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Rede des EU-AußenbeauftragtenLektion vom Obergärtner

Tatjana Söding
Gastkommentar von Tatjana Söding

Europa sei ein Garten, die Welt ein Dschungel: Der EU-Außenbeauftragte Borrell stellt sich in eine problematische Tradition westlicher Denkart.

Josep Borell: „Europa ist ein Garten und der Rest der Welt ist ein Dschungel.“ Foto: Jochen Tack/imago

Europa ist ein Garten und der Rest der Welt ist ein Dschungel.“ Mit diesen Worten richtete sich der EU-Außenbeauftragte und Kommissionsvizepräsident Josep Borrell letzten Donnerstag an junge Diplomatinnen in Brügge. Sein Auftrag an die Kom­mis­si­onver­tre­te­r:in­nen in spe: Sie sollen „in den Dschungel gehen, um den Park zu beschützen“, denn eine Festungsmauer allein reiche nicht. Europäische Werte müssen in die Welt rausgetragen werden, sonst dränge das Chaos von außen in die EU ein.

Das Zitat trieft von einem Rassismus, der den europäischen Kolonialmächten bereits im 19. Jahrhundert als Legitimation für Imperialismus und Ausbeutung diente: Es sei die Aufgabe von Europäer:innen, die „Unzivilisierten“ in der „Wildnis“ zu bilden. Borrells Begriffe des Gartens und Dschungels sind aber nicht irgendwelche Euphemismen für diese Zweiteilung der Menschheit. Sie haben ihren Ursprung in der ordoliberalen Wirtschaftsphilosophie, die einen ideologischen Grundpfeiler der EU bildet. Der Theorie zufolge braucht es einen starken Staat, um einen Ordnungsrahmen für den freien Markt zu erschaffen. Diese Ordnung, so die frühen Theoretiker des Ordoliberalismus, sei wie ein gut gehegter, eingezäunter Garten zu verstehen.

Dass Borrell diese Metapher aufgreift, darf nicht als Einzelfall bewertet werden. Medienwirksam kommentiert wurde die Rede bislang vor allem außerhalb der EU. So erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums auf Twitter, dass dieser Garten, „das wohlhabendste Wirtschaftssystem der Welt“, nur durch die „Plündereien“ des Kolonialismus errichtet werden konnte – womit sie recht hat.

Russlands Reaktion ist kein Zufall. Bereits im Mai rief der EU-Außenbeauftragte zur Verteidigung der Ukraine auf, um dem „Gesetz des Dschungels“ Widerstand zu leisten. Dass ausgerechnet kriegstreibende Regime wie Russland nun diese Aussage nutzen, um die EU anzuprangern, zeigt, dass europäischer Exzeptionalismus niemandem dient. Höchste Zeit, die im Rassismus wurzelnde westliche Überlegenheitsarroganz aufzuarbeiten.

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14 Kommentare

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  • Wer sich in der Welt für gelebte Demokratie und Menschenrechte einsetzt ist ein Rassist? Hä, geht´s noch? Und gleichzeitig auf den russischen whataboutism aufspringen ... - Hallo, Troll-Kommentare sind eine denkbar schlechte Inspirationsquelle!

  • Ich stimme der Autorin ganz und gar zu, bin aber trotzdem froh, dass Borrell seine Verachtung für den Rest der Welt so offen herausplärrt. Denn seien wir ehrlich: er ist ja nicht der einzige der so denkt (auch wenn andere klug genug sind, ihren Rassismus nicht so offen zu artikulieren); die Vorstellung einer uneingeschränkt normativen Geltung westlicher Vorstellungen und einer daraus ableitbaren zivilisatorischen Mission steckt tief in hiesigen Kopfen - und zwar quer durch alle politischen Lager, auch wenn andere ihre Worte vorsichtiger wählen mögen. Es reicht also nicht, sich an einem alternden Politiker abzuarbeiten, der die Welt nicht mehr versteht - im Grunde müssen wir unsere ganze Ort, über die Welt und unseren Platz in ihr nachzudenken, revidieren - auch wenn das schmerzhaft ist.

    • @O.F.:

      Was bitte wäre Ihr Vorschlag??

      • @Leningrad:

        Ich hätte da einen Vorschlag: O.F. kann sich in Russland ein wenig seine einseitige Weltsicht korrigieren. Vielleicht macht die Sprecherin des russischen Außenministeriums, die auf westl Kolonialismus schimpft, ja auch mit:



        "Die burjatische Aktivistin Viktoria Maladaeva sagt: Das Militär rekrutiere vor allem in Regionen, in denen Minderheiten leben. Sie spricht von russischem Kolonialismus." Die Zeit, 18.10.22



        Freunde, Ungerechtigkeit ist kein exklusives Problem der westl. Welt. Der Einsatz für Gerechtigkeit ist immer lobenswert, aber lasst Euch doch nicht von den IdeologInnen am Nasenring durch die Manege ziehen ...

        • @Christian Lange:

          Nun ist die Behauptung irgendeiner Aktivistin erst einmal einer Überprüfung bedürftig, aber auch wenn wir die Quellenkritik beiseite lassen, ist das kein Argument: die Kritik an einem offensichtlich kolonialrassistischen Weltbild, das schamlos andere zu Wilden erklärt, wird nicht dadurch widerlegt, dass in Russland auch nicht alles perfekt ist. Es ist nie sehr überzeugend, die eigene Verwerflichkeit mit den Fehlern anderer zu legitimieren.

  • Kann mit diesem Text sehr wenig anfangen. Mit dem Hinweis auf die ausschließlich Richtung Westeuropa/Nordamerika gehenden Flüchtlingsströme lässt er sich auch sehr schnell widerlegen. Oder möchte die Autorin eine Novellierung a la DDR? Ich würde der Autorin einen über einige Jahre dauernden Aufenthalt in der Subsahara-Region empfehlen, wie ich es gemacht habe, um festzustellen, dass vielleicht andere Faktoren für Unstabilität, Armut etc. verantwortlich sein könnten.

    • @Leningrad:

      "ausschließlich Richtung Westeuropa/Nordamerika gehenden Flüchtlingsströme" - ?!?



      laut UNHCR: EU + US ~5 Mio vs Welt gesamt ~25 Mio.

      Wie können real etwa 20% mit "ausschließlich" verwechselt werden? Ach ja: Im Dschungel wächst ja eh alles wie es will, da fällt bisschen hier oder dort nicht weiter auf - "ausschließlich" in unserem schönen Garten bemerken wir, wenn was wächst, wo wir es nicht angepflanzt hatten …

      • @O-Weh:

        Präziser müsste es natürlich Migrationsströme heißen. Tatsächlich migrieren die meisten Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention innerhalb ihres Heimatlandes oder nur in die Nachbarländer. Oft fehlt ihnen schlicht das Geld, um nach Europa zu gelangen, oder sie flüchten vor akutem Hunger oder Krieg.

        Wer aber nicht nur auf ein Überleben, sondern ein insgesamt besseres Leben hofft, der versucht tatsächlich in erster Linie, nach Europa, Australien, Neuseeland oder Nordamerika zu gelangen. Als afghanischer LGBT-Flüchtling z.B. bringt Ihnen eine Flucht in den Iran nun mal herzlich wenig.

      • @O-Weh:

        Sich tatkräftig beteiligen (wie ich), Flüchtlinge bei sich aufnehmen, direkt nach Afrika zur Hilfe fahren....

  • Man kann das auch einfach so interpretieren: in der EU gibt es zahlreiche Institutionen, Regeln und Prozesse, die das Verhältnis der Mitgliedstaaten regeln. Und für die Bürger bedeutet das ein historisch nie gekanntes Maß an Freiheit, Wohlstand und auch eine Abnahme der Bedeutung des Nationalstaates. Millionen Menschen in 27 Staaten haben durch die EU gleiche Rechte und eine erhebliche Zunahme an Chancen und Möglichkeiten bekommen, die sie eben nie hätten, wenn es in Europa so wäre wie im Rest der Welt, wo letztlich immer noch der einzelne Nationalstaat das Leben regelt und oft eben auch begrenzt.

    Und das macht die EU weltweit einzigartig und ja, darauf kann man als Europäer durchaus auch etwas stolz sein.

    • @Suryo:

      Ja, stolz sein kann der Mensch. Aber andere Kulturen waren auch stolz bevor die westliche Welt sie zu Grunde gerichtet hat. Hier haben wir eine Verantwortung die es noch zu erfüllen gilt. Das muss auch verbal zu berücksichtigt werden. Der Schaden solcher Äusserungen ist immens, denn der Druck der Entwurzelten, Hungernden, Unterdrückten und Autokraten ist hoch.

      • @llorenzo:

        Es geht Borrell doch aber gar nicht um die Kultur. Erst recht nicht um die der Vergangenheit. Es geht um Rechte und Gesetze, Institutionen und Prozesse.



        Tatsache ist nun mal, dass die europäische Einigung trotz allem eine historische Erfolgsgeschichte ohne Beispiel ist. Vergleichen Sie zb nur mal die EU mit ASEAN oder Mercosur. Die EU ist Goldstandard der internationalen Zusammenarbeit.

    • @Suryo:

      Aber wer immer noch nicht wahrhaben will, dass dies alles nur durch Ausbeutung, rassistische Denkmuster und neuerdings mit brachialer Gewalt durch Abwehr von Menschen an den EU-Außengrenzen möglich ist, der verweigert sich der Welt und kann m.E. nicht als Vernunftbegabt mehr betrachtet werden.



      Ich kann nicht stolt darauf sein, dass der Wohlstand hier nur auf Kosten anderer ermöglicht wird!

      • @nolongerquiet:

        Die deutsch-französische Aussöhnung oder die europäische Arbeitszeitrichtlinie - um nur zwei Beispiele von unzähligen zu nennen - haben was mit Ausbeutung zu tun?