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Rede des ukrainischen Präsidenten„Das ukrainische Volk will Frieden“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat kurz vor dem russischen Angriff in der Nacht zu Donnerstag eine Rede gehalten. Ein Ausschnitt.

Der ukrainische Präsident hält eine Rede an die ukrainische und russische Bevölkerung Foto: Ukrainian Presidential Press/reuters

Ich habe mich heute (Mittwoch, 23. 2, d. Red.) um ein Telefongespräch mit dem russischen Präsidenten bemüht. Das Ergebnis: Stille. Und das, obschon eigentlich Stille im Donbass herrschen sollte. Darum möchte ich mich heute an alle Bürgerinnen und Bürger Russlands wenden. Nicht als Präsident. Ich wende mich an die Russinnen und Russen als Bürger der Ukraine.

Darüber, wie es sich jetzt von Tag zu Tag entwickelt, spricht die ganze Welt. Ein Grund dafür kann sich jeden Moment entwickeln, es genügt eine Provokation, ein Blitz. Ein Blitz, der alles entzünden und verbrennen kann. Man sagt Ihnen, dass diese Flamme dem ukrainischen Volk die Befreiung bringt. Aber das ukrainische Volk ist frei. Es erinnert sich an seine Vergangenheit und baut selber seine Zukunft. Es baut. Es zerstört nicht, wie man Ihnen jeden Tag im Fernsehen erzählt.

Man erzählt Ihnen, dass wir Nazis seien. Aber kann ein Volk Nazis unterstützen, das für den Sieg über den Nazismus mehr als 8 Millionen Menschenleben geopfert hat. Wie kann ich selber Nazi sein? Erzählen Sie das mal meinem Großvater, der den ganzen Zweiten Weltkrieg in der Infanterie der Sowjetarmee gekämpft hat und als Oberst in der unabhängigen Ukraine starb.

Man hat Ihnen gesagt, dass ich den Donbass angreifen will. Beschießen und bombardieren. Obwohl es Fragen gibt – und die sind sehr einfach: Auf wen schießen? Was bombardieren? Donezk? Wo ich Dutzende Male gewesen bin. In Gesichter, in Augen geblickt habe. Die Straßen, auf denen ich mit Freunden entlanggegangen bin. Das ukrainische Volk will den Frieden. Die ukrainischen Machthaber wollen den Frieden. Wollen und werden alles dafür tun, was möglich ist. Wir sind nicht allein, das ist wahr.

Die Ukraine wird hier von vielen Ländern unterstützt. Warum? Weil es nicht einfach um Frieden um jeden Preis geht. Sondern um Frieden, um Prinzipien und um Gerechtigkeit. Um internationales Völkerrecht, um das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht, die eigene Zukunft selber zu gestalten, um das Recht jeder Gesellschaft auf Sicherheit und das Recht jedes Mensch auf ein Leben ohne Bedrohung. Das alles ist für uns wichtig. Es ist wichtig für die Welt.

Wir brauchen keinen Krieg. Aber wenn Truppen unser Staatsgebiet angreifen, wenn man versucht, uns unser Land zu nehmen, unsere Freiheit, unser Leben, das Leben unserer Kinder, dann werden wir uns verteidigen. Wir werden nicht angreifen, wir werden uns verteidigen. Der Krieg ist ein großes Unglück, und dieses Unglück hat einen hohen Preis, im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich weiß, dass mein Appell nicht im russischen Fernsehen gesendet wird, aber die Bürgerinnen und Bürger von Russland müssen ihn sehen. Sie müssen die Wahrheit erfahren, und die Wahrheit ist, dass man aufhören muss, solange es noch nicht zu spät ist.

Aus dem Russischen

Gaby Coldewey

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3 Kommentare

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  • 0G
    05989 (Profil gelöscht)

    "Man erzählt Ihnen, dass wir Nazis seien. Aber kann ein Volk Nazis unterstützen, das für den Sieg über den Nazismus mehr als 8 Millionen Menschenleben geopfert hat. Wie kann ich selber Nazi sein? Erzählen Sie das mal meinem Großvater, der den ganzen Zweiten Weltkrieg in der Infanterie der Sowjetarmee gekämpft hat und als Oberst in der unabhängigen Ukraine starb."

    Die Ukraine hat die Tore weit aufgemacht für die deutsche Wehrmacht, weil sie die Gelegenheit sahen, sich von der russischen Vorherrschaft zu befreien, die ihr viel drückender erschien als die deutsche. Zumal die antisemischen Traditionen der Ukraine durchaus gut zu den Intentionen der neuen Besatzer passten. In nahezu allen Schweinereien der Wehrmacht und SS in der Gegend waren Hilfsverbände von Ukrainern verwickelt.

    Natürlich sind nie alle Ukrainer Nazis gewesen - aber praktisch immer genossen die ukrainischen Nazis die Rückendeckung der (west)ukrainischen Gesellschaft. Der harte Kern der ukrainischen Nazis war die OUN, deren Führer Bandera 1959 in München vom KGB ermordert wurde. Seitdem galt er nicht nur bei den ukrainischen Nazis als Held.

    Bis dahin mag man das alles noch als Ausdruck schwieriger Geschichte verstehen - aber das Parlament der Ukraine hat dann 2015 die OUN zu "Widerstandskämpfern" erklärt und damit die Nachfolgeorganisation KUN aufgewertet.

    Das war vor allem auch deswegen pikant, weil die KUN bereits seit Jahren in der Ostukraine mit Waffengewalt daran arbeitete, die dortigen Russen auf den Pfad der ukrainischen Tugend zurückzuzwingen.

    Selenskyj lügt, wenn er den Mund aufmacht - und unterscheidet sich damit in überhaupt nichts von der Kette der fatalen Oligarchen-Herrscher, die die Ukraine seit spätestens 2004 in die Schei*e reitet.

    Wenn am Ende Alle Lügen, sich jeder die Geschichte dengelt, die ihm passt - welchen Wert hat dann noch die vermeintliche Wahrheit eines Völkerrechts?

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Der amtierende, demokratisch gewählte Präsident der Ukraine, Wolodimir Selenskyj ist jüdischer Abstammung.

      Das ist das, was man auch gerne berücksichtigen darf, wenn er den Nazi-Vorwurf Russlands gegen die Ukraine zurückweist.

      Zur Geschichte - in Deutschland vergessen wir gerne: Es gab neben so etwas wie der OUN auch 1,8-2,4 Millionen ukrainische Zwangsarbeiter:innen, die von den Deutschen während des zweiten Weltkrieges nach Westen verschleppt und dort ausgebeutet wurden. Und 1,6 Millionen Ukrainer jüdischer Abstammung wurden von der SS jeweils direkt nach dem Einmarsch und unter Beteiligung ukrainischer Helfer ermordet. Rund 400.000 Ukrainer waren Häftlinge in deutschen Lagern, die Hälfte davon wurde hingerichtet. [1]

      Das ist ukrainische Geschichte, ebenso wie Stalins große Hungersnot von 1932-33 bei welcher in der Ukraine 3,5 oder mehr Millionen Bauern und Landbevölkerung verhungert sind (bei Verbot den Heimatort zu verlassen, damit die Leute auch bitte zu Hause verhungern, während die UdSSR im gleichen Zeitraum wohl Weizen exportiert hat mit welchem man 5 Millionen Menschen hätte ernähren können). [2]

      So und das ist alles Geschichte. Zwei bis drei Generationen vor unserer Gegenwart.

      Was davon rechtfertigt heute den Angriffskrieg Russlands?

      P.S.: Und was den Rückhalt der KUN in der ukrainischen Gesellschaft heute betrifft: Ich kenne mich in der Parteienlandschaft nicht aus, aber in der deutschsprachigen Wikipedia steht zur KUN, sie habe bei den Wahlen 2014 in der Ukraine "8976 Wählerstimmen bekommen, was 0,05 Prozent entspricht".



      Bei den regionalen Wahlen von 2020 hat sie dann sage und schreibe 0,03% der zu vergebenden Delegiertensitze errungen, sagt der englischsprachige Wikipediaartikel zur KUN.

      Quellen:



      [1] www.deutschlandfun...der-fleck-100.html



      [2] en.wikipedia.org/wiki/Holodomor#Causes

    • @05989 (Profil gelöscht):

      Boah ey, seit Jahren fördert die russische Regierung Rechtsextreme in westl. Ländern, russische Fahnen wehen bei Naziaufmärschen und Dugin, Führungskader in "Einiges Russland" empfängt und finanziert die Horden, offenbar im Wohlwollen des Zarowitsch.



      Und btw: Selenskyj ist Jude! Und die rechtsextremen Parteien in der Ukraine haben bei der letzten Wahl ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren.



      Zum Kerbholz der Personalie Putin muss nicht viel gesagt werden: Ein Meer von Verbrechen und Lügen.



      Es ist schade um deine Tastatur!