mit Peter Stano, dem EU-Sprecher für Außenpolitik, lag der Fokus auf dem Einfluss der EU auf politische Prozesse in Ägypten und im Iran. Stano betonte Werkzeuge, wie die Verhängung von Sanktionen. Er wies jedoch auch auf klare Grenzen hin: „Wir sind keine interventionistische Kraft, die sich in Regimewechsel einmischt.“

Laut Stano verlaufen Demokratisierungsprozesse nicht überall identisch, da Gesellschaften in verschiedenen Ländern nicht zur Adaption unserer Standards, etwa in Bezug auf Frauen- und LGBTQ-Rechte, gezwungen werden können. Er betonte die Bedeutung, den sozialen, kulturellen, religiösen und lokalen Kontext der Gemeinschaften zu berücksichtigen und die Diskussionen mit diesen Ländern pragmatisch anzugehen. Er erklärte, dass die EU selbst bei Themen, bei denen sie sehr strikte Ansichten vertritt – wie etwa der grundsätzlichen Ablehnung der Todesstrafe – weiterhin für pragmatische Beziehungen und einen fortlaufenden Dialog eintritt. So plädierte er zum Beispiel für die Fortsetzung der Beziehungen mit Saudi-Arabien. Das Ziel, so Stano, sei es, zumindest „kleine Fortschritte“ zu erzielen.

Diese Perspektive wurde durch ein Gespräch mit Sara Ständer und Mitra Bücke-Jahromi, Mitarbeiterinnen der EU-Parlamentarier Erik Marquardt und Hannah Neumann von den Grünen, erweitert. Sie unterstrichen die Herausforderungen der EU-Migrations- und Menschenrechtspolitik. Bücke-Jahromi betonte, dass in sensiblen und potenziell gefährlichen Situationen ein behutsames diplomatisches Vorgehen entscheidend sei, um nachhaltige Lösungen zu ermöglichen: "Druck auszuüben, verschließt bei bestimmten Themen Türen".

Dennoch nutze Karim Assad die Gelegenheit, um die EU-Ägypten-Kooperation kritisch zu hinterfragen. Er wies auf die mangelnde Unterstützung für die Zivilgesellschaft hin, trotz der hohen finanziellen Hilfen, die Ägypten im Rahmen des Migrationspakets erhält.

Nur wenige Schritte von den EU-Institutionen entfernt empfing Hussein Baoumi, ein Menschenrechtsexperte bei Amnesty International, die Stipendiat:innen. Als Aktivist setzt er sich dafür ein, dass Teile des 7,4 Milliarden Euro umfassenden Pakets für die strategische Partnerschaft zur Förderung von Menschenrechten und Demokratie in Ägypten verwendet werden, etwa zur Unterstützung unabhängiger Medien. Dabei arbeitet er eng mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments zusammen, um Druck auf die Kommission auszuüben.

Baoumi wies auf die Problematik von Sanktionen hin. Obwohl diese zunächst ein wichtiges politisches Druckmittel darstellen, verlieren sie mit der Zeit an Effektivität und greifen nur bei Personen, die konkrete Verbindungen nach Europa haben. Deshalb fordert der Menschenrechtsexperte weitere strukturelle Maßnahmen. Er plädiert insbesondere für rechtliche Ermittlungen gegen Einzelpersonen, um diese vor internationalen Gerichten zur Verantwortung zu ziehen.

Film über die Taliban-Herrschaft

Zwischen den offiziellen Terminen genossen die Stipendiat:innen Brüssels vielfältige kulturelle Angebote. Sie kosteten belgische Waffeln neben der berühmten Manneken Pis Statue und erkundeten den Tintin-Shop. Ein weiterer Höhepunkt war die Vorführung des Dokumentarfilms „Hollywood Gate“ über die Taliban-Herrschaft in Afghanistan, organisiert von Reporter ohne Grenzen. Der Film des Regisseurs Ibrahim Nash'ed begleitet die Taliban nach ihrer Machtübernahme im August 2021 und zeigt, wie sie eine zurückgelassene US-Militärbasis übernehmen. Dabei fielen der islamistischen Miliz Waffen und Ausrüstung im Wert von über 7 Milliarden Euro in die Hände.

Der Brüssel-Besuch bot den Stipendiat:innen sowohl Einblicke in die Mechanismen der EU als auch in die Spannungsfelder zwischen diplomatischen Ambitionen und realpolitischen Zwängen. In einer Zeit, in der die EU vor existenziellen Herausforderungen steht – insbesondere angesichts ihrer außenpolitischen Maßnahmen im Kontext der zunehmenden Eskalationen im Nahen Osten und in der Ukraine – verdeutlichten diese Begegnungen die vielschichtige Komplexität der europäischen Politik.