Rechtsextremismus in Polen: Das marschierende Problem
Białystok galt einmal als Polens Hauptstadt des Rassismus. Eine Social-Media-Expertin und ein Journalist stellen sich den Rechten entgegen.
Es war dennoch ein martialischer, ein unheilvoller Demonstrationszug, der sich vom Kulturpalast in der Warschauer Innenstadt über die Poniatowskibrücke bis hin zum Nationalstadion auf der anderen Weichselseite erstreckte. 100.000 Menschen kamen, ein Meer von weiß-roten Fahnen, rote Fackeln sowie rot rauchende Feuerwerkskörper waren zu sehen und weckten schlimme Assoziationen.
„Tod den Feinden des Vaterlandes“ stand denn auch auf einem der großen Transparente, „Europa wird weiß sein oder entvölkert“ auf einem anderen. Und in einem Interview antwortete einer der „Patrioten“ auf die Frage, warum er denn demonstriere: „Ich will die Juden an der Macht loswerden.“
Tage später sagt Anna Mierzynska, 40, in Białystok, einer Stadt rund 200 Kilometer nordöstlich von Warschau gelegen: „Ich habe das kommen sehen. Bis vor Kurzem galt Białystok noch als Polens Hauptstadt des Rassismus. Jetzt wird sich Warschau mit dem Ruf herumschlagen müssen, die ‚Rassismushauptstadt Europas‘ zu sein.“
Die Social-Media-Expertin winkt Darek Szada-Borzyszkowski zu, der zur Tür des Restaurants Esperanto hereinkommt. 2011 gründeten die beiden mit einem knappen Dutzend Freunden und Bekannten die Facebook-Gruppe ‚Normalny Białystok‘ (Normales Białystok).
„Ich kann es noch immer nicht fassen: Dermaßen viele Polen sind den rassistischen und antisemitischen Rattenfängern hinterhergelaufen. Es war doch klar, wer die Organisatoren sind. Niemand kann sagen, er hätte es nicht gewusst“, sagt Szada-Borzyszkowski. Der 58-jährige Journalist, der in einem Museum der Nachbarstadt Tykocin arbeitet, erklärt: „Wir wollten mit unserer Initiative Menschen wie dich und mich erreichen. So kamen wir auf den Namen ‚Normales Białystok‘. Inzwischen sind wir 6.500 Leute.“
Keines der Gründungsmitglieder hatte sich vor 2009 gesellschaftlich stärker engagiert. Doch dann schändeten Rechtsradikale den Grab- und Gedenkstein in Jedwabne, einem Dorf in der Nähe von Białystok. Dort hatten 1941 katholische Polen – von Nazis angestiftet – ihre jüdischen Nachbarn bei lebendigem Leib in einer Scheune verbrannt und deren Eigentum unter sich aufgeteilt.
A. Mierzynska, „Normalny Białystok“
Erst im Jahre 2000 erfuhr ganz Polen von diesem Pogrom, einem von etwa 60, die entlang der polnischen Ostgrenze begangen wurden. Das Entsetzen war groß, aber auch die Abwehr einer abgeblichen Kollektivschuld.
So entschuldigte sich der damalige Präsident Aleksander Kwaśniewski nur im Namen derjenigen, die eine solche Entschuldigung bei den Juden für richtig und angemessen hielten. 2009 dann beschmierten Unbekannte den Grab- und Gedenkstein in Jedwabne mit einem Hakenkreuz und dem Satz: „Ich entschuldige mich nicht.“ An der kleinen Mauer, die das Fundament der Scheune markierte, in der Hunderte Juden umkamen, prangte ein Kommentar: „Sie waren leicht brennbar.“
Militärisch geschulte Rechtsextreme
Im Protest dagegen versammelten sich rund 200 Polen zu einem Schweigemarsch in Białystok. Doch dann kam ihnen eine Gruppe von rund 40 kahl rasierten Hooligans des Białystoker Fußballvereins Jagiellonia entgegen, grölte rassistische Parolen und pöbelte die Demonstranten an. „Ringsum in den Cafés und Restaurants saßen die Leute und taten gar nichts“, erzählt Darek. „Sie beobachteten das Schauspiel, halfen uns aber in keiner Weise.“
Mierzynska streicht die mittellangen braunen Haare zurück und nimmt sich ein kleines Zwiebelbrötchen „Das Hauptproblem ist die Gleichgültigkeit der Leute, und zwar keineswegs nur der ‚normalen‘ Bürger, sondern auch der verantwortlichen Politiker.“
Szada-Borzyszkowski lehnt sich weit im Stuhl zurück, breitet die Arme aus und hebt die buschigen Augenbrauen: „Was soll ich sagen? Ich habe mich damals so gefühlt wie ein Jude, der unter Gelächter, Witzen und stiller Zustimmung der Umstehenden die Pflastersteine der Straße mit einer Zahnbürste putzen musste. Noch nie zuvor habe ich mich so erniedrigt gefühlt.“
Der jüngste Unabhängigkeitsmarsch in Warschau löste insbesondere bei Journalisten US-amerikanischer und britischer Medien Entsetzen aus. In manchen Artikeln war von 60.000 und mehr „Nazis und Faschisten“ zu lesen, gar von Europas größtem Rassistentreffen.
Vom Independent bis zur Washington Post stellten alle Zeitungen heraus, dass sich das Nationalradikale Lager, die Nationale Bewegung und die Allpolnische Jugend, die seit 2009 den Unabhängigkeitsmarsch der Radikalen organisieren, auf antisemitische Gruppen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg berufen.
Das Nationalradikale Lager hatte sogar eine eigene Schlägertruppe, die zum Teil militärisch geschult war. Anhänger dieser „Falanga“ liefen vergangene Woche in schwarzer Kluft, zum Teil vermummt und mit der grünen Falanga-Flagge „Hand am Schwert“, durch Warschau.
Manche hielten zusätzlich das Keltenkreuz hoch, das in ganz Europa als Erkennungszeichen der Neofaschisten gilt und das in Polen verbotene Hakenkreuz ersetzt. Niemand stoppte das gespenstische Treiben, kein Polizist, kein Politiker, keine antifaschistische Gegendemonstration. Im Gegenteil: Die kleine Gruppe Frauen, die das Transparent „Stopp Faschismus“ mit sich trug, wurde nicht nur angegriffen und von der Polizei nicht verteidigt, sondern musste sich später auch noch anhören, dass sie „provoziert“ hätte.
Zunächst versuchten Polens Politiker der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) abzuwiegeln, doch als die Kritik aus dem Ausland nicht nachließ und sogar Israels Außenministerium Polens Regierung offiziell aufforderte, sich von dem „gefährlichen Marsch extremer und rassistischer Elemente“ zu distanzieren und gegen die Organisatoren juristisch vorzugehen, ruderten die Politiker zurück.
Aber keiner gab zu, dass Polen ein ernst zu nehmendes Problem mit der rasch anwachsenden Rechtsradikalenszene hat, der sich mehr und mehr junge Leute anschließen. Schon das Ergebnis der letzten Parlamentswahlen hätte Politiker, Lehrer und Eltern aufrütteln müssen: Rund 70 Prozent aller Erstwähler im Alter von 18 bis 23 Jahren stimmten für rechte und rechtsradikale Parteien.
„Polens Ruf ist reichlich ramponiert“
Statt das Problem beim Namen zu nennen, zogen Politiker wie PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, Kulturminister Piotr Gliński oder Verteidigungsminister Antoni Macierewicz es vor, von „Provokationen“ auf dem Unabhängigkeitsmarsch zu sprechen, während doch die Mehrheit der Teilnehmer friedlich und patriotisch gefeiert habe.
Nur Polens Präsident Andrzej Duda fand ein paar klare Worte: „In unserem Land gibt es keinen Platz und keine Toleranz für Fremdenfeindlichkeit. Auch keinen Platz für krankhaften Nationalismus oder für Antisemitismus“, sagte er. „Menschen, die eine solche Haltung haben, sind aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Ihre Haltung kann man nicht anders bezeichnen als schändlich.“
Szada-Borzyszkowski zuckt mit den Schultern: „Das kam zu spät. Polens Ruf ist ohnehin seit dem Machtantritt der PiS reichlich ramponiert. Der Radikalenmarsch und das Fehlen einer Distanzierung hat ihn nun vollends ruiniert.“ Mierzynska nickt zustimmend.
Für einen Moment nimmt sie die Brille ab und schließt die Augen: „Wir haben das alles hier in Białystok durchexerziert. Das Schweigen der Politiker, den Nestbeschmutzervorwurf an jene, die das Problem benennen, schließlich das Verdikt von außen: ‚Białystok, die Hauptstadt des Rassismus‘.“ Sie seufzt. „Man darf sich nicht unterkriegen lassen im Kampf gegen den Rassismus, auch wenn es mal Rückschläge gibt. Das sieht man am Beispiel von Białystok.“
Szada-Borzyszkowski nickt und trinkt den letzten Schluck Limonade: „Noch vor Jahren war Białystok eine Stadt ohne Gedächtnis. Niemand wollte sich daran erinnern, dass es einst eine jüdische Stadt war, in der auch katholische Polen lebten, orthodoxe Weißrussen, protestantische Deutsche und muslimische Tataren.“ Das ändere sich seit einiger Zeit.
So habe die Stadtverwaltung auf Anregung von ‚Normalny Białystok‘ 2014 erstmals Informationstafeln am Zentralpark angebracht. Sie informieren darüber, dass sich fünf Meter unter den Füßen der Spaziergänger der älteste jüdische Friedhof Białystoks befindet.
„Eines Tages“, so hofft Mierzynska, „wird auch das triumphale Nachkriegsdenkmal auf dem Friedhof verschwinden oder zumindest die von Nationalisten illegal angebrachte Parole ‚Gott, Ehre, Vaterland‘“. Szada-Borzyszkowski ergänzt: „Da hat auch die katholische Kirche ein Wörtchen mitzureden. Sie muss einsehen, dass der Nationalistengott nicht der christliche sein kann.“ Er grinst jungenhaft: „Wir arbeiten daran.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?