Reemtsma-Institut vor der Schließung: Wes Geist es entspräche
Das Hamburger Institut für Sozialforschung wird dichtgemacht. Damit geht ein Stück deutsche Wissenschaftsgeschichte zu Ende.
Unglücklicher hätte es kaum laufen können. Normalerweise wäre zuallererst der Betriebsrat informiert worden, dann die Forschungsbereichs- und Verlagsleitung, und schließlich hätte es eine Mitarbeitendenversammlung gegeben. Doch sie alle mussten aus der Zeitung von der Schließung ihres Hamburger Instituts für Sozialforschung erfahren, erzählt sein Gründer und Stifter Jan Philipp Reemtsma am Montagnachmittag im Institut am Hamburger Mittelweg. Jemand hatte seine Pläne der FAZ gesteckt.
Eine Pressemitteilung war am Tag danach schnell verfasst, das war vergangene Woche, und nun saß man am Montag in Hamburg zusammen, das Institut hatte zur Pressekonferenz geladen, gekommen waren fünf Journalist:innen. Wenige also, obwohl Interesse und Bedauern kaum größer hätten sein können, als die Nachricht von der Schließung des Instituts publik geworden war.
Aber wer Reemtsma auch nur ein bisschen kennt, wusste, das Herumlavieren ist nicht seine Sache, und so war klar: Die Entscheidung ist gefallen. Das Hamburger Institut für Sozialforschung wird nach 40 Jahren unabhängiger Forschung 2028 schließen, das bestätigte auch der jetzige Direktor des Instituts, der Soziologe Wolfgang Knöbl.
Zwischen ihm und Reemtsma scheint es da keinen Dissens zu geben. Und wenn es doch so ist oder so wäre, führte das nicht weit, denn was der Stifter und Gründer des Instituts mit seinem Geld macht, ist seine Sache. Das ist die grundsätzliche Willkür, die im Mäzenatentum liegt. Wirkliche Unabhängigkeit gibt es nur für den Mäzen selbst.
Keine Alternative?
Ja, man fragt sich freilich, ob es denn wirklich keine Alternative zur Schließung des renommierten Instituts gibt, das so viel beigetragen hat zur Aufklärung der NS-Verbrechen und zur Gewaltforschung, die von Beginn an ein Grundpfeiler des Instituts war.
Reemtsmas Verdienste um eine kritische Öffentlichkeit dieser Republik sind groß. Mit 28 Jahren verkaufte er die Anteile an der Zigarettenfabrik seines Vaters, widmete sich fortan mit seinem Vermögen von mehreren hundert Millionen Euro der Literatur und Wissenschaft. Ein sozialwissenschaftliches Institut zu gründen ist nicht das Naheliegendste für Menschen mit so viel Geld.
Zu seinem 60. Geburtstag sagte er noch der taz: „Nun, das Hamburger Institut für Sozialforschung hat eine erfolgreiche Geschichte gehabt, und die sollte sich fortsetzen, auch wenn ich irgendwann keine aktive Rolle in ihm mehr spiele. Ich habe mir Gedanken zu machen, wie das aussehen wird.“
Es hat Gespräche gegeben, sagt Reemtsma. Mit der Max-Planck-Gesellschaft etwa, die haben vor der Amtszeit Wolfgang Knöbls stattgefunden, der 2015 als Direktor eingesetzt wurde. Sie müssen mehr als ernüchternd gewesen sein: Die Max-Planck-Gesellschaft wollte keine Verpflichtung zur Fortsetzung der Arbeit des Instituts eingehen, die im Kern, so Reemtsma, in der Gewaltforschung und in der Kooperation der Disziplinen Soziologie und Historiografie liegt. Zudem: Reemtsma hätte weiterhin etwas de facto Neues finanzieren sollen, denn nicht einmal der Name des Instituts wäre gesichert gewesen.
Geist der Unabhängigkeit
„Jede scheinbare Fortsetzung wäre nur eine Schließung mit anderen Mitteln“, so Reemtsmas Resümee am Montag. Ein Institut auf Basis von Drittmittelprojekten entspräche ebenso wenig dem Geist des Instituts – seiner Unabhängigkeit. Und dennoch, ganz versteht man es nicht. Warum steht hier keine jüngere Generation von Wissenschaftler:innen bereit, hervorgegangen aus dem Institut selbst, der man vertrauensvoll das Erarbeitete in die Hände legen und die man weiterhin finanzieren möchte?
Es gehe darum, mit dem, was erarbeitet worden ist, nicht leichtfertig umzugehen, so Reemtsmas Antwort darauf. Es gibt sie wohl schlichtweg nicht oder kann sie gar nicht geben, diese Menschen.
Dann sagt Reemtsa noch andere Dinge, die durchaus einleuchten, versucht man, die Perspektive des Mäzens einzunehmen: „Solche Entscheidungen werden herbeigelebt.“ Oder: „Unkonventionalität ist nicht reglementierbar.“
Und er erzählt die Anekdote, wie Cicero durch Rom läuft und fragt, warum hier keine Statue von ihm stehe. Sein Begleiter sagt, „besser sie fehlt, als dass einer fragte, was macht sie hier“. Da spricht wohl die Angst, aus dem Institut könnte etwas werden, was nicht seinem Geist und seinem Stifter entspricht.
Ein Stück deutsche Wissenschaftsgeschichte
Über die Zukunft von Verlag, Zeitschrift und Archiv wird es diverse Gespräche geben. Für das Institut selbst ist das letzte Wort gesprochen. Mit ihm geht auch ein Stück deutsche Wissenschaftsgeschichte zu Ende.
Das Zukunftsmäßige besteht dann vielleicht ohnehin in start-up-ähnlichen Wissenschaftscompanies, die um die steilsten Thesen konkurrieren. Das wiederum will man gar nicht so genau wissen.
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