Rechtsruck in der Asylpolitik: Wo bleibt der Protest?

Nun kommt es zur Überbietungsschlacht, wer härter und umfassender Abschieben will. Es wird Zeit, dass sich mehr Leute dagegen erheben.

Hinter einem Stacheldraht fliuegt ein Flugzeug

Wird kaum beachtet: Abschiebung per Flugzeug vom Flughafen Hannover Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Seit über einem Jahr wird vor einem möglichen Sieg von Rechtsextremen bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland gewarnt. Jetzt stehen wir unmittelbar davor und der Rechtsruck ist längst da – und zwar in ganz Deutschland. Statt nach dem schrecklichen Attentat in Solingen populistischen Forderungen mit solidarischer Politik entgegenzutreten, gießen die Parteien von CSU bis hin zu den Grünen in einem irren Überbietungswettbewerb Öl ins Feuer.

Friedrich Merz will keine Geflüchteten aus Syrien und Afghanistan mehr aufnehmen. Olaf Scholz kündigte an, jetzt noch schneller abschieben zu wollen. Sein Parteigenosse, der Hamburger Innensenator Andy Grote, unterstützte das mit dem bemerkenswerten Spruch: „In Afghanistan wird nicht jeder geköpft.“

Und auch eine Gruppe grüner Bundestagsabgeordneter forderte in einem Papier für eine „Zeitenwende in der Innenpolitik“ mehr Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, mehr Geld und Kontrollbefugnisse für die Sicherheitsbehörden und vor allem: mehr Abschiebungen – was just am Freitagmorgen mit einer Sammelabschiebung nach Afghanistan auch geschah.

Das Ausmaß an Faktenfreiheit, Ideologie und Missachtung des Grundgesetzes, mit dem in diesen Tagen über den Umgang mit Geflüchteten diskutiert wird, ist nur noch gruselig. Wollten die Parteien islamistische Hasskriminalität bekämpfen, könnten sie auf Erkenntnisse der Kriminologie hören: Unwürdige Lebensbedingungen wie etwa in Flüchtlingslagern begünstigen, dass Menschen sich radikalisieren und gewaltbereit werden. Das soziale Umfeld ist entscheidend dafür, wer zum Täter wird.

Die Abschiebe-Offensive läuft längst

Das wirklich Irre an der Debatte ist aber, dass sie auf dem rhetorischen Strohmann basiert, es gäbe keinen ausreichenden Willen zu Abschiebungen. Dabei hat Olaf Scholz es bitterernst gemeint, als er im letzten Winter eine Abschiebe-Offensive „im großen Stil“ forderte: Schon in der ersten Jahreshälfte 2024 gab es 20 Prozent mehr Abschiebungen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Trotzdem schaffen es rechte Kräfte mit diesem Strohmann, Politikern immer radikalere Forderungen nach Abschiebungen zu entlocken.

Gedenktag für Opfer von Abschiebungen und Abschiebehaft: Freitag, 30.08.2024, um 16.30 Uhr an der S-Bahnhaltestelle Hannover Flughafen

Während noch im Januar bundesweit Millionen auf die Straße gingen, um gegen die Deportationspläne der AfD zu demonstrieren, fragt man sich: Wo bleiben diese Leute jetzt? Die Forderungen nach noch mehr Abschiebungen in noch gefährlichere Länder bedeuten nämlich in der Realität nichts anderes als das: Deportationen von schutzbedürftigen Menschen, die gegen ihren Willen vom deutschen Staat in Kriegs- und Krisengebiete gebracht werden.

Diese Menschen, die sich im Januar gegen den Rechtsruck stellten, braucht es jetzt dringender denn je, um für mehr Menschlichkeit und das Grundrecht auf Asyl einzustehen. Niedersachsens Flüchtlingsrat macht es am Freitag vor: Wie jedes Jahr ruft er zu einer Demonstration gegen Abschiebungen am Flughafen Hannover-Langenhagen und dem benachbarten Abschiebegefängnis auf.

Das kommt genau richtig. Denn gerade nach dem furchtbaren Attentat in Solingen ist es wichtig, sich nicht auf einfache Parolen wie „Ausländer raus“ oder „Messer verbieten“ einzulassen, sondern tatsächlich für eine sichere und solidarische Gesellschaft einzustehen – und zwar gerade hier im Norden, wo sich der Rechtsruck noch nicht in den Parlamenten abbildet wie in Ostdeutschland. Das sind wir auch denen schuldig, die dort reale Gefahren eingehen, um sich gegen die Rechten zu ­stellen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.

Ihren Kommentar hier eingeben