Rechtsextremistisches Attentat von Hanau: Drei Jahre Trauer und Wut
Der Anschlag von Hanau jährt sich zum dritten Mal. Die Angehörigen der Opfer von Hanau und München trauern gemeinsam. Ihre Wut bleibt groß.
Bevor der muslimische Gottesdienst auf dem Friedhof beginnt, spricht Emiş Gürbüz, die Mutter des getöteten Sedat Gürbüz, vor jedem einzelnen Grab und Denkmal ein kurzes Gebet. Sie hebt die Hände vor sich und streicht sich anschließend übers Gesicht, über ihre Augen. Dann beugt sie sich über das marmorne Denkmal ihres Sohns und streicht den Regen von dem kalten Stein.
Der Imam beginnt sein Gebet. Er rezitiert auf Türkisch Verse aus dem Koran und spricht die Namen der Getöteten: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Der Regen wird stärker, die Angehörigen teilen sich ihre Schirme.
Drei Jahre ist es nun her, dass ein rechtsextremer Attentäter in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschoss. Nur knapp zwölf Minuten dauert die Tat. Anschließend erschießt der Täter seine Mutter und schließlich sich selbst.
Gemeinsame Trauer
Rund 150 Menschen haben sich heute am Friedhof versammelt. Unter ihnen sind auch sechs Familien, die beim rassistischen Anschlag am OEZ in München 2016 ihre Kinder verloren. Rudolf Kollmann, der Vater von Giuliano Kollman, ist angereist, um den Angehörigen den Rücken zu stärken. Er sieht die Parallelen zwischen den Anschlägen in München und Hanau. Denn beide Täter suchten sich ihre Opfer an Orten, an denen sie viele Menschen mit Migrationshintergrund vermuteten, beide hatten sich mit intensivem Schießtraining vorbereitet, beide hinterließen tief rassistische Manifeste. „Hätten die Behörden den rechtsextremen Hintergrund der Tat in München nicht so unter den Teppich gekehrt, dann hätte Hanau vielleicht verhindert werden können“, sagt Kollman.
Auf dem Rückweg vom Friedhof kommt Hayrettin Saraçoğlu an dem Ort vorbei, an dem sein Bruder Fatih starb. Saraçoğlu, dunkelgrauer Mantel, hellgrauer Hoodie, zeigt auf eine Regenrinne, die immer noch Spuren der Schüsse trägt, die seinen Bruder töteten. Er hatte am Abend des 19. Februar nur einen Freund zur Arbeit im Hotel bringen wollen. Als er vor dem Hotel noch eine Zigarette rauchte, kam der Attentäter aus der Bar La Votre, in der er kurz zuvor Kaloyan Velkov erschossen hatte. Er tötete Fatih Saraçoğlu auf der Straße, ging in die Shishabar Midnight und erschoss dort Sedat Gürbüz mit einem Kopfschuss.
Saraçoğlu hat sich bis heute nicht vom Tod seines Bruders erholt. Nach dem Anschlag verlor er seinen Job, mittlerweile lebt er getrennt von seiner Frau.
Mittags beginnt auf dem Hanauer Marktplatz die offizielle Gedenkveranstaltung. Vor dem barocken Rathaus und neben dem Denkmal der Brüder Grimm hat die Stadt eine Bühne aufgebaut. In der ersten Reihe sitzen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Auf ihn konzentriert sich heute die Wut der Angehörigen.
Denn drei Jahre nach dem Attentat sind für die Angehörigen zentrale Fragen immer noch offen: Warum erreichte Vili Viorel Păun über die Notrufnummer niemand, als er in der Tatnacht den Täter in seinem Auto verfolgte? Warum war ein wichtiger Notausgang verschlossen? Und warum fehlt bis heute ein Denkmal im Zentrum der Stadt, wie die Angehörigen es fordern?
Streit um Denkmal
„Erinnern heißt verändern“, so schallt es an diesem Mittag immer wieder über den Hanauer Marktplatz. Niemand bringt die Unzufriedenheit mit der bisherigen Veränderung so sehr zum Ausdruck wie Emiş Gürbüz. Der 19. Februar sei ein Schandfleck Deutschlands. Ihre Stadt, ihr Land schulde neun Familien jeweils ein Leben. Und an Bürgermeister Kaminsky gerichtet sagt sie: „Wenn Sie uns unsere Kinder schon nicht zurückgeben können, dann tun sie, was in ihrer Macht steht. Errichten Sie ein Denkmal hier auf dem Marktplatz von Hanau.“
Der Bürgermeister dankt den Angehörigen für ihr Engagement, für ihre Stärke an diesem schwarzen Tag. Er verweist auf das Zentrum für Demokratie und Vielfalt, das in Hanau mit einer 3,4-Millionen-Förderung vom Bund entstehen soll. Aber im Streit über das Denkmal will er nicht nachgeben. Die Angehörigen wollen das Denkmal im Herzen der Stadt, auf dem Marktplatz. Aber Kaminsky sagt: „Dieser Marktplatz wird bei diesem Denkmal nicht ausgewählt werden.“ Der Hanauer Marktplatz sei seit vielen Jahrzehnten der Ort, der den Brüdern Grimm gewidmet sei. Hier ein Denkmal an den rechtsextremen Anschlag vom 19. Februar 2020 zu errichten würde bei der Mehrheit der Hanauerinnen und Hanauer ein „Störgefühl“ hervorrufen.
Abfinden werden sich Emiş Gürbüz und die Familien von Hanau damit wohl kaum. Bis heute geht Gürbüz jeden Tag auf den Friedhof in Dietzenbach. Gürbüz zählt jeden Tag, seit ihr Sohn Sedat getötet wurde. 1.096 sind es mittlerweile. Sie sagt: „Ich habe keine Ruhe. Und ich werde keine Ruhe geben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“
Verfassungsrechtler für AfD-Verbot
„Den Staat vor Unterminierung schützen“