Rechtsruck in Frankreich: Die Mitte fehlt
Viele Linke und Bürgerliche sind von Hollande und Sarkozy enttäuscht. Sie wählen aus Protest rechts – so naiv das auch scheint.
W as der britische Premier David Cameron in Großbritannien unter dem Druck von rechts versucht, um nicht von Ukip eingeholt zu werden, das kennt Frankreich schon aus der (ersten) Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy. Doch den Rechtspopulisten mit einer abgespeckten Light-Version ihrer europa- und ausländerfeindlichen Programme und ihrer reaktionären Ideologie hinterherzurennen, ist gefährlich.
Ein Beispiel: Als Sarkozy von seinem Immigrationsminister Eric Besson (einem Überläufer aus der Parti Socialiste) 2009 eine Debatte über die nationale Identität organisieren ließ, ermutigte er die Rechtsradikalen, an offiziellen Diskussionsabenden teilzunehmen und im Internet nach Herzenslust ihren Hass und Nationalismus auszuleben. Über Wochen konnte der Front National (FN) so xenophobe, nationalistischen Thesen auf Staatskosten an ein breites Publikum bringen. Mit dem Ergebnis, dass vielen diese Fremdenfeindlichkeit anschließend als banal oder plausibel erschien.
Sarkozy hatte mit dieser Aktion also nichts anderes als Wahlhilfe für die damals neue FN-Parteichefin Marine Le Pen betreiben. Die bemühte sich daraufhin, durch eine formelle Abgrenzung von Neonazis, Antisemiten und den übelsten Geschmacklosigkeiten ihres Vaters Jean-Marie Le Pen, ihre rechtsextreme Partei salonfähig zu machen. Mit Erfolg. Gleichzeitig nahm in Sarkozys Partei, der konservativen UMP, die Verwirrung zu und auch das Gefühl einer ideologischen Geistesverwandtschaft zwischen der bürgerlicher Rechten und extremen Rechten.
Mehrere Umfragen belegen, wie nicht nur das persönliche Ansehen und die Glaubwürdigkeit von Marine Le Pen in bisher bürgerlichen Kreisen seitdem ständig wächst. Mittlerweile gibt ein Drittel der UMP-Basis an, dass sich ihre politischen Wertvorstellungen mit denen des FN decken.
Sarkozys dehnbare Grundsätze
Demnach müssten 58 Prozent der UMP-Sympathisanten für punktuelle Wahlallianzen der beiden Parteien sein. Die UMP-Parteiführung verspricht dennoch hoch und heilig, dass selbst lokale Absprachen mit der extremen Rechten tabu seien. Glaubwürdig ist das nicht. Denn an der Spitze der UMP steht nun wieder Sarkozy, dessen Grundsätze und Überzeugungen bekanntlich sehr dehnbar sind und sich im Kern auf die Wichtigkeit seiner eigenen Person beschränken. Für ihn ist die UMP ein Trampolin zur Rückkehr an die Macht. Der ganze „Rest“ – die Zielsetzungen, die Ideen, der Umgang mit der FN-Hasspropaganda – ist sekundär und folglich verhandelbar.
Längst verfängt der vor allem von der Linken betriebene Versuch nicht mehr, den FN in die moralische Schmuddelecke zu stellen. Zu groß ist nach unzähligen Affären und laufenden Ermittlungen der doppelte moralische Kreditverlust der Linken und der bürgerlichen Rechten.
So naiv das in Deutschland vielleicht erscheinen mag: Immer mehr WählerInnen sagen sich in Frankreich, der FN sei die einzige Lösung, die sie noch nicht ausprobiert haben. Andere bereits zum Rechtspopulismus Konvertierte sehen in der Le-Pen-Partei weniger einen Hoffnungsträger, sondern vor allem eine Art Lautsprecher, um ihre Hoffnungslosigkeit herauszuschreien. Mit seiner nationalen Empörung über das „System PS-UMP“ verkörpert der FN diese Proteststimmung. Die Nachfrage dafür ist enorm. Eine klare Mehrheit der Leute in Frankreich ist unzufrieden mit der regierenden Linken genauso wie mit der bürgerlichen Opposition.
Kann Frankreich die Rettung vor den Extremisten in der politischen „Mitte“ finden? Müsste der französische Premierminister Manuel Valls seine kühnsten Träume in Worte fassen, würde er wahrscheinlich zugeben, dass ihm eine Mitte-links-Regierung oder eine Koalition mit dem bürgerlichen Zentrum vorschwebt. Das wäre eine parlamentarische Mehrheit aus liberalen Sozialisten und sozialen Liberalen, die den Reformkurs zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit französischen Wirtschaft nicht nur voll unterschreibt, sondern von Herzen herbeiwünscht. Valls „sozialliberale“ Linie zur Verwirklichung der Sparziele von François Hollande stößt in der eigenen Partei auf Widerstand.
In der Mitte nur Treibsand
Noch ist nicht sicher, ob die Regierung eine linke Mehrheit bekommt für die nächste, vom Arbeitgeberverband mit Vorschusslorbeeren bedachte Runde an Strukturreformen. Verhandelt werden eine Reihe von Liberalisierungen und Lockerungen im Arbeitsrecht. Davon hatte schon die Rechte gesprochen, als sie mit Chirac und Sarkozy an der Macht war. Ihr Vorhaben umzusetzen, haben sie die Bürgerlichen aber nicht getraut. Eigentlich müssten sie Valls in den Himmel loben. Nur funktioniert politische Alltag in Paris anders.
Eine breite Koalition in der Mitte schwebt vielleicht auch dem Gaullisten Alain Juppé vor. Er will sich in der UMP vom Rechtskurs seines Rivalen Sarkozy abgrenzen, um 2017 die Präsidentschaftswahlen als Kandidat der bürgerlichen Mitte und mit Hilfe der Stimmen von links gegen die Rechtsextremistin Marine Le Pen zu gewinnen. Ein politischer Traumtänzer mehr! Schon der Zentrumsdemokrat François Bayrou hatte zweimal vergeblich versucht, mit dieser Strategie der Mitte in der Politik Fuß zu fassen. Auf diesem Terrain aber gibt es nur Treibsand. Wer dort Halt sucht, riskiert Kopf und Kragen.
„Große“ Koalitionen gab es und gibt es in vielen Ländern Europas, in Frankreich bleibt eine solche Allianz politische Fiktion. Schuld an der Links/rechts-Polarisierung ist das strikte Mehrheitswahlrecht, das General de Gaulle zusammen mit der Volkswahl des Staatspräsidenten in der Verfassung seiner Fünften Republik verankern ließ. Seitdem ist die Vorstellung einer politischen Mitte eine Utopie.
Die Realität der französischen Wahlen und Debatten ist eine Scheibenwischerpolitik: Rechts, links, rechts, links. Wenn also derzeit der Schwerpunkt der Politik weit nach rechts abdriftet, müsste für alle, die sich in Frankreich damit nicht abfinden wollen, das Gebot der Stunde lauten: Zuerst auf die Bremse treten und dann volle Kraft nach links! Aber davon spürt man im Moment noch nichts.
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